Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2002; 37(8): 461-462
DOI: 10.1055/s-2002-33160
Der besondere Beitrag
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Metformin - Sinn oder Unsinn einer
Therapieumstellung in der perioperativen Phase

Metformin - Sensible or Nonsensible Change of Treatment in the
Post-Operative Phase
U.  Jost, H.  Böhrer
  • 1Zentrum für Anästhesiologie am Caritas-Krankenhaus Bad Mergentheim, Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität Heidelberg
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Publication Date:
07 August 2002 (online)

Das Biguanid Metformin hat in der Diabetologie in den letzten Jahren eine Renaissance erlebt. In Deutschland ist nur Metformin als Biguanid zugelassen. Seit 1995 ist Metformin auch wieder in den USA auf dem Markt [6], nachdem Nebenwirkungen der Substanz Phenformin in Form von z. T. letalen Laktazidosen zur Rücknahme der Substanz geführt hatten [2] [3].

Metformin senkt den Blutzucker langsam innerhalb von mehreren Tagen wahrscheinlich über 3 Wirkmechanismen

eine Hemmung der Glukoseresorption im Darm, eine Reduktion der Glukoneogenese in der Leber und eine Verstärkung der insulinbedingten Aufnahme von Glukose im Muskelgewebe.

Biguanide hemmen den Stubstratfluss in die Mitochondrien. In der Leber führt dies zu einer Reduktion der Einschleusung von Pyruvat in den Zitronensäurenzyklus und damit zur Laktatakkumulation. Da die Aktivität der Pyruvatdehydrogenase, welche für die Einschleusung in den Zitronensäurezyklus zuständig ist, pH-abhängig in der Azidose vermindert ist, verstärkt sich die Milchsäureakkumulation [9].

Bei vermehrtem Anfall von Laktat, aus welchen Gründen auch immer, akkumuliert dies, weil ein wesentlicher Eliminationsweg blockiert, bzw. limitiert ist. Hierin liegt die Gefährdung durch eine Biguanidtherapie in der perioperativen Phase, wenn es durch den operativen Eingriff und die dazu erforderliche Narkose zu erheblichen Eingriffen in die Homöostase kommt.

Dies wurde für das Phenformin, einer sehr lipophilen Substanz, in den Jahren 1959 bis 1977 in annähernd 500 dramatisch verlaufenden Kasuistiken als potenziell letale Gefährdung dokumentiert. Metformin ist wesentlich weniger lipophil. Seine Bindung an die Mitochondrienmembranen ist aufgrund der geringeren Lipophilie wesentlich reduziert und die Halbwertszeit ist so kurz, dass man bei Beachtung der Kontraindikationen davon ausgehen kann, dass Metformin nach 12 Stunden keine Wirkung auf die Atmungskette mehr entfaltet.

Metformin wird über die Niere ausgeschieden. Eine eingeschränkte Nierenfunktion bewirkt eine Akkumulation von Metformin und stellt somit eine absolute Kontraindikation dar [3] [9].

Als absolute Kontraindikation für eine Metformin-Therapie gelten ferner die therapiebedürftige Herzinsuffizienz, metabolische Azidosen und eine Kontrastmittelgabe [2]. Gewarnt wird vor dem Einsatz bei Leberinsuffizienz, Alkoholabusus und COPD, sowie postoperativ, solange nicht eine normale Nierenfunktion (Serum-Kreatinin < 1,4 mg/dl) sichergestellt ist. Hiergegen wird schon bei Patienten aus nicht-operativen Fächern in einem hohen Ausmaß verstoßen [2]. In der perioperativen Phase kann dies fatale Folgen haben [2] [3] [6], nicht aber bei strikter Einhaltung der Kontraindikationen und Warnhinweise [3] [9].

Nach Aussage eines marktführenden Metforminherstellers besteht das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinalprodukte auf dem Warnhinweis: Metformin darf 48 Stunden vor und bis 48 Stunden nach elektiven operativen Eingriffen sowie bei Gabe von Röntgenkontrastmitteln nicht gegeben werden.

Bei der Diskussion der Kontrastmittelgabe unter Metformin-Therapie weisen Mehnert und Mitarbeiter [5] folgerichtig darauf hin, dass der Anwender bei dringlicher Indikation zu einer Kontrastmitteldarstellung alleine gelassen wird mit der Fragestellung, das individuelle Metformin-induzierte Laktatzidose-Risiko abzuschätzen und den Patienten über dieses Risiko auch aufzuklären, so dass er juristisch abgesichert ist. Was den Bereich der Anästhesiologie angeht, so stellt sich die Frage, wie sinnvoll ein generelles Absetzes der Metformin-Therapie 48 Stunden vor dem elektiven Eingriff wirklich ist [3] [4] [6] [7] [8]. Ohne Zweifel profitieren Patienten, die sich einem großen operativen Eingriff unterziehen müssen, von einer perioperativen Umstellung auf eine straff eingestellte Insulintherapie. Unlängst konnte in einer multizentrischen Studie bei 1548 Patienten gezeigt werden, dass das Einstellen des Blutzuckers auf einen Mittelwert von 110 mg/dl zu einer reduzierten Morbidität und Mortalität kritisch Kranker führt [1].

