Balint Journal 2003; 4(3): 84-85
DOI: 10.1055/s-2003-42527
Tagungsbericht
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Erinnerungen an Dubrovnik 2002

H. Otten1
  • 1Wienhausen
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Publication Date:
24 September 2003 (online)

Ein kroatischer Kollege berichtet auf dem Balint-Treffen in Dubrovnik von einem 42-jährigen Mann, einem Serben, der in seiner Behandlung ist. Er war vor 2 Jahren vom Balkon seines Hauses gestürzt, das er für sich und seine Familie bauen wollte. Er hatte sich eine schwere Rückenprellung zugezogen, konnte lange Zeit nicht arbeiten und wurde schließlich von seinem Arbeitgeber entlassen. Er fand keine neue Arbeit, ließ sich immer wieder krank schreiben, klagte über große Schmerzen, konnte auch an seinem halb fertigen Haus nicht weiter bauen. Inzwischen hatte seine Frau eine Arbeit gefunden und ernährte die Familie.

Den Arzt ärgerte seine passive Haltung. Er sah Menschen mit weit schwereren Verletzungen aus dem Krieg, die auch ihrer Arbeit wieder nachgingen. Was war mit diesem Patienten los? War er faul? Wollte er sich mit einer guten Begründung von seiner Frau versorgen lassen? Konnte er wirklich nicht? Vor dem Krieg hatte er fleißig in einer Baufirma gearbeitet, war dort aufgestiegen und hatte ausreichend Geld verdient. Er war nicht als Soldat in den Krieg gezogen. Er hatte als Serbe in eine kroatische Familie eingeheiratet, hatte mit kroatischen Arbeitskollegen gut zusammengearbeitet. Warum sollte er gegen sie kämpfen? Aber es plagte ihn doch der Gedanke, dass andere Männer gekämpft hatten, während er zu Hause saß.

Es wurde während des Gruppengespräches deutlich, dass er sich nicht als vollwertiger Mann fühlte, dass er sich nirgendwo zugehörig fühlte, nicht zu den Männern, die Soldaten waren, nicht zu den Serben, von denen er abstammte, nicht zu den Kroaten, mit denen er bisher friedlich zusammen gelebt hatte. Er befand sich in einer unausweichlich verzwickten Lage. Wohin mit seiner Wut? Hatte er sie gegen sich selbst gerichtet? War der Unfall eine Folge seiner depressiven Reaktion auf die Geschehnisse? Es tauchte die Frage nach dem Selbstverständnis dieses Mannes auf. Er war das Oberhaupt einer Familie, war erfolgreich im Beruf, hatte seine Familie ernährt, hatte ein Haus gebaut. Er war angesehen in seiner Umgebung. Der Krieg hatte dies verändert.

Ein Kollege berichtete von eigenem Erleben in seiner Praxis. Eine Patientin, die er seit langem behandelte und zu der er einen guten und freundlichen Kontakt hatte, ließ durch ihren Mann ausrichten, sie käme nicht mehr in die Praxis. Sie sei sehr aufgewühlt das letzte Mal nach Hause gekommen und habe ihrem Mann unter Tränen berichtet, dass ein serbischer Patient in der Praxis gewesen sei und der Doktor, mit dem sie eine so gute Beziehung hatte, diesen Serben sehr freundlich verabschiedet hätte. Sie sei daraufhin aus der Praxis geflohen und könne nie mehr zurückgehen. Der Mann erklärte entschuldigend, seine Frau habe im Krieg sehr schlechte Erfahrungen mit Serben gemacht, die sie misshandelt und vergewaltigt hätten. Sie sei einfach noch nicht in der Lage, zu differenzieren, sie mache alle Serben verantwortlich. Wie lange mag das gehen? Mir fiel eine Geschichte aus der eigenen Praxis ein, wo eine Patientin, die 1945 aus ihrer Heimatstadt Frankfurt/Oder nach Westen geflohen war, im Wartezimmer auf einen Gast aus Polen stieß. Als sie seinen polnischen Akzent hörte, stand sie abrupt auf und verließ die Praxis. Auch sie war im Krieg als junges Mädchen von Polen misshandelt und vergewaltigt worden - vor 50 Jahren.

Noch sind Einschusslöcher in einigen wenigen Häusern am Rande von Dubrovnik als Erinnerung an Krieg und Zerstörung zu sehen, die meisten Häuser sind wieder hergerichtet. Der Taxifahrer, der mich vom Flughafen zum Hotel brachte, zeigte mir voll Stolz sein Haus in zauberhafter Lage hoch über der Bucht mit dem Blick aufs Wasser und erzählt mir, dass es fast völlig zerstört war und er es allein wieder aufgebaut hat für sich und seine Familie. Ein Kollege berichtete mir auf der Rückfahrt zum Flughafen, welche Angst er täglich um seine Kinder gehabt hatte, wenn sie zur Schule gingen und die Bomberflugzeuge zu hören waren. Sein 7-jähriger Sohn konnte sie am Klang auseinanderhalten und ihm den Flugzeugtyp sagen und wie weit es noch entfernt war „anstatt Vogelstimmen zu identifizieren oder Autotypen, wie andere Kinder seines Alters”. In der Stimme des Kollegen ist Traurigkeit und Wut zu hören, die Tränen sind ihm nahe. Er zeigt auf die wunderschöne Landschaft, wir werfen einen Blick zurück auf das Weltkulturerbe Dubrovnik, das jetzt friedlich im Sonnenschein liegt, der auf dem Wasser glitzert. Die Dächer sind wieder gedeckt mit neuen Ziegeln, die rasch beschafft werden mussten, um die Gebäude, das historische Ensemble vor Feuchtigkeit, Wind und Wetter zu schützen. Die alten Ziegel, die früher über dem Knie in Handarbeit gefertigt wurden, sind fast alle zerstört. Sie werden Stück für Stück im Laufe der nächsten Zeit wieder hergestellt.

Das äußere Bild zeigt die Ruhe und den Frieden schon an, die in den Menschen erst langsam wieder wachsen müssen.

Dr. Heide Otten

Appelweg 21

29342 Wienhausen

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