PiD - Psychotherapie im Dialog 2002; 3(4): 371-373
DOI: 10.1055/s-2002-36087
Aus der Praxis
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Ich will meinen Weg finden - Jugendliche kommen zu Wort

Der Tag des 20. April 1999 an der Columbine-High-School
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Publication Date:
11 December 2002 (online)

Erster Bericht

Ich bin 17 Jahre alt, mein Name ist N. (weiblich):

Leute begannen, die Treppe runterzurennen und schrien. Ich war wirklich verwirrt. Ich wusste nicht, was dort los war. Plötzlich hörte ich einen Gewehrschuss. Lehrer sagten den Schülern, dass sie rausrennen sollten. Ich begann zu rennen. Ich hörte Gewehrschüsse direkt auf mich zukommen. Das Nächste, was ich merkte, war, dass jemand direkt neben mir angeschossen war. Er fiel, und ich konnte ihm nicht helfen. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich rannte weiter, war in Panik und versuchte, meine Schwester zu finden. Ich wollte das Gebäude nicht verlassen, ohne sie zu finden. Es machte mir Todesangst, und schließlich wurde ich zusammen mit der Menge herausgedrängt. Ich brauchte zwei Stunden, um meine Mutter zu erreichen. Die Telefonanschlüsse waren überall in Benutzung. Ich erreichte sie und fragte sie, ob meine Schwester in Ordnung sei. Sie sagte mir, dass alles in Ordnung sei mit ihr. Sie sagte mir, ich solle sie wieder anrufen, wenn ich wüsste, wo ich mich befände. Stattdessen verließ ich das Haus und versuchte, zu allen Häusern zu gehen, um nach meiner Schwester zu suchen. Ich fand sie schließlich, und wir riefen zurück.

Ich wusste nicht, was ich über die ganze Sache denken sollte. Ich konnte nicht schlafen und ging deshalb zu Ärzten wegen Schlaftabletten. Jetzt kann ich schlafen, aber ich habe Albträume. Ich weiß nicht, was schlimmer ist. Ich kannte Eric, er saß normalerweise neben mir während der ersten Stunden im letzten Schuljahr. Ich machte die ganze Zeit Späße mit ihm, und es war geil. Als ich herausfand, dass er einer der Killer ist, konnte ich es nicht glauben.

Ich denke, wenn sie die Schule nicht ändern, gehe ich nicht mehr zurück, auch wenn ich mit meinen Freunden den Abschluss machen möchte, ich gehe nicht zurück. Wenn sie wenigstens die Cafeteria und die Bücherei ändern, werde ich zurückgehen.

Der Gedenkstein und alles, was die Leute für unsere Freunde, die gestorben sind, getan haben, ist gut. Trotzdem wurde ich darüber ärgerlich. Ich habe den Eindruck, dass es eine Touristenattraktion wird. Leute kommen, um zu sehen, was los ist. Sie verlieren die tatsächliche Bedeutung. Es wurde außerdem eine große religiöse Geschichte. Alle Arten von Kirchen sind gekommen und haben gesungen und gebetet. Das alles regt mich auf. Im Hinblick auf die Kreuze finde ich, dass das so in Ordnung ist. Ich kannte vier von ihnen, die gestorben sind, sehr gut. Einer von ihnen war wirklich ein guter Freund von mir. Aber obwohl diese beiden Jungs etwas Schreckliches getan haben, sie haben eine Familie und hatten Freunde. Sie verloren ihren Sohn und ihren besten Freund. Ich denke, dass im Respekt für diese Menschen - nicht für die Jungs - sie auch ein Kreuz haben sollten. Das Ganze hat mein Leben verändert. Ich werde niemals vergessen, was am 20. April 1999 passiert ist.

