Thorac Cardiovasc Surg 2004; 52(2): 61-64
DOI: 10.1055/s-2004-817929
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Eröffnungsansprache des Tagungspräsidenten Prof. Dr. Dr. h. c. Reiner Körfer

anlässlich der 4. Gemeinsamen Jahrestagung der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie am 15. 2. 2004 im CCH HamburgR. Körfer1
  • 1Herzzentrum Nordrhein-Westfalen, Klinik Thorax- und Kardiovaskularchirurgie, Bad Oeynhausen, Germany
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Received 25. Februar 2004

Publication Date:
22 April 2004 (online)

Es ist das Privileg des Tagungspräsidenten zur Eröffnung unserer gemeinsamen Jahrestagung einige persönliche Anmerkungen zu aktuellen Themen, die unser Fach betreffen, zu machen. Dies ist mir ein besonderes Anliegen in Zeiten, in denen wir mit den Bestimmungen und Folgen einer so genannten Gesundheitsreform, mit den Forderungen nach mehr Qualität in der Medizin und den Auswirkungen der Arbeitszeitgesetzgebung konfrontiert werden.

Die Medien sind voll von Negativberichten über Ärzte, und Kritik am ärztlichen Handeln ist überall angesagt. Der Öffentlichkeit wird suggeriert, dass die Qualität der Krankenversorgung durch Fehlverhalten oder Ignoranz der Ärzte oder Organisationsmängel in Praxen oder Krankenhäusern unzureichend ist. Von Gesundheitspolitikern werden Maßnahmen zur Reduzierung und eine stärkere Kontrolle der ärztlichen Berufsautonomie gefordert, unter den Ärzten existiert ein hohes Maß an Berufsunzufriedenheit und - was ganz besonders bedenklich ist - bei unserem ärztlichen Nachwuchs grassiert die grundsätzliche Kritik an der ärztlichen Aus- und Weiterbildung verbunden mit einem allzu schnellen Verlust einer zunächst von Idealen geprägten Berufsmotivation. Ich werde später noch einmal auf diese Themen zurückkommen.

Das Motto des diesjährigen Kongresses „Vision und Reflexion“ gibt Gelegenheit, einen Blick auf die Vergangenheit zu werfen, wobei ich nicht die Absicht habe, hier die Geschichte der Herzchirurgie abzuhandeln. Ungleich schwerer ist es aber, zukünftige Entwicklungen in der Herzchirurgie vorherzusagen, weil vieles, was als Innovation vorgestellt wird, in der Vergangenheit schon manchmal unter anderen Vorzeichen vorhanden war. Frei nach dem Grundsatz: Es ist vieles schon mal da gewesen, aber leider wieder vergessen worden.

Vor 32 Jahren begann ich in der Klinik für Thorax- und Kardiovaskularchirurgie der Universität Düsseldorf unter der Leitung von Herrn Professor Wolfgang Bircks, der zu meiner großen Freude heute hier ist und den ich ganz besonders begrüße, mit meiner herzchirurgischen Ausbildung. Damals habe ich natürlich unter anderen Vorzeichen erlebt, wie viel Zeit man investieren muss, um ein guter Arzt und ein guter Herzchirurg zu werden. Fand man anfangs relativ wenig Verständnis bei den Kollegen, wenn man sich dazu entschied, eine Laufbahn in der Herzchirurgie anzustreben, so entschädigte schlussendlich doch der Erfolg für vieles. Es gibt sicherlich kaum ein Fach in der klinischen Medizin, das in den letzten dreißig Jahren eine ähnliche Entwicklung genommen hat wie die Herzchirurgie und viele von uns hatten das Glück, dabei zu sein. Denn was vor 30 Jahren noch unvorstellbar war, ist heute klinische Routine. Die Herzklappenchirurgie, die Chirurgie der angeborenen Herzfehler, aber insbesondere auch die Koronarchirurgie, die heute einen wesentlichen Bestandteil unserer Tätigkeit ausmacht, befanden sich im Pionierstadium. Mit vielen Operationen betrat man absolut chirurgisches Neuland. Insofern war es auch nicht verwunderlich, dass das Risiko herzchirurgischer Eingriffe doch teilweise erheblich war. Von den bereits etablierten Herzchirurgen der damaligen Zeit wurde eine stabile psychische Verfassung gefordert, um operative Misserfolge zu verkraften, aber diese Misserfolge waren auf der anderen Seite auch die Basis für spätere positive Entwicklungen, die zum heutigen hohen Standard der Herzchirurgie in Deutschland geführt haben. Dies betrifft natürlich im gleichen Maße auch unsere Nachbarländer Österreich und die Schweiz. Der in unseren Ländern erreichte heutige Qualitätsstandard sucht auf der ganzen Welt seinesgleichen und braucht auch keinen Vergleich mit dem Goldstandard USA zu scheuen.

