Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 1999; 34(12): 76-3
DOI: 10.1055/s-1999-10842-8
MINI-SYMPOSIUM
Georg Thieme Verlag Stuttgart ·New York

Natürliche und künstliche Kolloide bei Kindern

Natural and artificial colloids in childrenH.  Hagemann
  • Medizinische Hochschule Hannover, Abteilung Anästhesie III im Zentrum Anästhesiologie, Hannover
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Publication Date:
28 April 2004 (online)

Bei der Volumensubstitution des kleinen Kindes bestehen intraoperativ nach wie vor eine Reihe von Unsicherheiten. Die Ursachen basieren auf mehreren perioperativen Problemen:

das Ausmaß der präoperativen Hypovolämie ist kaum abschätzbar; unsinnige Aspekte (medikolegal?) zur präoperativen Nüchternheit erschweren die Bewertungskriterien die Höhe des intraoperativen Blutverlustes ist abschätzbar, aber schwer meßbar es bestehen einige physiologische Besonderheiten, die darüber hinaus eine adäquate Volumensubstitution erschweren: ein großer Extrazellulärraum (FG > 60 %; NG > 40 %; Erw. < 20 %) eine relative Niereninsuffizienz, zumindest in den ersten 15 Lebensmonaten ein deutlich erhöhter Wasserumsatz; dieser resultiert im Wesentlichen aus: dem altersentsprechend erhöhten Grundumsatz der kleinen Patienten, resultierend daraus einem erhöhten Anfall harnpflichtiger Substanzen; in Verbindung mit der (bis zum 15. Monat) latenten Niereninsuffizienz, Problemen der Temperaturregulation und Verlusten bei der Beatmung (→ Atemgasklimatisierung) erhöht sich weiter der Flüssigkeitsbedarf; schließlich Volumenshifting über mehr oder weniger intakte Menbranen.

Diese physiologischen Besonderheiten müssen dem Anwender bekannt sein und dürfen nicht fehlinterpretiert werden. Leider fehlen zum besseren Verständnis gut dokumentierte Studien und Basisdaten bei Kindern. Zudem ist es intraoperativ oft schwierig, besonders bei den sehr kleinen Patienten (Frühgeborene, dystrophe Neugeborene), Parameter (ZVD, KOD) zum Volumenstatus zu erheben. Um so wichtiger ist es, die klinischen Zeichen der akuten Hypovolämie zu erkennen und differentialdiagnostisch zu bewerten:

Tachykardie; DD: flache Narkose, Hyperthermie Hypotonie; DD: tiefe Narkose, (selten) kardiogen, periphere Vasodilatation (volatil) Oligurie, Anurie; DD: Niereninsuffizienz, mechanisch (im OP-Geschehen) Zentralisation; DD: Hypothermie (∅ Atemgasklimatisierung), Katecholamine Rekapillisierungszeit 10 u. Blässe der Schleimhäute geben zumindest einen Anhalt,

um Ausmaß und Ablauf des Volumenmangels/Blutverlustes zu beurteilen und die mögliche Gefährdung der kleinen Patienten zu vermeiden [7].

Bei den Zielen zur Volumensubstitution müssen bei Kindern ähnliche Maßstäbe angelegt, aber im Detail andere Prioritäten gesetzt werden, als bei Erwachsenen:

cardio-circulatorische Stabilität hierbei sind die rheologischen Bedingungen, eine adäquate intravasale Substitution (Volumen + Elektrolyte) und eine adaptierte Anästhesie (Inotropie, Chronotropie, Gefäßwiderstände; Ventilation, Thermoregulation) zu berücksichtigen; NG können nicht beliebig (situations-/Narkose-adaptiert) das SV erhöhen; bei den kleinen Atemhubvolumina muß darauf geachtet werden, daß die eingestellte Exspiration länger ist, als die physiologische Exhalation (Risiko: → Hyperkapnie → Bradycardie) ausreichende O2-Versorgung der Organe beruhigend (ohne Anspruch auf Sicherheit) ist, daß ein niedriger Hkt bei stabilem Kreislauf (MAP, Rheologie) einer Hypoxie beim Kind vorbeugen kann: durch erhöhte 02-Ausschöpfung in den Geweben durch vermehrte 2.3-Diphosphoglycerat-Ausschüttung im Erythrozyten 9 folglich durch verbesserte O2-Abgabe (Rechtsverschiebung der Dissoziationskurve). Die Grenzen der Sauerstoff-Tansportkapazität liegen bei den kritischen Hb-Werten in den unterschiedlichen Altersstufen 11: KK 6, SG 8, NG 9, FG 10 g/dl und orientieren sich an der aktuellen OP-Situation und dem AZ des Kindes; Hkt von 17 % tolerabel Erhaltung der Hämostase sie wird unterschiedlich stark beeinträchtigt durch die Wahl des Substitutes 4 5 15 (Humanalbumin, Dextran, Gelatine, Hydroxyäthylstärke, kristalloide Lösungen); weniger durch das Ausmaß der Hämodilution; „natürliche” Kolloide zeigen hier evtl. Vorteile