Demgegenüber steht eine Vielzahl von kurzen ambulanten Eingriffen mit geringer Beeinträchtigung der Homöostase, bei denen ein Absetzen der Metformin-Therapie präoperativ dazu führt, dass die Patienten zu dem dann unnötigerweise verschobenen Eingriff mit schlecht eingestellter Stoffwechselsituation kommen, oder dass unangemessen aufwendig die Therapie auf Insulin umgestellt wird oder gar die Therapie auf ein anderes orales Antidiabetikum so umgesetzt wird, dass der Patient der Gefahr von Hypoglykämien ausgesetzt ist.

Hier den einzelnen Anästhesisten mit dem juristischen Risiko alleine zu lassen, halten wir für unverantwortlich. Wenn renommierte Diabetologen [8] der Auffassung sind, dass es sehr wohl Konstellationen geben kann, bei der die Weiterführung der Metformin-Therapie Sinn macht, sollten Anästhesisten aus angeblichen forensischen Gründen nicht apodiktisch eine Metformin-Pause fordern wie geschehen [4] [7]. Kein Jurist wird sich anmaßen, eine in der perioperativen Phase fortgeführte Metformin-Therapie zu beurteilen. Das wird immer nur ein medizinischer Gutachter sein, der dann möglicherweise vom Schreibtisch aus urteilt und - völlig unzulässig - die aus der Literatur für das Phenformin bekannten Daten einfach auf Metformin überträgt [8] [9].

Im Sinne der Patientensicherheit und im Sinne einer rationalen und ökonomischen Arzneimitteltherapie erscheint es angebracht, hier einen fächerübergreifenden Konsens herbeizuführen, der die Gabe von Metformin in der perioperativen Phase bei kleineren operativen Eingriffen regelt [3].

Nicht außer Acht gelassen werden darf hierbei, dass wir tagtäglich gezwungen sind, notfallmäßig unter laufender Metformin-Therapie zu operieren und zu anästhesieren. Sollte das Laktazidose-Riskiko durch Metformin wirklich relevant sein, hätten sich in der Vergangenheit zwangsläufig mehr Fallberichte ergeben müssen. Hier ist die sorgfältige perioperative Überwachung der Patientenhomöostase und eine adäquate Insulintherapie gefragt. Ggf. ist die Azidose mittels Bikarbonathämofiltration zu therapieren.

Literatur

  • 1 Berghe van den G, Wouters P, Weekers F. et al . Intensive insulin therapy in critically ill patients.  N Engl J Med. 2001;  345 1359-1367
  • 2 Calabrese A T, Coley K C, DaPos S V, Swanson D, Rao R H. Evaluation of prescribing practices. Risk of lactic acidosis with metformin therapy.  Arch Intern Med. 2002;  162 434-437
  • 3 Lustik S J, Vogt A, Chhibber A K. Postoperative lactic acidosis in patients receiving metformin.  Anesthesiology. 1998;  89 266-267
  • 4 Maier C, Mäcken T, Wulf H. Empfehlung zur perioperativen Unterbrechnung einer Metformin-Medikation.  Dtsch Med Wschr. 2001;  126 1222
  • 5 Mehnert F, Mehnert B, Pereira P L, Clausen C D, Häring H U. Metformin und intravenöse Röntgenkontrastmittel: Ein Risiko?.  Diabetes und Stoffwechsel. 2000;  9 235-238
  • 6 Mercker S, Maier C, Neumann G, Wulf H. Lactic acidosis as a serious perioperative complication of antidiabetic biguanide medication with metformin.  Anesthesiology. 1997;  87 1003-1005
  • 7 Ritter M M, Kilger E. Biguanide und elektive Anästhesien.  Anaesthesist. 1998;  47 522
  • 8 Scherbaum W A. Metformin und Anästhesie - wie hoch ist das Risiko einer Laktatazidose?.  Dtsch Med Wschr. 2001;  126 607-608
  • 9 Sirtori C R, Pasik C. Re-evaluation of a biguanide, metformin: mechanism of action and tolerability.  Pharmacol Res. 1994;  30 187-228

Dr. med. Ulrich Jost

Zentrum für Anästhesiologie am Caritas-Krankenhaus Bad Mergentheim,
Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität Heidelberg

Uhlandstr. 7

97980 Bad Mergentheim

Email: Jost.Ulrich @ckbm.de

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