Doch was waren das für Entwicklungen, die uns damals weiter brachten? Manuell waren unsere Lehrer sicher nicht ungeschickter als wir. Ich möchte nur einige, für mich persönlich aber wesentliche, Entwicklungen erwähnen.

Es waren manchmal nur kleine Verbesserungen, die große Wirkung zeigten. Einer der epochalen Fortschritte der neuen Fachdisziplin verband sich mit einer gestaltlich eher unscheinbaren Kreation. Die Einführung atraumatischen monofilen Nahtmaterials ist eine der segensreichsten Verbesserungen in der Herz- und Gefäßchirurgie gewesen. Nur die Älteren werden sich noch daran erinnern, wie schwierig, ja manchmal unmöglich es war, mit einem geflochtenen Faden eine saubere Gefäßanastomose herzustellen. Ich möchte sagen, dass die gesamte Koronarchirurgie ihren Höhenflug der Einführung monofiler Fäden zu verdanken hat.

Die Entwicklung und Herstellung kardioplegischer Lösungen, in Deutschland vor allem angetrieben von Bretschneider und seinen Mitarbeitern, erlaubte es in zunehmendem Maße, große und komplizierte Eingriffe ohne den Druck der zeitlich begrenzten Ischämietoleranz durchzuführen. Damit konnte das Risiko vieler herzchirurgischer Eingriffe erheblich gesenkt werden.

Ich möchte an die Entwicklung der Herzklappen erinnern. Ende der sechziger/Anfang der siebziger Jahre gab es die ersten von Albert Starr vorgestellten Kugelventilprothesen, die nennenswerte Langzeitergebnisse brachten, aber deren Hämodynamik sicherlich noch sehr zu wünschen übrig ließ. Es kamen dann die ersten Monokippscheiben, die Doppelflügelprothesen und die so genannten biologischen Klappen für die unterschiedlichsten Indikationen. Aber die Basis für alle diese Operationen war auch die Entwicklung der extrakorporalen Zirkulation. Galt früher der Grundsatz „eine kürzere Bypasszeit ist besser als eine längere“ so führte die Weiterentwicklung der Herzlungenmaschine - insbesondere der Oxygenatoren - dazu, dass auch mehrstündige Operationen mit der extrakorporalen Zirkulation ohne primäre Schädigung des Patienten durchgeführt werden konnten. In diesem Zusammenhang ist sicherlich auch auf die Entwicklung der Kreislaufunterstützungssysteme sowie auf die Entwicklung der Kunstherzen hinzuweisen. Früher nur als kurzfristige Maßnahme zur Erholung des Herzens nach konventionellen herzchirurgischen Eingriffen gedacht, sind heute Assist Devices als längerfristige Überbrückung bei Patienten auf der Warteliste zur Herztransplantation oder gar als Alternative zur Herztransplantation in Anwendung. Die Weiterentwicklung bei der Herztransplantation selbst hat nach der Zeit der Stagnation in den 70er Jahren mit der Entwicklung entsprechender Immunsuppressiva praktisch den Status einer normalen Operation erreicht, wobei die Transplantation selbst immer noch einen hohen emotionalen und publicityträchtigen Stellenwert hat. Die Problematik heute allerdings liegt, wie wir alle wissen, an dem Mangel an Spenderorganen. Schlussendlich erinnere ich noch an die Entwicklung in der Kinderherzchirurgie. Die früher durchgeführten Palliativeingriffe sind heute eine Seltenheit geworden, Korrekturen auch komplexer Vitien im Neugeborenen- oder Säuglingsalter sind keine Vision mehr, sondern Routine geworden.