Bei der Taktik der Volumensubstitution sind auch bei den Kindern kristalloide Lösungen (in aller Regel = Vollelektrolytlösungen!) und die Transfusion (ab einem kritischen Hb; s. o.) die Eckpfeiler der Therapie. Kristalloide sind bis zu einem intravasalen Volumenverlust von < 15 %, Blut und Blutkomponenten oberhalb der kritischen Hb-Werte indiziert. Nachteil der Elektrolytlösungen sind: a) hoher Infusionsbedarf (etwa 3facher Volumenverlust), b) kontinuierlicher Infusionsbedarf wegen der kurzen intravasalen Verweildauer und c) wegen der schnellen Umverteilung die Gefahr der extrazellulären Überladung. Vorteile sind, daß die Substanzen rasch mobilisierbar sind (auch aus dem Interstitium) und keine direkte Wirkung auf die Gerinnungssysteme zeigen.

Nach neueren Studien haben die „natürlichen” Kolloide (HA) nicht die ihnen vor allem von Pädiatern zugedachten Vorteile: ihre intravasale Verweildauer ist - wegen der tubulären Reabsorprtion, trotz des niedrigen Molekulargewichtes hoch; die Verteilung von HA erfolgt immer beidseits der Kapillarmembran (intravasal ca. 40 %, extravasal ca. 60 %, transkapilläre Austauschrate ca. 5 - 6 %/h); das ist in den meisten Fällen (Ödemrisiko) und insbesondere bei den kleinen Patienten (latente Permeabilität der Membranen) eher nachteilig. Bei anaphylakten Reaktionen sind sie mit der größten Häufigkeit und höchstem Schweregrad belastet. Diskutiert wird bei Kindern eine Hemmung der körpereigenen Eiweißsynthese, Gefahr einer kolloidalen Überladung (ohne KOD-Monitoring), interstitielle Sequestrierung mit ödematösen Sekundärkomplikationen und ein erhöhtes intracranielles Blutungsrisiko bei FG + NG durch albumininduzierte onkotische + hämodynamische Druckdifferenzen [1]. Schon aus den vorgenannten Gründen haben künstliche Kolloide bei der Volumensubstitution des Kindes heute Priorität. Zur Verfügung stehen diese Substanzen mit unterschiedlichen Molekulargrößen (polydispers) und Konzentrationen (5, 6, 10 %ig; korreliert mit der Wasserbindungskapazität), schließlich mit verschiedenen Substitutionsgraden und -arten. Die Bedeutung der Substitution (Grad und Art) ist lange Zeit fehleingeschätzt worden und sollte in Zukunft mehr Beachtung finden [10]. Gleiches gilt auch fiir die Basislösung, auf der das Kolloid im Handel ist (NaCI 0,9 %; Glucose; Voll-Elektrolytlyt).

Dextrane haben die höchste allergene Potenz aller künstlichen Kolloide, eine limitierende Maximaldosis von 20 ml/kg × die (RES-Speicherung, Coating), direkte Einflüsse sowohl auf das thrombozytäre als auch das plasmatische Gerinnungssystem und sind hyperonkotisch (Plasmaexpansion). Sie sind damit bei Kindern wenig geeignet.

Gelatine hat eine eher mit kristalloiden Lösungen vergleichbare Eliminationshalbwertzeit; ihre Basislösungen stehen auch als Vollelektrolyte zur Verfügung.

