DO - Deutsche Zeitschrift für Osteopathie 2003; 1(02): 4-5
DOI: 10.1055/s-2004-831017
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Hippokrates Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co.KG Stuttgart

Renzo Molinari

Medizin des dritten Jahrtausends
Christoph Newiger
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Publication History

Publication Date:
28 July 2004 (online)

Erstaunliches tat sich 1993 in England: Mit dem “Osteopath’s Act” waren die Osteopathie jenseits des Ärmelkanals gesetzlich anerkannt und die Ausbildungskurse der European School of Osteopathy (ESO) durch die Universität Wales validiert.

Renzo Molinari befand sich damals noch in Frankreich. Er kannte die ESO gut. Seit 1988 hielt er dort Vorlesungen, schätze deren Organisation und akademische Entwicklung. Er selbst war am Collège Ostéopathique Francaise tätig, dass er Jahre zuvor gemeinsam mit André Ratio gegründet hatte. Der gleiche André Ratio der ihn zur Osteopathie geführt hatte, damals, als er im Alter von 22 Jahren einen Anruf erhielt, Ratio sich ihm vorstellte und erzählte, dass er Osteopath sei. Molinari durfte ihn daraufhin bei dessen Arbeit beobachten und wusste sofort, “dass ist das, wonach ich seit Jahren gesucht habe.”

Wie es begann

Seine ersten osteopathischen Erfahrungen hatte Renzo Molinari bereits als Kind gemacht. Seine Mutter litt oft unter Rückenschmerzen und bat ihn, sie zu massieren. Sehr genau spürte er dabei, wie die unterschiedlichen Gewebestrukturen, deren Tonus und Spannungszustände, seine Hände führten. Und jenes eigenartige Gefühl, Raum geschaffen zu haben, wenn er das Gewebe befreit hatte.

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Renzo Molinari im Gespräch mit der “großen alten Dame” der Osteopathie: Viola Fryman

Im Alter von 12 Jahren wurde ihm eine Berufsberaterin vorgestellt. Als diese ihn fragte, was er denn eines Tages machen wolle, antwortete er, “ich will Menschen mit meinen Händen behandeln.” Sie empfahl ihm, Masseur zu werden, worauf der junge Renzo ihr klarmachte, dass es ihm nicht ums Massieren ginge, sondern vielmehr darum, Menschen zu helfen, wieder gesund zu werden. Ihr nächster Vorschlag lautete, Medizin zu studieren und als er auch das ablehnte, gab sie auf und erzählte ihm von den unendlichen Möglichkeiten der neuen Computer.

Mit 15 Jahren las er ein mittlerweile vergriffenes Buch, “Hands of Miracle” von einem Autor Namens Kessel. Es war für ihn wie eine Offenbarung. Endlich hatte er den Beleg dafür gefunden, dass das, was er schon als Kind wahrgenommen hatte, tatsächlich möglich war: Menschen wirksam mit den Händen zu behandeln.


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Wann ist man Osteopath?

Nachdem Renzo Molinari die Osteopathie durch André Ratio kennen gelernt hatte, begann er umgehend mit einer osteopathischen Ausbildung und besuchte drei verschiedene Schulen. Zudem studierte er Homöopathie und Energetische Medizin. Nicht um beides selbst anzuwenden, sondern um besser mit anderen Therapeuten zusammenarbeiten zu können.

Osteopathie nur zu praktizieren, war ihm aber nicht genug. Er wollte dazu beitragen, dass die Osteopathie an Bekanntheit gewinnt, Anerkennung findet und vielen Menschen hilft. Die Gründung einer eigenen Schule, gemeinsam mit seinem damaligen “Lehrmeister”, war daher nur konsequent. Auf das Unterrichten selbst hätte er damals aber gern verzichtet. Denn trotz aller Euphorie stand ihm seine eigene Schüchternheit im Weg. Es war deshalb nicht nur Akribie, die ihn seinen allerersten Vortrag - damals über die interkraniellen Membranen - 45 Tage lang vorbereiten ließ. Während des Vortrages hatte er sich dann an die so mühsam erarbeiteten Unterlagen nicht gehalten. Da hatte er wohl schon entdeckt, wie viel Spaß es ihm macht, komplizierte Sachverhalte vereinfacht zu erklären und dass die einzige Möglichkeit, Konzepte in ihrer ganzen Tiefe zu verstehen, darin besteht, sie anderen Menschen zu erläutern.

Ein wahrer Osteopath, meint Renzo Molinari, sei er aber erst geworden, als er sich die Zeit nahm, sich selbst zu entdecken und sein eigenes Potential zu entfalten. 14 Monate lang, von 1980 bis 1981, hielt er sich dazu in Indien auf. Das Kennenlernen und der Umgang mit der tibetischen und indischen Kultur, Kunst und Philosophie machte ihn erst zu dem, was er heute ist.