Alles in allem gab es in den letzten Dekaden große und kleine Innovationen, die dafür gesorgt haben, dass die Herzchirurgie in unseren Ländern eine Qualität erreicht hat, die früher undenkbar war. Dies ist auch leicht abzulesen in den jährlich präsentierten Berichten unserer Gesellschaft, die als erste überhaupt sich mit Qualitätssicherung beschäftigt, lange bevor sich Politiker aus ganz anderen Gründen damit hervortaten und die Qualitätssicherung für ihre Wahlkämpfe entdeckten.

Dennoch soll auch nicht verschwiegen werden, dass es Entwicklungen gegeben hat, die sich als nicht erfolgreich erwiesen haben. Dabei haben insbesondere auch bei den Herzklappen manche proklamierte Verbesserungen nicht das erbracht, was sich die Hersteller erhofften. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Kunststoffbeschichtung der Stents bei den Kugelventilprothesen oder an den Versuch, den Öffnungswinkel bei den Monokippscheiben zu vergrößern. Die Bügelbrüche sind den meisten von uns noch in lebhafter Erinnerung. In der neueren Zeit haben sicherlich die Lasermyokardrevaskularisation oder die dynamische Kardiomyoplastie nicht die Hoffnungen erfüllt, die mit der Einführung dieser Maßnahmen verbunden waren. Aktuelle Verfahren zur Behandlung der Herzinsuffizienz, wie z. B. die so genannte Batista-Operation oder Operationen unter Zuhilfenahme mechanischer Devices wie dem Myo Splint oder dem Acorn-Netz, werden es meiner persönlichen Überzeugung nach schwer haben, ihren Stellenwert in der Behandlung der Herzinsuffizienz zu etablieren.

Die umfassendste Innovation in der Herzchirurgie in neuerer Zeit wird unter der Überschrift „Minimal-Invasive Therapie“ zusammengefasst, ergänzt noch durch die Verwendung von so genannten Robotern oder Telemanipulatoren. Medienwirksam - insbesondere von den Herstellern entsprechenden Instrumentariums - vorangetrieben unter dem Motto „Kleine Schnitte, große Wirkung“ erlebte die minimal-invasive Herzchirurgie in den letzten Jahren eine faszinierende Beachtung. Das eigentliche Ziel des herzchirurgischen Eingriffs wurde teilweise dem Ergebnis einer kosmetischen Operation untergeordnet. Längere Operationszeiten, unübersichtliche Operationsfelder, zum Teil komplikationsreichere Operationsabläufe und Ergebnisse, die nachweislich nicht besser sind als die der konventionellen Eingriffe, sind offensichtlich, aber werden meiner Meinung nach sicher nicht hinreichend diskutiert. Wie kann man den Verschluss eines Vorhof-Septum-Defektes mit einer Herz-Lungen-Maschinen-Zeit von 200 Minuten als Innovation ansehen und dieses Operationsverfahren gar für die Zukunft zum Standard erklären. Wie viele Patienten zum Beispiel durch die Anwendung des Port-Access-Systems unnötigerweise Probleme bekommen haben, ist sicherlich nur Insidern oder den Herstellern der Systeme bekannt. In der Vergangenheit haben viele Verfahren ihren definitiven Stellenwert erst dadurch erreicht, dass offen über Nutzen und Komplikationen diskutiert wurde. Ein Paradebeispiel ist hier die Einführung der intraaortalen Gegenpulsation, heute aus der Behandlung des Low-cardiac-output-Syndroms nicht mehr wegzudenken. Auch die minimal-invasive Koronarchirurgie erfährt mittlerweile ihre ersten Dämpfer. Hierbei erinnere ich nur an die kürzlich erschienene Arbeit von Pepper und Mitarbeitern über die Patency Rate im Vergleich zu konventionell durchgeführten Revaskularisationen. Sollte die alte chirurgische Maxime, dass ein optimaler Situs die Basis für den Erfolg einer Operation darstellt, doch noch Gültigkeit haben? Die nahe Zukunft wird sicherlich zeigen, ob die minimal-invasive Herzchirurgie den Platz, den ihr auch heute noch viele Herzchirurgen einräumen wollen, wirklich verdient.

