Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2002; 37(6): 342-343
DOI: 10.1055/s-2002-32235
Mini-Symposium
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Editorial

EditorialR.  Zander1 , E.  Neugebauer2
  • 1Mainz
  • 2Köln
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Publication Date:
13 June 2002 (online)

Die methodischen Entwicklungen zur Bestimmung des Base Excess (BE, mmol/l) des Blutes und der Laktat-Konzentration (cLaktat, mmol/l) des Plasmas in den modernen Blutgas- bzw. Metabolit-Analysatoren garantieren eine erweiterte Diagnostik, die heute von Anästhesisten, Chirurgen, Geburtshelfern, Internisten und Transfusionsmedizinern erfolgreich eingesetzt wird.

Aus diesem Grunde wurde auf der Jahrestagung der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin im November 2000 (DIVI 2000) in Hamburg eine Sitzung zum Thema „Interdisziplinäre Bedeutung von Base Excess und Laktatkonzentration” abgehalten, deren wesentliche Ergebnisse im Folgenden veröffentlicht werden.

Zwischen dem BE des Blutes (hepatisch-metabolische Azidose) und der Laktat-Konzentration des Plasmas (Hypoxie-Marker?) besteht eine direkte Proportionalität, weil das H+-Ion und das Laktat-Anion beide der gleichen Quelle Milchsäure entstammen. Dies wird im Beitrag Zander anhand von Messwerten bei Sportlern unter Belastung bis zu einem BE von - 30 mmol/l belegt, wenn Laktat im Plasma, nicht im Vollbut, bestimmt wird. Beim Intensivpatienten kann diese Proportionalität aufgehoben sein, wenn die H+-Ionen- oder die Laktat-Konzentration therapeutisch verändert wurden. Abweichungen sind auf eine Zufuhr von exogenem Laktat mit Infusionslösungen oder eine HCO3 --Therapie zurückzuführen, oder wenn zusätzliche H+-Ionen im Extrazellularraum auftauchen, die nicht aus der hypoxischen Milchsäure-Bildung sondern wahrscheinlich aus der intrazellulären ATP-Hydrolyse stammen. Somit ist die diagnostische Aussagekraft des BE der der Laktatkonzentration des Plasmas überlegen, weil alle freigesetzten H+-Ionen erfasst werden. Zur Therapie-Kontrolle aber bietet sich die Kombination beider Messwerte an, weil daraus zusätzliche Informationen abgeleitet werden können.

An einer großen Zahl von Polytraumapatienten kann neuerdings demonstriert werden, dass der BE bei Krankenhausaufnahme bzw. in den ersten 24 h danach als der signifikante Prognose-Indikator der Hämodynamik, des Volumen- und Transfusionsbedarfs sowie der Letalität gilt. Bereits ein BE von - 6 mmol/l sagt eine Letalität von 25 % voraus. In dem Beitrag Rixen et al. werden dazu die Daten aus dem Traumaregister der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie vorgestellt, die zusätzlich auch den Nachweis liefern, dass die zeitliche Entwicklung des BE im posttraumatischen Verlauf im signifikanten Verhältnis zur Letalität der Patienten steht. Damit kann möglicherweise über den BE die frühzeitige Therapie des traumainduzierten Sauerstoffdefizits gezielter gesteuert werden.

Richtig berechnet aus den Messwerten pH, pCO2, cHb und pO2 bzw. sO2, also unter Berücksichtigung der O2-Sättigung des Blutes von Nabelarterie und -vene, zeigt der BE in der Geburtshilfe deutliche Vorteile gegenüber dem pH-Wert allein, der bisher die bevorzugte Messgröße der klassischen kindlichen Blutgasanalyse unter der Geburt war.

