Z Gastroenterol 2002; 40(S2): 55-57
DOI: 10.1055/s-2002-35894
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© Karl Demeter Verlag im Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Endoskopische Therapie der akuten Pankreatitis

K. Kiehne, U. R. Fölsch
  • 1I. Medizinische Universitätsklinik, Christian-Albrechts-Universität Kiel
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Publication Date:
04 December 2002 (online)

Seit Jahren wird eine kontroverse Diskussion um die endoskopische Therapie einer akuten Pankreatitis geführt. Begründet auf der Überlegung, dass durch Gallengangskonkremente der Sphinkter Oddi zumindest passager verschlossen wird und es zu einem Aufstau von Galle und auch von Pankreassekret kommt, wurde die Durchführung einer endoskopischen retrograden Chol­angiopankreatikographie (ERCP) als dringend erforderliche, ­kausal eingreifende Therapie angesehen. Die möglichen Komplikationen der ERCP machen es allerdings erforderlich, dieses Konzept auf den Prüfstand zu stellen.

Im europäischen Raum wird die akute Pankreatitis in 30-50 % der Fälle durch einen Gallenstein verursacht. Bei einer zugrunde liegenden Cholezystolithiasis kommt es zu Wanderungen von kleinen Konkrementen mit einer Größe zwischen Bruchteilen von Millimetern bis zu über einem Zentimeter in den Ductus choledochus. Die größeren Konkremente führen zu einer mechanischen Verlegung des Gallengangs im Bereich des Sphinkters Oddi, während die kleineren Konkremente (Mikrolithen) mittels Reizung oder Verletzung der Gallengangsepithelien einen Sphinkterspasmus bewirken sollen. Das weitere Verhalten der Steine im Ductus choledochus hängt von der Größe der Steine ab: Mikrolithen weisen eine sehr hohe Rate an Spontanabgängen auf, während Steine ab einer Größe von ungefähr 3-4 Millimetern nicht ohne weiteres den Sphinkter passieren können. Diese größeren Steine verbleiben mit einer hohen Rate im Gallengang. Eine weitere Möglichkeit ist der Abgang von größeren Steinen durch den Sphinkter in Verbindung mit einer Verletzung des Sphinkters. Insgesamt entsteht durch die Steine ein Aufstau der Galle und möglicherweise auch des Pankreassekrets. Damit aufgrund der beschriebenen Situation eine Pankreatitis entsteht, werden weitere pathogenetische Faktoren postuliert:

Übertritt der Galle in das Pankreasgangsystem Prädisposition des Pankreas durch eine herabgesetzte oxida­tive Reaktionsfähigkeit.

Die experimentellen und auch klinischen Daten sind allerdings in manchen Aspekten zu lückenhaft, um die einzelnen pathogenetischen Komponenten ausreichend zu belegen.

Die biliäre Pankreatitis unterscheidet sich im Schweregrad und im Verlauf nicht von einer Pankreatitis aufgrund anderer Ursache, so dass die Diagnose der biliären Genese über den Nachweis von Gallensteinen der Gallenblase oder der Gallenwege in Verbindung mit einer Erhöhung der Laborparameter für Cholestase geführt wird. Insofern erfordert die Therapie einer biliären Pankreatitis initial keine wesentlich unterschiedlichen Konzepte im Vergleich zur Behandlung von Pankreatitiden anderer Genese. Die Klärung der Situation im Ductus choledochus ist allerdings eine dringliche Aufgabe, damit ein eventuell verbliebener Stein nicht das pathogenetische Geschehen der Pankreatitis aufrecht­erhält.

Mit der Endosonographie steht eine Methode zur Verfügung, welche unabhängig von der Gasansammlung im Darm eine valide Aussage über die Gallenwege ermöglicht (Abb. [1]) [1] [2]. Bei einer akuten Pankreatitis ist bei der transabdominellen Sonographie mit einer fehlenden Darstellung der Gallenwege in bis zu 60 % der Fälle zu rechnen, was eine erhebliche Einschränkung der Methode bedeutet. Die Endosonographie stellt in 95-100 % der Patienten den Ductus choledochus dar [1] [2]. Aufgrund der hohen Detailauflösung können Strukturen unter 1 mm abgebildet werden; diese Angabe ist speziell für die Gallensteine gültig. Untersuchungen haben diese Vorteile der Endosonographie aufgegriffen und für die akute Pankreatitis evaluiert [3]. Die Patienten (n = 35) wurden bei einer akuten Pankreatitis einer Endosonographie zugeführt, die Sensitivität der Steindetektion wurde u. a. mit der ERCP verglichen. Insgesamt hat die Endosonographie eine gleich hohe Sensitivität und Spezifität wie die ERCP ohne die Komplikationsraten, hier speziell die Induktion einer Pankreatitis, aufzuweisen.

Abb. 1a Endosongraphische Darstellung des normalen D. choledochus.
Abb. 1b Endosonographischer Nachweis von Konkrementen im D. choledochus (Pfeil).