Lassen Sie mich noch einige Anmerkungen zur Stammzelltherapie, zum Tissue-Engineering und zur Xenotransplantation machen. Auch hier stehen wir sicherlich noch in unterschiedlichem Maße ganz am Anfang. Die ersten, insbesondere von Kardiologen, durchgeführten klinischen Versuche mit adulten Stammzellen bei der Behandlung der ischämischen Herzerkrankung haben für viel Aufsehen gesorgt. Bei näherem Hinsehen jedoch stellt man schnell fest, dass diese Ergebnisse einer wissenschaftlichen Prüfung sicherlich nicht standhalten. Persönlich bin ich gespannt aber durchaus skeptisch, ob im Bereich der Herzchirurgie die Stammzellen ihren Platz finden. Auch bei Tissue-Engineering muss sich erst noch zeigen, ob sich die Laborergebnisse auf die Klinik übertragen lassen, wünschenswert wäre das alle Male. Was die Xenotransplantation angeht bin ich persönlich eher pessimistisch und vertraue in der nächsten Zukunft eher in der Behandlung der Herzinsuffizienz auf die mechanische Alternative.

Ich denke, dass die entscheidenden Fortschritte in der Herzchirurgie in den siebziger und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts gemacht wurden. Jedes heute als Innovation propagierte Angebot, sei es technischer oder operativer Natur, muss sich am hohen Standard der heutigen Herzchirurgie und der damit erreichten Lebensqualität für die Patienten messen lassen. Ich meine, z. B. dass die Zeit der so genannten Learning-Curves bei der Einführung neuer Operationsverfahren nicht mehr akzeptiert werden kann. Echte Innovationen werden somit in Zukunft sicherlich viel seltener werden.

