Aktuelle Rheumatologie 2004; 29(3): 153-154
DOI: 10.1055/s-2004-813315
Originalarbeit

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Kannst du Schmerzen einfach vergessen?

Can't You Just Forget the Pain?H. Seemann1
  • 1Universitätsklinikum Heidelberg, Abt. Medizinische Psychologie (Leitung: Prof. Dr. R. Verres)
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Publication Date:
08 July 2004 (online)

Allgemeines über das Erinnern und Vergessen von Schmerzen

Rheumakinder haben Schmerzen, die wiederkehrend, unvorhersehbar, behindernd und ängstigend sind. Unter solchen Bedingungen sind Schmerzen emotional belastend und graben sich bei vielen Kindern in das Schmerzgedächtnis ein. Dabei verändern sich strukturell die Schmerzwahrnehmung und Schmerzverarbeitung im Gehirn, die schmerzhemmenden neuronalen Bahnen büßen nach und nach an Potenz ein, die Schmerzwahrnehmung wird sensibler und so ergibt sich längerfristig ein schmerzverstärkender Teufelskreis, der schwer wieder zurückzudrehen ist.

Andererseits werden Schmerzen normalerweise schnell vergessen. Am deutlichsten geschieht das beim Geburtsschmerz. Aber auch Verletzungsschmerzen und Schmerzen nach Operationen werden nach einiger Zeit nicht mehr erinnert. Es sei denn, ein solches Ereignis war mit ausgesprochen negativen Emotionen verbunden - dann werden diese Ereignisse zusammen mit den beteiligten Gefühlen im episodischen Gedächtnis abgelegt. Wenn dagegen der Schmerz in Zusammenhang mit einer sozialen Herausforderung steht, z. B. einem Übergangsritus, wie er bei manchen Ethnien z. B. als Mannbarkeitsritus oder bei religiösen Ritualen der Selbstgeißelung durchgeführt wird, so werden sie und das Ereignis gemeinsam eher emotional positiv oder neutral erinnert. Auch schmerzhafte Strafen, wenn sie vom „Übeltäter”, sei es ein Kind oder ein Erwachsener, als adäquat, d. h. gerechtfertigt bewertet und akzeptiert werden, hinterlassen im Gedächtnis kaum Spuren. Wohlgemerkt: Schmerzen sind, wenn sie aktuell erlebt werden, immer ein mehr oder weniger unangenehmes Erlebnis, außer wenn sie mit sexueller Erregung einhergehen. Ob und wie sie in der Erinnerung abgespeichert werden, hängt von der begleitenden Gefühlsfärbung ab. Dabei kann ein einziges böses Wort, zum „passenden” Zeitpunkt gesagt, sich schmerzlich ins Gedächtnis eingraben.

Schmerzen werden nicht vergessen, wenn sie emotional bedrohlich oder demütigend erlebt werden, wenn sie hilflos machen, wenn sie nicht vorhersehbar und nicht kontrollierbar sind. Dann werden sie im episodischen Gedächtnis aufbewahrt und assoziativ reaktiviert, wenn, und sei es auch in großem zeitlichen Abstand, etwas Ähnliches auftaucht. Denn das Gehirn verarbeitet neu eintreffende Ereignisse auf der Basis erinnerter Erfahrungen - wie sie gefühlsmäßig eingefärbt sind, hängt von der ursprünglichen emotionalen Bewertung ab.

Dipl.-Psych. Hanne Seemann

Universitätsklinikum Heidelberg, Abt. Medizinische Psychologie

Bergheimer Str. 20

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Phone: 0 62 21/56 81 53

Email: Hanne_Seemann@med.uni-heidelberg.de

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