Zweiter Bericht

Mein Name ist M. (weiblich), ich bin 16 Jahre alt:

Während ich mit Stefanie aus dem technischen Labor ging, rief ein Lehrer, der in die Halle runterrannte: Geht raus aus dem Gebäude. Direkt, nachdem er das gesagt hatte, hörte ich etwas, was wie Silvesterknaller klang. Ich sagte zu Stefanie: „Das ist wohl ein wissenschaftliches Experiment mit Explosion”, und Stefanie und ich gingen zum Ende der Halle. Wir hörten immer noch das, was ich dachte, nämlich, dass es sich um Knallkörper handele. Um zu den Ausgängen zu kommen, musste man nach rechts gehen. Ich drehte mich nach links und sah eine große Person völlig in Schwarz mit einem Gewehr. Sofort drehte ich mich auf die rechte Seite und begann, mit Stefanie zur Fronttür zu rennen. In dem Moment, als ich die Tür erreichte, sagte Stefanie: „Ich kann meinen Fuß nicht fühlen.” Ich dachte nichts dabei, bis wir den Raum zwischen den Türen erreichten. Während wir zwischen den Türen waren, hörte ich das Explosionsgeräusch lauter und lauter. Stefanie sagte: „Es fühlt sich so an, als ob etwas in meinen Strumpf quillt.” Ich dachte immer noch nichts dazu. Draußen entschied Stefanie, nach ihrem Bein zu gucken. Als ich nach ihrem Bein schaute, sah ich Bluttropfen. Ich griff ihr unter die Arme und sagte ihr: „Du kannst jetzt nicht anhalten, komm.” Nachdem ich sie über die Straße zum Leewood-Park gezogen hatte, saßen wir in der Ecke. Sie zog ihre Beine hoch, und es war eine Schusswunde zu sehen. Stefanie und ich wussten nicht, was passiert war, bis Mr. Heaven kam und sagte: „Oh, du bist angeschossen.” In dem Moment fing ich an zu weinen, immer heftiger und dachte, warum Columbine? Warum passiert so etwas einer meiner Freundinnen? Dann kam die Ambulanz und nahm Stefanie mit. Ich ging, um irgendjemanden zu finden, den ich kenne. Zehn Minuten später begannen Eric oder Dillon, in den Park zu schießen. Mir wurde gesagt, dass ich weiter in die Nachbarschaft gehen sollte. Ich ging dann zum Haus meines Freundes und rief meine Eltern an. Als ich merkte, was passiert war, kam ich in einen Schock. Ich wollte das nicht glauben. Gedanken gingen durch meinen Kopf. Die einzige Person, die ich kannte, war Eric. Eric und ich hatten im letzten Schuljahr Gymnastik zusammen. Eric war ein netter Junge, der mich immer zum Lachen brachte. An diesem Montag war ich zum technischen Labor gegangen, um einige Fotos zu bearbeiten. Eric kam und half mir. Eric und ich konnten dasitzen und über alles und nichts reden. Als Eric mir half, habe ich ihn gefragt, was KMFDM ist. Ich sagte, dass das wohl eine Radiostation sei. Eric wurde aufgeregt und sagte: „Das ist eine deutsche Band.” Und ich sagte: „Tut mir leid.” Eric sprach immer über seine Deutschklasse und wie sehr er sie mochte. Ich dachte nie, dass Eric so etwas tun könnte. Meine Hauptsorge war, dass all meine Freunde in Ordnung sind. Später am Tag fand ich heraus, dass mein bester Freund R. tot war. Nachdem ich das gehört hatte, wollte ich an diesem Tag mit keinem mehr reden. Ich schloss mich für mehrere Stunden in mein Zimmer ein. Meine Hauptsorge ist, dass die Familien der 15, die nun gestorben sind, okay sind, ich bete jeden Tag für diese Familien und hoffe, dass das alles bald heilt. Ich würde die Schule total ändern. Ich würde die Bücherei herunterreißen und den Eingang des Gebäudes ebenso. Ich würde die Cafeteria dahin bringen, wo jetzt der Gymnastikraum ist und den Gymnastikraum dahin, wo die Cafeteria ist. Es ist hart für mich, in die Bücherei zu gehen oder über die Stufen zu gehen, wo R. tot lag. Ich denke, dass die Kreuze ein sehr durchdachtes Ding sind. Sie führen zur Erinnerung an diejenigen, die gestorben sind. Ich denke, es sollte zwei Gedenksteine geben. Einen in Clement- und einen in Columbine-Highschool.

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