Geburtshilfe Frauenheilkd 2004; 64(12): 1277-1278
DOI: 10.1055/s-2004-830479
Editorial

Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Mammographie-Screening als Brustkrebsfrüherkennungsstrategie?

Mammography Screening as a Strategy for Early Detection of Breast Cancer?I. Schreer1
  • 1Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel
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Publication Date:
23 December 2004 (online)

Die Prognose von Frauen mit Brustkrebs wird durch das Tumorstadium bei Diagnosestellung bestimmt. 20-Jahres-Überlebensraten für nodal negative T1a/T1b-Tumoren liegen bei 90 bis 95 %, im Falle eines DCIS bei über 95 %. In großen randomisierten Mammographie-Screening-Studien konnte die Effektivität des regelmäßigen Einsatzes der Mammographie für die Mortalitätsreduktion des Mammakarzinoms gezeigt werden. Folglich werden in einigen europäischen Nachbarländern seit teilweise mehr als 10 - 20 Jahren (z. B. Schweden) nationale Screening-Programme umgesetzt. Es war also hohe Zeit, dass auch in unserem Land mit Änderung der Früherkennungsrichtlinie des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen die Mammographie für einen Teil der Frauen in den Kassenärztlichen Leistungskatalog aufgenommen wurde.

Der überwiegende Teil der heute schon laufenden nationalen europäischen Screening-Programme hat als Grundlage der erforderlichen Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität die European Guidelines for Quality Assurance in Mammography Screening, die sich vor allem für den Einsatz in zentral organisierten Gesundheitsversorgungssystemen eignen, aber auch in einzelnen Aspekten Implementierungsvorschläge für dezentral organisierte Versorgungsstrukturen enthalten. Die so genannte Kooperationsgemeinschaft „Mammographie in der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung“ (früher Planungsstelle „Mammographie-Screening“) ist beauftragt, ein Mammographie-Screening in unserem Land umzusetzen. Ende 2005 soll gemäß politischer Willensbekundung dies flächendeckend vollzogen sein: Eine schier unmögliche Zielsetzung, wenn man den Status quo in den verschiedenen Bundesländern im Herbst 2004 betrachtet.

In unserem Selbstverwaltungssystem kommt es als Folge der vielen Akteure zu entsprechend vielfältigen Interessenskonflikten, die sich als massiver Flaschenhals für die Umsetzung des Programms auswirken. Hier nur einige zentrale Beispiele: Um die anspruchsberechtigten Frauen auf Einwohnermeldedatenbasis einladen zu können, bedarf es zunächst einer Gliederung des jeweiligen Landes in so genannte Screening-Regionen sowie der Einrichtung so genannter zentraler öffentlicher Stellen. Bisher hat nur ein Bundesland dieses Problem gelöst. Konfliktpartner sind die Kassen und die KVen mit den durch sie vertretenen Vertragsärzten. Diese müssen sich weiterhin über den Punktwert für die anzubietenden Leistungen einigen. Auch dies ist bisher vielerorts nicht geschehen. Solange jedoch die Finanzierung ungeklärt ist, werden sich keine ärztlichen Partner (sog. programmverantwortliche Ärzte) finden, die sich der zugleich risiko- und verantwortungsreichen Aufgabe zu stellen bereit sind. Noch langwieriger werden sich die notwendigen daten- und strahlenschutzrechtlichen Veränderungen auf Länderebene gestalten. Ohne funktionierende Krebsregister werden wir, selbst nach 10 Jahren Laufzeit eines erfolgreichen Screening-Programms, nichts über den Effekt dieser Maßnahme sagen können.

Abgesehen von der notwendigen Zeit, die erforderlich sein wird für die Umstrukturierung und das Qualitätsmanagement, müssen jedoch auch grundsätzliche Limitierungen des im Aufbau befindlichen Screening-Programmes benannt werden.

Es wird nur einen kleinen Teil eines umfassenden Brustkrebsfrüherkennungsprogramms ausmachen können: Die Konzentration auf 50- bis 69-jährige Frauen schließt jüngere und ältere Frauen aus. Unter gesundheits- und finanzpolitischen Aspekten mag dies sinnvoll erscheinen, nicht jedoch, wenn man die altersabhängige Inzidenz betrachtet. So treten z. B. in Schleswig-Holstein etwa 20 % aller Mammakarzinome bei Frauen unter 50 Jahren und weitere etwa 30 % bei Frauen ab dem 70. Lebensjahr auf, d. h. etwa 50 % der Brustkrebsfälle fallen aus dem qualitätsgesicherten Versorgungskonzept heraus, und die Frauen sind angewiesen darauf, Symptome zu entwickeln, um Anspruch auf bildgebende Diagnostik zu haben. Ein 2-jährliches Untersuchungsintervall wird weder der Heterogenität des Mammakarzinoms gerecht noch den bekannten Grenzen der Sensitivität der Mammographie. Letztere erweist sich zusätzlich begrenzt in Abhängigkeit von der Dichte des Drüsenparenchyms. Hier ist aus ärztlich-fachlicher Warte sowohl die ergänzende Tastuntersuchung als noch viel mehr der gezielte Einsatz einer (selbstverständlich ebenfalls qualitätsgesicherten) Ultraschalluntersuchung zu fordern. Die Mammographie ist zwar die heute beste Früherkennungsmethode, dennoch deutlich entfernt davon, perfekt zu sein.

Die 1 : 1-Übernahme des niederländischen Screening-Programms in unsere Versorgung bedeutet daher, selbst wenn wir es schaffen sollten, alle Qualitätsindikatoren umzusetzen, einschließlich einer mehr als 70 %igen Beteiligungsrate, dass wir sehenden Auges eine 30 - 40 %ige Intervallkarzinomrate tolerieren und die Frauen mit der Einladung zur Beteiligung diesem Risiko aussetzen. Darüber muss offen gesprochen werden.

Prof. Dr. I. Schreer

Prof. Dr. I. Schreer

Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel

Michaelisstraße 16

24105 Kiel

Email: ischreer@email.uni-kiel.de

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