Hydroxyäthylstärke als 6 %ige Lösung, mit einem MG von 70 000 D und einem Substitutionsgrad von 0,5 - 0,55 kann als isoton, isoonkotisch und isovolämisch gelten; eine Maximaldosis von 20 ml/kgxdie ist in vielen Studien deutlich überschritten worden, ohne daß es zu Gerinnungsproblemen kam [7] [9]. Eine RES-Speicherung ist nur von großen Molekülen zu erwarten, die nicht schnell genug abgebaut, dann dort zwischengelagert werden, Organinsuffizienzen wurden bislang unter diesem Gesichtspunkt nicht beschrieben; die allergene Potenz der Substanz ist gering, Publikationen über Schweregrad IV einer Anaphylaxie gibt es nicht. Die Anhebung des kolloidosmotischen Druckes ist effektiv möglich [8] und hält über Stunden (Tage) an (wohl auch, weil körpereigene Regulationsmechanismen wenig eingeschränkt werden). Der Vergleich mit anderen Kolloiden („natürlich”, künstlich) ist uneinheitlich und variiert nach Studiendesign [2] [3] [13] [14] Die Basis für die Eliminationshalbwertzeit ist momentan umstritten, da nach neueren Erkenntnissen eher eine Abhängigkeit von der Substitutionsart (Verhältnis C2/C6), als von der Molekülgröße besteht [10].

In einer klin. Studie an 30 Kindern (mittl. Alter 5 Jahre) haben wir HAES 6 %; 70 000 D; 0,5 Substitutionsgrad mit dem in der Pädiatrie am häufigsten eingesetzten natürlichen Kolloid HA 5 % verglichen. Die intraoperativen Blutverluste lagen in 3 h bei etwa 400 ml (entsprechend > 15 % des intravasalen Volumens). Additiv zu einer Basiselektrolytsubstitution mit 10 ml/kg in der ersten Stunde und folgend 5 ml/kgxh in den weiteren Stunden, wurde der Volumenverlust mit 14 ml/kg KG der einen (HAES) oder anderen (HA) Substanz ersetzt (Daten in 7). Die cardiocirculatorischen Parameter blieben innerhalb der Gruppe und im Gruppenvergleich über 3 h stabil. Nach einem mittleren Blutverlust von ca. 15 % waren die Erythrozytenzahlen in beiden Gruppen signifikant abgefallen, ebenso verminderten sich dilutionsbedingt Hb (HAES > HA) u. Hkt. Dieser Effekt basiert möglicherweise auf den verbesserten rheologischen Bedingungen, zusätzlich verhindert die Basisinfusion eine Hämokonzentration (Risiko des interstitiellen Ödems), wie sie in vergleichbaren Studien [1] [6] [14] beschrieben wurde. Die Gerinnungsparameter zeigten keinerlei Unterschiede im Gruppenvergleich, änderten sich aber über 3 h. Im Thrombelastogramm fielen eine signifikante Verkürzung der Reaktiona(r)-Zeit und ausgeprägter der Gerinnselbildungs(k)-Zeit auf. Dabei dokumentiert „r” den frühen Beginn der Gerinnung und „k” die schnellere Thrombenverfestigung. Klinisch relevante oder therapiepflichtige Gerinnungsprobleme traten weder intra- noch postoperativ auf. Kritisch anzumerken: wir haben in dieser Studie nicht konsequent bei allen Kindern KOD und O2-Bilanz bestimmen können. Basierend auf den Studienergebnissen und unseren weiteren klinischen Erfahrungen, hat HAES bei Kindern als Volumensubstitut u. E. einige Vorteile gegenüber HA:

die intravasale Verweildauer beschränkt sich auf die Phase akuten Volumenmangels; erhält damit die körpereigenen Regulationsmechanismen (vergl. 8); es bleibt abzuwarten, ob hier nicht gezielt das Substitutionsverhältnis C2/C6 eingesetzt werden kann die Eliminationshalbwertzeit verhindert eine langfristige Speicherung; es scheint sich abzuzeichnen, daß nur sehr große Moleküle in den polydispersen Substituten, die nicht genügend schnell verkleinert werden können, im RES zwischengelagert werden; nach neueren Untersuchnngen ist die Eliminationszeit eher vom Substitutionsanteil (C2:C6) abhängig, als von der Molekülgröße es hat von allen vergleichbaren kolloidalen Substanzen (künstlich + „natürliche”) die geringste allergene Potenz; Stärke ist nicht allergen, sondern wird es erst durch die notwendige Hydroxyäthylierung; anaphylaktische Reaktionen im Schweregrad IV sind in der Literatur von HAES bislang nicht beschrieben worden HAES 6 %; 70 000; 0,5 kann unter normalen physiologischen Bedingungen als isotonisch, isovolämisch, isoonkotisch gelten und entspricht damit den Vorstellungen einer modernen Volumentherapie bei Kindern.

