Zentralbl Gynakol 2001; 123(9): 552-553
DOI: 10.1055/s-2001-18234
Originalarbeit

J.A.Barth Verlag in Medizinverlage Heidelberg GmbH & Co.KG

Gemeinsame Wissenschaftliche Sitzung der Berliner Wissenschaftlichen Gesellschaft für Geburtshilfe und Gynäkologie in Berlin und der Kaiserin-Friedrich-Stiftung

Embryonale Stammzellen in der Transplantationsmedizin - Chancen und ProblemeBerlin Academic Society, Berlin Society of Obstetrics and Gynecology, Empress Friedrich Foundation, Joint meeting of January 24, 2001 in BerlinO. Brüstle
  • Institut für Neuropathologie, Medizinische Einrichtungen der Universität Bonn
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Publication Date:
06 November 2001 (online)

Die Transplantation von Organen und Geweben zählt zu den bedeutendsten Fortschritten der modernen Medizin. Doch nicht allen potenziell mit einer Transplantation behandelbaren Patienten kann geholfen werden - weil Spenderorgane fehlen, weil die Transplantate abgestoßen werden oder weil für bestimmte Organe wie das Gehirn und das Rückenmark kein adäquates Spendergewebe zur Verfügung steht. Embryonale Stammzellen (ES-Zellen) bieten einzigartige Möglichkeiten, diese Probleme langfristig zu lösen.

Einmal gewonnen, können embryonale Stammzellen zu praktisch unbegrenzten Mengen vermehrt werden. Aufgrund ihres frühen Entwicklungsstadiums haben sie zudem die Fähigkeit, in alle Zell- und Gewebetypen des menschlichen Organismus auszureifen. Falls es gelingt, die für einen spezifischen Reifungsprozess erforderlichen Wachstums- und Differenzierungsfaktoren zu identifizieren, wäre es im Prinzip möglich, Spenderzellen für verschiedenste Organe in unbegrenzter Zahl in der Zellkulturschale herzustellen.

Besonders groß ist der Bedarf für Zellersatz im Nervensystem. Dies liegt daran, dass im Rahmen traumatischer oder degenerativer Erkrankungen zugrunde gegangene Nervenzellen nicht regenerieren und somit auf immer verloren bleiben. Dementsprechend stehen wir dem Großteil der mit einem Zellverlust einhergehenden neurologischen Erkrankungen bis heute machtlos gegenüber. Typische Beispiele sind die Parkinsonsche Erkrankung, Schlaganfälle, traumatische Hirnverletzungen, aber auch Myelinerkrankungen wie die Multiple Sklerose.

Kürzlich gelang es uns erstmals, die Transplantation ES-Zell-abgeleiteter Vorläuferzellen erfolgreich an einem Tiermodell einer neurologischen Erkrankung einzusetzen. Mithilfe eines komplexen Zellkulturverfahrens war es gelungen, aus ES-Zellen der Maus myelinbildende Stützzellen in hoch aufgereinigter Form herzustellen. Nach Transplantation ins Rückenmark und ins Gehirn myelindefizienter Tiere bildeten die Spenderzellen in großer Zahl neue Markscheiden. Eine derartige Reparatur von Myelindefekten könnte langfristig große Bedeutung für die Behandlung der Multiplen Sklerose erlangen.

Die Perspektive, praktisch unbegrenzte Mengen an Spenderzellen in vitro herstellen zu können, ist ein wesentlicher Vorteil der ES-Zell-Technologie. Abzugrenzen hiervon ist die Gewinnung autologer ES-Zellen mithilfe von Kernreprogrammierungsstrategien. Hierbei wird ein Zellkern aus dem erwachsenen Organismus in eine zuvor entkernte Eizelle implantiert. Durch noch nicht verstandene Mechanismen vermag es die entkernte Eizelle, den transplantierten Kern auf ein embryonales Stadium zurückzuprogrammieren. Die Zelle, die dabei entsteht, verhält sich wie eine befruchtete Eizelle. Sie lässt sich in vitro bis zur Blastozyste weiterentwickeln, aus der wiederum embryonale Stammzellen gewonnen werden können. Über eine In-vitro-Differenzierung dieser autologen ES-Zellen ließen sich Spenderzellen erhalten, die nach einer Transplantation nicht mehr als fremd erkannt und abgestoßen würden. Einem klinischen Einsatz dieser Technologie stehen momentan noch zahlreiche biologische und ethische Probleme entgegen. Im Zentrum steht dabei die Frage, ob hochrangige medizinische Zwecke eine Nutzung menschlicher Eizellen und die Erzeugung potenziell totipotenter Zellen rechtfertigen. Auf der anderen Seite könnten es Forschungsarbeiten zur Reprogrammierung humaner somatischer Zellkerne ermöglichen, Mechanismen zu identifizieren, die langfristig eine direkte Umprogrammierung adulter Zellen ohne Verwendung entkernter Eizellen erlauben.

Neuere Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass Stammzellen aus dem adulten Organismus ein breiteres Differenzierungspotenzial aufweisen, als bisher angenommen wurde. Diese Befunde lassen hoffen, in Zukunft adulte Stammzellen für einen autologen Zellersatz in wenig regenerationsaktiven Geweben nutzen zu können. Allerdings wäre hierfür eine adäquate Proliferation und eine gezielte Transdifferenzierung adulter Stammzellen in vitro erforderlich - Probleme, die bislang nicht zufrieden stellend gelöst sind.

Aus heutiger Sicht bieten ES-Zellen im Vergleich zu anderen Stammzellen entscheidende Vorteile für den Zellersatz. Eine systematische Untersuchung embryonaler, fetaler und adulter humaner Stammzellen ist jedoch notwendig, um zu prüfen, welche Spenderquelle für welche Erkrankung langfristig am besten geeignet ist.

Oliver BrüstleM.D. 

Institut für Neuropathologie
Universität Bonn
Medizinisches Zentrum

Sigmund-Freud-Str. 25

D-53105 Bonn

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