Anhand beeindruckend großer Zahlen von Geburtsprotokollen wird im Beitrag Roemer die besondere diagnostische Bedeutung des Base Excess in der Geburtshilfe belegt. Der entscheidende Vorteil gegenüber dem, auch von der respiratorischen Seite des Säure-Basen-Status abhängigen, pH-Wertes liegt in der Tatsache begründet, dass der BE einen integrativen, metabolischen Parameter darstellt. Im Mittel haben fast 8000 Lebendgeborene zum Zeitpunkt der Geburt einen BE von - 5,5 bis - 6,8 mmol/l in Nabelvene bzw. -arterie.

Die stillschweigende Annahme, jede Laktazidose sei die Folge einer generellen Gewebs-Hypoxie, wird von Knichwitz kritisch hinterfragt. Anhand von eigenen Daten und solchen der Literatur wird belegt, dass Hyperlaktatämien (cLaktat > 2 mmol/l) nur dann im Sinne eines Hypoxie-Markers zu interpretieren sind, wenn auch die metabolische Azidose über eine BE-Änderung nachgewiesen werden kann. Zusätzlich wird gefordert, eine ausreichende Funktion der Leber zu prüfen, die ja die Voraussetzung einer normalen hepatischen Laktat-Clearance ist.

Wie bereits eingangs erwähnt wird die Proportionalität zwischen BE und Laktat-Konzentration des Plasmas aufgehoben und damit die Laktat-Diagnostik generell gestört, wenn dem Patienten Laktat über Infusionslösungen zugeführt wird, die heute bis zu 55 mmol/l Laktat enthalten. Diese Thematik wird erstmals von Raum et al. anhand eines Tierexperiments erfolgreich bearbeitet. Der zeitliche Verlauf der Laktat-Konzentration bei Versuchstieren, die Laktat unter einer Hämorrhagie endogen freisetzen oder zusätzlich exogen mit oder ohne Hämorrhagie appliziert bekommen, zeigt deutlich, dass über lange Zeiträume erhebliche Laktat-Anstiege registriert werden, die eine Laktat-Diagnostik unmöglich machen. Die applizierten Dosen entsprechen denen, die bei Polytraumapatienten, allerdings über längere Zeiträume, eingesetzt werden.

Wegen der unzureichenden Deklarierung der Zusammensetzung von Infusionslösungen und Blutprodukten hat der Arzt derzeit keine Möglichkeit, eventuelle Wirkungen auf den Säure-Basen-Haushalt zu verstehen, so die Feststellung im Beitrag Zander. Die möglichen Störungen sind eine sogenannte Dilutions-Azidose (fehlendes HCO3 -) oder eine Infusions- bzw. Rebound-Alkalose (metabolisierbare Anionen). Die als Ersatz für die Pufferbase HCO3 - in Infusionslösungen vorhandene metabolisierbare Base (Anion) Laktat, ebenso wie Azetat, Malat oder Glukonat, setzt in der funktionstüchtigen Leber unter Verbrauch von H+-Ionen das fehlende HCO3 - frei. Die metabolische (iatrogene) Alkalose wird vom Patienten durch Hypoventilation (Atemdepression) kompensiert, sie ist zusammen mit der arteriellen Hypoxie eine denkbar schlechte Kombination mit dem gleichzeitig gesteigerten O2-Verbrauch (Metabolismus der infundierten Anionen). Wegen der sauren Stabilisatorlösungen (CPD, SAG-M) und der Milchsäure-(Laktat-)Bildung während der Lagerung bis zu 42 Tagen weisen Erythrozyten-Konzentrate BE-Werte zwischen - 25 und - 55 mmol/l und Laktat-Konzentrationen bis zu 30 mmol/l auf.

Die Beiträge belegen eindrucksvoll die besondere interdisziplinäre Bedeutung von Base Excess und Laktatkonzentration für eine Vielzahl von Patientengruppen.

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. R. Zander

Institut für Physiologie und Patholphysiologie, Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Duesbergweg 6

55099 Mainz

Email: zander@uni-mainz.de

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