Die Entwicklung der Medizin in Diagnostik und Therapie, die nicht zuletzt damit verbundene demografische Entwicklung und die damit verbundene Diskussion der Finanzierbarkeit des Gesundheitssystems haben zu einer breiten gesellschaftlichen Auseinandersetzung, primär unter ökonomischen Aspekten, geführt, ja, man hat den Eindruck, dass die gesamte Gesundheitsreform zu einer Diskussion über Geldfragen degeneriert ist. Politiker, anerkannte und selbsternannte Gesundheitsexperten, Kostenträger und die Leistungserbringer, nämlich die Ärzteschaft, vertreten unterschiedliche Konzepte und Forderungen. Dabei tut sich bedauerlicherweise gerade die Ärzteschaft mit der Definition des eigenen Berufsbildes schwerer und schwerer. Das Selbstverständnis des Arztes in seiner ethischen Einstellung, unter welchen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen auch immer, sollte sich eigentlich nicht ändern. Der Arzt ist nach wie vor der geeignetste Anwalt des akut oder chronisch oder prospektiv erkrankten Menschen. Das heißt, ökonomische Überlegungen sollten das Handeln des Arztes auch, aber nicht vor allen Dingen bestimmen. Dringlichstes Anliegen ist es daher nach wie vor, dem Patienten Hilfe, Heilung oder Linderung seiner Beschwerden zukommen zu lassen. Trotz dieser ärztlichen Grundfesten ist es der Gesundheitspolitik und der Berichterstattung in den Medien, kräftig unterstützt von gewerkschaftlich orientierten Kreisen unseres Standes, offensichtlich gelungen, dass sich junge Menschen vom Medizinstudium abwenden. Die Zahl der Medizinstudenten ist bei konstanter Zahl von Studienanfängern in der letzten Dekade um über zehn Prozent zurückgegangen. Die Zahl der Absolventen des Medizinstudiums ist in den letzten Jahren um über zwanzig Prozent gesunken und die Zahl der Studienabbrecher bzw. Studienplatzwechsler ist nach wie vor steigend. Die Zahl der Approbationen ist um nahezu zwanzig Prozent gesunken. Ärzte mit abgeschlossener Ausbildung tendieren zu nichtärztlichen Tätigkeiten oder suchen ihr berufliches Glück im Ausland. Erstaunlicherweise betrifft das in besonderer Weise die operativen Fächer. Hierzu haben vor allem die in den letzten Jahren eingeführten äußeren Rahmenbedingungen beigetragen. Die Ausbeutung der ärztlichen Arbeitskraft auf der einen und ein unsinniges Arbeitszeitgesetz auf der anderen Seite, eine im Vergleich mit anderen Berufen unakzeptable Reduzierung der Einkommenserwartung, eine Überfrachtung mit nichtärztlichen Aufgaben und Vorschriften, insbesondere im Bereich der Dokumentation, haben ihre Spuren hinterlassen. Der Idealismus, der für ganze Chirurgengenerationen prägend war, wird dem jungen Arzt von heute durch die Gesundheitspolitik per Gesetz untersagt. Die Verpflichtung dem Patienten gegenüber lässt sich nicht in die Fesseln eines 8-Stunden-Tages oder einer 5-Tage-Woche pressen. Nach wie vor sollte die Arbeitszeit eines Arztes von den medizinischen Bedürfnissen der Patienten abhängig sein. Heutzutage allerdings wird der junge Chirurg, und das auch noch von den eigenen Standesvertretern mit Lastwagenfahrern verglichen, diese müssen auf ihren Fahrtenschreibern nachweisen, dass sie ihre Arbeitszeiten und Ruhepausen einhalten, die Ärzte müssen selbst dokumentieren - kontrolliert von den Ämtern für Arbeitsschutz - dass sie sich nicht überarbeitet haben und gefährlich für die Patientenversorgung werden. Wozu die Umsetzung des Arbeitszeitgesetzes führt, ist bekannt: Längere Ausbildungszeiten, weniger Verdienst. Darüber hinaus führt die Beschneidung der Arbeitszeit mit den konsekutiven Schichtdiensten zunehmend zu einer Zerstörung des Arzt-Patienten-Verhältnisses und zu einem erheblichen Verlust der Qualität der Patientenversorgung. Die inflationär steigende Anzahl ärztlicher Verwaltungsarbeiten tut ihr Übriges dazu. Doch warum beklagen wir uns? Wie viel Schuld trifft uns dabei selbst und vor allem auch unsere Vertreter. Hätte nicht viel eher ein Ruck durch die Ärzteschaft gehen müssen, hätte eine Gesundheitsministerin Ulla Schmidt nicht eher und viel intensiver den Gegendruck der Ärzte verspüren müssen? Kann es wirklich sein, dass die Ärzteschaft den in Berlin produzierten Dilettantismus ohne größere Gegenwehr akzeptiert? Glaubt man wirklich, dass durch die Einführung von DRGs oder DMPs das Gesundheitssystem verbessert wird? Wird eigentlich vergessen, dass der Arzt im Praktikum seinerzeit nur eingeführt wurde, um Personalkosten zu sparen - im Übrigen mit Zustimmung unserer Ärztefunktionäre? Welche Berufsgruppe hätte es akzeptiert, dass ein fertig ausgebildeter Hochschulabsolvent für ⅓ des Gehaltes die gleiche Arbeit verrichtet wie ein etablierter Assistent? Es hat viel zu lange gedauert, bis diese Diskriminierung der Berufsanfänger wieder rückgängig gemacht wurde. Arbeitszeitgesetz und Qualität in der Medizin sind meiner Meinung nach nicht unter einen Hut zu bringen. Qualität gibt es eben nicht ohne Quantität, gerade in den operativen Fächern. Wie soll ein junger Assistent sich operativ weiterbilden, wenn er nur noch gelegentlich die Möglichkeit dazu hat. Sie müssen mich richtig verstehen, ich bin nicht dafür, dass Überstunden und Mehrarbeit nicht bezahlt werden. Ich bin im Gegenteil für eine angemessene Bezahlung der geleisteten Arbeit. Auch hier, denken wir z. B. nur an das Gutachterwesen, finden sich groteske Diskrepanzen im Vergleich zur übrigen Wirtschaft. Ich wehre mich aber strikt dagegen, mir von Staats wegen oder von Gewerkschaftsseite die Arbeitszeit vorschreiben zu lassen.