In einer Studie von Stoddart und Mitarb. ‘96 wurde HA 4,5 % mit Gelatine bei Kindern zu größeren chirurgischen Eingriffen verglichen. Die Autoren halten als Resumé HA bei Neonaten für das bessere Kolloid beim Volumenersatz und begründen es wie folgt: 1) der KOD fiel unter HA nicht ab, bei Gelatine von im Mittel 22,2 auf 19,9 mmHg; 2) die Albuminspiegel blieben unter HA-Substitution auf gleichem Niveau und fielen unter Gelatine um 6 g/l. Es sollte erlaubt sein, anzumerken, daß weder der KOD noch das Albumin in kritischen Bereichen lagen und eine Interpretation zum „Risiko” hier nicht schlüssig ist. Die relative Hämokonzentration (bei Haemaccel stärker ausgeprägt als bei HA) birgt die Möglichkeit eines interstitiellen Ödems und damit eher das Risiko eines „respiratory distress syndromes”, als es die Autoren im Zusammenhang mit den o. g. Parametern (KOD, Albumin) fürchten. Belegbar wäre es möglicherweise durch den PCWP und/oder Lungenwasserbestimmungen [14].

Greenough et al haben in einer Studie '93 HA mit einer Halbelektrolytlösung bei FG verglichen und kommen zu dem Schluß, daß eine Albumininfusion selbst bei den untersuchten „hypoalbuminaemic sick preterm infants” die respiratorischen Probleme nicht beseitigen konnte; es kam in der HA-Gruppe zu einer deutlichen Gewichtszunahme (als Hinweis auf ein interstitielles Ödem), nicht aber in der Placebogruppe [6].

So und Mitarb. haben '97 bei hypotensiven Frühgeborenen zur Volumensubstitution HA 5% mit einer physiologischen Kochsalzlösung verglichen. Die kleinen Patienten erhielten maximal 3 × 10 ml/kg in jeweils 30 infundiert; blieben sie danach weiter hypoton, erhielten sie Katecholamine. Weder der MAP noch der ventilatorische Bedarf (Paw×FIO2) unterschieden sich in den Gruppen; dazu sahen die Autoren Vorteile bei der NaCI-Infusion: eine geringere Flüssigkeits-Retention in den ersten 48 h [13].

In einer gut dokumentierten Studie von AlyHassan und Mitarb. '97 wurden schwerpunktmäßig cardiocirculatorische und oxigenatorische Parameter bei Kindern zur normovolämischen Hämodilution untersucht. Verglichen wurden als Substitute HES 6 %; 200 000; 0,5 und 6 % Dextran 60. Selbst sehr niedrige Hkt-Werte (17 %) wurden von den Kindern toleriert. Sie waren, was Hämodynamik und Oxigenierung (delivery, consumption) betraf, in beiden Gruppen gleich stabil [2]. Leider wurde kein KOD gemessen und die angewandte Narkose hatte sicher einen Effekt auf kardiovaskuläre Parameter (Thiopental wird bei Kindern rel. langsam metabolisiert/verlängerte Eiweißkopplung durch Sulfidbrücke, kann negativ inotrop wirken, hat erhöhtes Risiko der Histaminliberation; Isofluran macht eine deutliche, periphere Vasodilatation; Fentanyl ist unter den Bedingungen der Hämodilution bei Kindern neg. chronotrop).

Bei einer kritischen Durchsicht der neueren Studien zu diesem Thema bei Kindern fällt auf, daß es offensichtlich schwierig ist, unter reproduzierbaren Ergebnissen, mit verläßlich dokumentierten Parametern fundierte Schlußfolgerungen zur Volumensubstitution zu erhalten. Das liegt zum einen am Patientenklientel, zum anderen an den sehr unterschiedlichen Fragestellungen und schließlich an den Problemen der Datenerfassung bei den ganz kleinen Patienten. Es fehlt also eine Studie, die uns letztendlich die Zweifel zur Volumensubstitution bei Kindern unter den verschiedenen Aspekten (Hämodilution, intraoperativer Blut-/Volumenverlust, perioperativer Volumenmangel, RDS, Anaphylaxie, etc.) nimmt. Gut dokumentiert sein müßten in einer derartigen Studie Kreislauf und Oxigenierung (MAP, CI, CVP, PCWP, DO2I, VO2I); Rheologie und Hämostase (KOD, GEW, Albumin, RES-Speicherung, Quick, PTT, ATIII, Thrombelastogramm); sowie Metabolismus, WELH (Wasser-Elektrolyt-Haushalt) und SBS (Säure-Basen-Status). Das ist unter praxisnahen, wissenschaftlich relevanten und auch unter ethischen Gesichtspunkten eher im Tierversuch möglich.