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Wechsel nach England

Im Jahr 1991 durfte Renzo Molinari als Gastdozent der ESO an einer Fakultätsversammlung in England teilnehmen. Dieses Treffen beeindruckte ihn sehr: Ein ganze Wochenende lang saßen über 100 Personen zusammen, um über alle Aspekte der Schule zu diskutieren. Jeder Teilnehmer, unabhängig vom Alter und Position, konnte mitreden und seinen Meinung kundtun und alles dies geschah in einer Atmosphäre des Respekts und des Wissens um das gleiche Ziel, die Osteopathie voranzubringen.

Dieses Erlebnis brachte ihn dazu, drei Jahre später komplett nach Maidstone zu wechseln. Seit seiner ersten Begegnung mit der ESO 1980 hatte er gespürt, dass diese Schule etwas ganz Besonderes für ihn war. Dieser Ort stand nicht nur für herausragende Osteopathie, sondern hier herrschte jenes starke philosophische und seelische Bewusstsein dafür, was es wirklich bedeutet, anderen zu helfen.

Als die Osteopathie in England anerkannt wurde und die ESO die Weihen der Universität von Wales erhielt, vollzog er jenen Schritt, den er unbewusst schon längst gegangen war.

Der Wechsel nach England 1994 fiel ihm nicht schwer. Als Sohn italienischer Eltern, der in Frankreich geboren und aufgewachsen war, fühlte er sich als Europäer. Zudem liegt Maidstone im Südosten Englands und lud ihn mit mildem und sonnigen Klima ein.

Seit neuen Jahren lebt Renzo Molinari nun schon in England, gemeinsam mit seiner Frau Anne-Marie, die gerade ihr Studium als Innenarchitektin beendet hat, und seinen beiden Kindern, Johann von achtzehn und Anna von vierzehn Jahren. Zuhause spricht man Französisch.

Die Schule, deren Rektor er mittlerweile geworden ist, und die anderen osteopathischen Aktivitäten, nehmen ihn voll in Anspruch. Innerhalb der Unterrichtsklinik der ESO hat er einen eigene osteopathische Klinik für Geburtshilfe und Gynäkologie gegründet, an der als Berater jeden Mittwoch Nachmittag arbeitet. Zudem behandelt er die Spieler eines Londoner Fußballklubs der Premier League.

Für Freizeit-Aktivitäten bleibt ihm da wenig Zeit. Auch weil er gerade an einem eigenen Buch arbeitet. Aber wenn dieses Projekt beendet sein wird, will er sich seiner alten Leidenschaft, der Bildhauerei widmen, und endlich jene Skulptur schaffen, von der er seit Jahren träumt.


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Networking

Osteopathie versteht Renzo Molinari als eine eigenständige Form der Medizin, mit eigenen philosophischen Grundlagen, diagnostischem Ansatz und klinischer Umsetzung. Um ihre Philosophie und Identität zu wahren, muss die Osteopathie unabhängig bleiben. Am besten über eine Vollzeitausbildung auf universitärer Ebene. Die Entwicklung der amerikanischen osteopathischen Gesellschaft und Akademie hin zur manuellen Medizin sieht er mit Sorge, denn er befürchtet, dass dabei die philosophischen Grundlagen verloren gehen. In Europa entwickele sich die Osteopathie prächtig. Es ist deshalb an der Zeit, sagt er, dass unsere amerikanischen Kollegen uns ernst nehmen und als gleichberechtigte Partner betrachten.

Um die Entwicklung in Europa zu unterstützen, hat Renzo Molinari das OSEAN gegründet, das Osteopathic European Academic Network. Das Konzept ist einfach: Weil die verschiedenen Ausbildungsinstitutionen in den einzelnen Ländern sich auf unterschiedlichem Entwicklungsstand befinden, profitieren sie davon, wenn sie miteinander verknüpft sind und sich austauschen können. OSEAN verfolgt mehrere Ziele: Die Entwicklung eines strengen und standardisierten Ausbildungsmodels, die Sicherstellung vergleichbarer Mittel für die einzelnen Ausbildungsinstitutionen, die Etablierung und Entwicklung gemeinsamer Forschungsansätze, die Schaffung aktiver Kommunikationsmöglichkeiten auf wissenschaftlicher, akademischer und beruflicher Ebene und schließlich die akademische Anerkennung der Osteopathie in allen europäischen Ländern. Denn nur über Letztere kann eines Tages auch die berufliche Anerkennung folgen.

Sein Traum ist es, in jedem europäischen Land den Osteopathen als einen eigenständigen, geregelten und anerkannten Beruf zu sehen, mit Ausbildungsstätten auf Hochschulniveau, die eigene universitäre Abschlüsse vergeben. Er weiß, dass er ein Idealist ist, aber die Osteopathie wird - davon ist er überzeugt - eine der Medizinformen des dritten Jahrtausends sein.


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