Wie will man eigentlich mit einer, wie sie jetzt gewollt und propagiert, begrenzten Arbeitszeit Eliten schaffen, wie aktuell diskutiert und vorgeschlagen wird. Ich würde mir zunächst wünschen, dass diese Eliten in unserer Politik vertreten wären, dann würden sicherlich nicht Gesetze verabschiedet, die offensichtlich so wenig durchdacht sind, dass sie am nächsten Tag schon wieder ergänzt oder geändert werden müssen. Welche Gesetze werden uns von Politikern übergestülpt, deren ganzes Bestreben nur vom Machterhalt geprägt ist und die unser Gesundheitssystem vor die Wand fahren. Denn eine Gesundheitsreform, die die strukturellen Ergebnisse der medizinischen Versorgung nach dem heute verfügbaren Wissensstand angemessen nutzbar werden lässt, ist nicht verwirklicht worden und selbst im Planungsansatz nicht erkennbar. Die derzeitigen Beschlüsse vermitteln lediglich den Eindruck der Improvisation und die bereits eingeleiteten Korrekturmaßnahmen befassen sich mit Nebensächlichkeiten. Die verlängerte Geltung von Pillenrezepten hat 2 Tage lang die Hauptnachrichten der Fernsehsender als ökonomische Stabilisierungsmaßnahme der Volksgesundheit beschäftigt.

Und Eliten entstehen nicht durch die Einrichtung entsprechend bezeichneter Abteilungen, sondern durch die Bewährung befähigter Fachvertreter im internationalen Wettbewerb.

Ich würde mir auch wünschen, dass wir Funktionäre hätten, die das Rückgrat haben, die Interessen der Ärzte und Patienten kompromisslos zu vertreten. Die Zeit des sich Gegenseitig-auf-die-Schultern-Klopfens ist meiner Meinung nach vorbei. Es sind harte Zeiten angebrochen und die Ärzteschaft ist leider auf dem Weg, sich selbst ins Abseits zu befördern. Man kann sein Gesicht wahren, man kann sein Gesicht verstecken, man kann sein Gesicht aber auch verlieren und wir sind leider dabei, das Letztere zu tun. Ich meine, dass wir es uns selbst, aber insbesondere auch unserem Nachwuchs und den folgenden Arztgenerationen schuldig sind, das Heft wieder selbst in die Hand zu nehmen und die Basis für eine Medizin zu schaffen, in der die Bedürfnisse der Patienten höchste Priorität genießen. Doch das verlangt Solidarität aller Ärzte - Zweifel sind angebracht. Wir werden vielleicht unsinnige Dinge nicht immer verhindern können, aber ein bisschen mehr könnten wir uns schon wehren - noch haben wir die Patienten auf unserer Seite.

Prof. Dr. Med. Reiner Körfer

Herzzentrum Nordrhein-Westfalen · Klinik Thorax- und Kardiovaskularchirurgie

Georgstraße 11

32545 Bad Oeynhausen

Germany

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