Eine aktuelle Studie von Liu et al. [4] an 100 prospektiv untersuchten Patienten kam zu dem Schluss, dass die Endosonographie als zuverlässige Methode zu bewerten ist, die bei Patienten mit akuter Pankreatitis und dem endosonographischen Nachweis von Gallensteinen im Ductus choledochus eine ERCP nach sich ziehen sollte. Somit kann andererseits, wenn mit der Endosonographie Gallensteine ausgeschlossen wurden, auf eine ERCP verzichtet werden. Formell bedarf diese Hypothese noch einer Überprüfung durch eine prospektive, randomisierte Studie.

Die früher verfolgte Strategie bei jeder Pankreatitis, oder eingeschränkter, bei einer vermuteten biliär bedingten Pankreatitis eine dringliche ERCP durchzuführen, ist aufgrund der Komplikationsträchtigkeit dieser Methodik und fehlender Evidenz des Nutzens nicht mehr anzuraten. In Untersuchungen, mit Fokussierung des Patientenkollektivs auf biliär bedingte Pankreatitiden, zeigte sich ein Vorteil der ERCP durch eine signifikante Reduktion der Gesamtkomplikationen bei den schweren Verläufen [5] oder aber durch eine Reduktion der biliären, nicht jedoch der systemischen oder lokalen pankreatischen Komplikationen [6]. Eine weitere Studie ergab allerdings den Hinweis, dass lediglich diejenigen Patienten von einer dringlichen ERCP profitieren, bei denen eine fortdauernde deutliche Cholestase besteht [7]. In allen anderen Situationen konnte die ERCP den Krankheitsverlauf nicht beeinflussen. In keiner der vorliegenden Studien konnte die Mortalität der Patienten durch die interventionelle Endos­kopie gesenkt werden.

Aus den Daten der verschiedenen Studien leitet sich folgendes Vorgehen ab (Abb. [2]): Patienten mit einer akuten Pankreatitis sollten laborchemisch und mittels konventioneller Sonographie evaluiert werden, ob eine biliäre Genese wahrscheinlich ist und ob eine persistierende Obstruktion des Ductus choledochus durch einen Stein bestehen könnte; weiterhin ist zu klären, ob eine Cholangitis vorliegt. Bestehen diese Voraussetzungen, so ist eine ERCP mit Papillotomie und Steinextraktion anzustreben. Bei den Patienten, bei denen aufgrund der fortbestehenden Cholestase oder einer entsprechenden Symptomatik weiterhin der Verdacht auf eine biliär bedingte Pankreatitis besteht, ebenso auch bei unklarer, „idiopathischer” Ätiologie der Pankreatitis, sollte eine Endosonographie durchgeführt werden. Ergibt sich hierbei kein Steinnachweis, so ist eine ERCP nicht indiziert. Sofern keine Möglichkeit zur Endosonographie besteht, wird folgendes Vorgehen angeraten: Die dringliche ERCP sollte bei Patienten mit akuter Pankreatitis nur dann durchgeführt werden, wenn mittels konventioneller Sonographie und/oder laborchemisch der Hinweis auf eine biliäre Obstruktion vorliegt. Eine ERCP im Intervall nach Besserung der Pankreatitis ist indiziert, wenn sich Hinweise für eine Retention eines Konkrementes im Gallengang ergeben.

Abb. 2 Indikationsstellung zur ERCP bei akuter Pankreatitis.

Literatur

  • 1 Prat F, Amouyal G, Amouyal P. et al . Prospective controlled study of endoscopic ultrasonography and endoscopic retrograde cholangiography in patients with suspected common bileduct lithiasis.  Lancet. 1996;  347 75-79
  • 2 Berdah S V, Orsoni P, Bege T. et al . Follow-up of selective endoscopic ultrasonography and/or endoscopic retrogade cholangiography prior to laparoscopic cholecystectomy: a prospective study of 300 patients.  Endoscopy. 2001;  33 216-220
  • 3 Sugiyama M, Atomi Y. Acute biliary pancreatitis: the roles of endoscopic ultrasonography and endoscopic retrograde cholangiopancreatography.  Surgery. 1998;  124 14-21
  • 4 Liu C L, Lo C M, Chan J K. et al . Detection of choledocholithiasis by EUS in acute pancreatitis: a prospective evaluation in 100 consecutive patients.  Gastrointest Endosc. 2001;  54 325-330
  • 5 Neoptolemos J P, Carr-Locke D L, London N J. et al . Controlled trial of urgent endoscopic retrograde cholangiopancreatography and endoscopic sphincterotomy versus conservative treatment for acute pancreatitis due to gallstones.  Lancet. 1988;  2 979-983
  • 6 Fan S T, Edward C S, Lai M S. et al . Early treatment of acute biliary pancreatitis by endoscopic papillotomy.  N Engl J Med. 1993;  328 228-232
  • 7 Fölsch U R, Nitsche R, Lüdtke R. et al . Early ERCP and papillotomy compared with conservative treatment for acute biliary pancreatitis.  N Engl J Med. 1997;  336 237-242

Prof. Dr. U. R. Fölsch

I. Medizinische Universitätsklinik, Christian-Albrechts-Universität Kiel

­Schittenhelmstraße 12

24105 Kiel

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