Nach dem derzeitigen Kenntnisstand kann man folgende Empfehlung bei Kindern geben:

bei einem perioperativen Volumendefizit < 15 % ist eine Vollelektrolytlösung indiziert zur präoperativen Hämodilution ist Gelatine auf der Basis einer E‘lytlösung durchaus geeignet, für die Zeit des intraopertiven Blutverlustes das Volumendefizit zu decken bei Blutverlust > 15 % bietet HAES eine geeignete Möglichkeit, cardio-circulatorische Parameter, Oxigenierung + KOD im physiologischen Bereich zu halten; eine Überladung des extrazellulären Raumes und RES-Speicherung 3 (abhängig von Derivatisierungsgrad u. Molekülgröße, cave: polydispers) sind klinisch nicht relevant; körpereigene Regulationsmechanismen bleiben nach vorliegenden Studien weitgehend erhalten 3 7 8; eine Basissubstitution mit einer E'lytlösung sollte parallel erfolgen HA ist nur unter strenger Indikation intraoperativ einzusetzen; Eiweiß- und Albumin-Defizite sind möglichst präoperativ auszugleichen; HA ist keine Substanz zur primären Volumensubstitution.

Weitere Perspektiven ergeben sich, wenn Anwender und Hersteller die Basislösungen der verschiedenen Kolloide in Zukunft berücksichtigen (Vollelektrolytlösung, Glukose, NaCI) und man sie unter entsprechenden Indikationen gezielt einsetzen kann.

Ebenso müssen wir die Hersteller zwingen, detaillierte Informationen über die Art der Stärke (Mais, Kartoffel, etc.), die Verteilung der molaren Masse in den polydispersen Lösungen, den Substitutionsgrad plus die Art der Substitution (Verhältnis C2/C6) und die Zusammensetzung der Basislösungen zu geben. Mit diesen Charakteristika werden die anaphylaktischen Reaktionen, kolloidale Wertigkeit, Homöostase und Hämostase, Eliminationshalbwertzeit und schließlich die Indikationsbereiche der einzelnen Kolloide entschieden. Die gefäßabdichtende Wirkung einer speziellen Pentafraktion von HAES könnte bei Kindern interessant sein, über den Derivatisierungsgrad ist möglicherweise eine bessere Steuerbarkeit (Metabolisierung und Elimination) zu erzielen. Die Speicherung von HAES (vor allem in Zellen des Monozyten-Makrophagensystems) ist wohl dosisabhängig, geringer bei schneller Elimination (je Derivatisierungsgrad und Molekülgröße und guter Hydratation des Patienten) und korreliert bei Kindern nicht mit Pruritus.

Fazit: Wenn wir die eingangs genannten physiologischen Besonderheiten der kleinen Patienten (FG, NG) und die unterschiedlichen Mechanismen, die zum Volumendefizit führen, beachten; die klinischen Zeichen (plus in der Routine selten vorliegende Parameter) richtig deuten; zudem die althergebrachten Mißverständnisse „The albumin dilemma”; „keep the baby on the dry side”; „keine Vollelektrolyte für Säuglinge”) über Bord werfen, können wir mit dem derzeitigen Stand des Wissens bei unseren kleinen Patienten eine effektive und risikoarme Volumensubstitution durchführen. Wir sollten niemals völlig unterschiedliche Indikationen (präoperativer Eiweißmangel, chronisches Volumendefizit, Hämodilution, akuter Blutverlust, Verluste beim „capillary leak”) mit einer Methode der Volumensubstitution (Motto: „Wir haben seit Jahren beste Erfahrungen mit . . .”) zu korrigieren versuchen. Humanalbumin ist intraoperativ sicher nicht das Volumensubstititut der ersten Wahl bei Kindern, es sollte nur bei definierten Indikationen eingesetzt werden. Immunologische, rheologische und ökonomische Fakten sprechen derzeit am ehesten für HAES; in einer Konzentration von 6 %, mit einem Molekulargewicht von 70.00-200.000 D; Substitutiongrad und spezielle Substitutionsanteile von C2 und C6 sind in der Diskussion. Die Basislösungen von HAES (physiologische Kochsalzlösung, Elektrolytlösung, Glukoseanteil) sollten überdacht und von uns bewußt eingesetzt werden.

Laufende Studien werden hoffentlich bald mehr Sicherheit geben.

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Prof. Dr. med. H. Hagemann

Abtlg. Anästhesie III im Zentxum Anästhesiologie

Medizinische Hochschule Hannover

Carl-Neuberg-Straße 1

D-30625 Hannover

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