Psychother Psychosom Med Psychol 2005; 55(2): 86-88
DOI: 10.1055/s-2004-834623
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Psychosomatik im Allgemeinkrankenhaus: Blick zurück nach vorn

Psychosomatics in General Hospitals - Looking Back and AheadWalter  PontzenVortrag auf der Tagung: Psychosomatik und Psychiatrie am Allgemeinkrankenhaus: Sind Konsiliar-/Liaisondienste Luxus oder Notwendigkeit? 23./24.1.2004
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Publication Date:
01 February 2005 (online)

Beginnen möchte ich mit einem längeren Zitat eines Vortrags, den ich 1986 gehalten habe mit dem Titel: 1980 - 2005. 25 Jahre psychosomatische Abteilung an einem Allgemeinkrankenhaus - ein Rückblick [1].

„Die psychosomatische Abteilung am Städt. Krankenhaus in Nürnberg besteht seit einem Viertel Jahrhundert, ein schöner Anlass, die Entwicklung de Abteilung in ihrem Grundzügen nachzuzeichnen. Mein Dank gilt vor allem den Politikern der Stadt, die durch eine politische Entscheidung den Aufbau der Abteilung ermöglichten. So wichtig es zu Beginn, 1980, war, über eine eigene Bettenstation zu verfügen, um als Abteilung anerkannt zu werden, und auch, um eine eigene klinische Identität zu finden, die damals gebunden zu sein schien an die Bettenstation, so wichtig war es zum späteren Zeitpunkt, die Bettenstation als internistisch-psychosomatische Station in das medizinische Zentrum einzubringen. Die stationäre Versorgung der Patienten, gewährleistet durch einen internistischen Kollegen mit psychotherapeutischer Weiterbildung, wurde verbessert, der Kontakt zum medizinischen Zentrum intensiver gestaltet. Die Station innerhalb des medizinischen Zentrums bewirkte ein zunehmendes Interesse anderer Fachgebiete, über eine solche Station ebenso zu verfügen, zuerst aus Gründen der Rivalität und der Neugierde, später aus Interesse. So entstanden in den 90er-Jahren neben dem Medizinischen Zentrum psychosomatische Bettenstationen im Bereich des geburtshilflich-gynäkologischen, des chirurgischen Zentrums, der Hautklinik und der neurologischen Klinik. Auf diesen psychosomatischen Station arbeiten neben Ärzten des jeweiligen Fachgebietes ein Psychologe und gelegentlich ein Sozialarbeiter, für die in Zusammenarbeit mit der Psychosomatischen Abteilung Stellen geschaffen wurden. In den jeweiligen Kliniken bzw. Zentren bildeten sich psychosomatische Arbeitsgruppen, meist von einem Arzt, einem Psychologen, ergänzt durch einen Sozialarbeiter, eine ,dezentrale Zentralisierung‘, eine personelle Dauerleihgabe der Psychosomatischen Abteilung, die von dieser weiterhin durch Supervision und Weiterbildung ,gewartet‘ wurde. Dies hat sich sowohl für die Betreuung der Patienten auf der psychosomatischen Station der jeweiligen Klinik, für das therapeutische Team in der Klinik, als auch für die medizinisch-klinische Forschung als fruchtbar erwiesen. So entwickelte sich die Psychosomatische Abteilung aus einer bettenzentrierte Abteilung mit Konsiliardiensten in ein Supervisionsteam von Ärzten und Psychologen, bei denen neben der Supervision Weiterbildungsaufgaben im Vordergrund stehen. Ein Teil der früheren Mitarbeiter hat psychosomatische Funktions-Oberarztstellen in anderen Abteilungen übernommen oder leitet selbstständige psychosomatische Abteilungen in klinischen Zentren wie dem Zentrum der Inneren Medizin und dem geburtshilflich-gynäkologischen Zentrum. Wir haben uns gesundgeschrumpft, ohne der Gefahr ausgesetzt zu sein, die uns Ende der 80er-Jahre bedrängte, Distanz von den anderen Bereichen im Allgemeinkrankenhaus zu suchen, eine Mauer um unsere Abteilung aufzurichten, aus der nur die Konsiliardienste über eine Zugbrücke hinausführten in andere Abteilungen. Was mich zunächst erstaunte war, dass mit zunehmender Schrumpfung der Abteilung, mit zunehmender Anzahl von ,Kolonien‘, die dann in die jeweilige Selbstständigkeit des entsprechenden Faches entlassen werden konnten, unsere und meine Ängste schwanden, unsere Existenzberechtigung unter Beweis stellen zu müssen. Ich wurde daher auch von den berufspolitischen Auseinandersetzungen der späten 80er- und frühen 90er-Jahre wenig berührt, von der Diskussion um eine Gebietsbezeichnung, die für mich an Aktualität immer mehr verlor. Die heutige Situation halte ich für eine gute Entwicklung. Wie Sie wissen, gibt es seit 1996 einen Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie, eine Zusatzbezeichnung ,Psychosomatik‘, die nicht von Psychiatern erworben werden kann und eine Zusatzbezeichnung ,Psychoanalyse‘, die nach vielen Auseinandersetzungen gebunden ist an eine Ausbildung an einem psychoanalytischen Weiterbildungsinstitut. Die verstärkten Bemühungen Mitte der 90er-Jahre, eine weitere Zusatzbezeichnung ,Verhaltensmedizin‘ einzuführen, scheiterten, da die Verhaltensmedizin wie andere psychotherapeutische, vor allem tiefenpsychologische Schulen Teil der Weiterbildung zur Zusatzbezeichnung ,Psychosomatik‘ ist. Die Zusatzbezeichnung ,Psychotherapie‘ wurde aufgegeben bzw. als Ergänzung in die psychiatrische Gebietsbezeichnung eingeführt, eine Zusatzbezeichnung ,Psychosomatik‘ für alle anderen medizinischen Fächer ab 1996 mit einem Curriculum, das vom Deutschen Kollegium für Psychosomatische Medizin erarbeitet wurde, eingerichtet. Eine neue Approbationsordnung die im gleichen Jahr in Kraft trat, stärkte die psychotherapeutisch-psychosomatische Grundausbildung. In den letzten Jahren wurden an den Universitäten vermehrt Stellen geschaffen für selbstständige psychosomatische Lehrstühle in den einzelnen medizinischen Bereichen. Im Jahr 2000 wurde ein psychosomatisches Lehr- und Forschungsinstitut, das von Weizsäcker-Institut in Heidelberg mit Mitteln des Bundes und der Länder gegründet.”

Das war ein Teil meiner Vorstellungen vor nunmehr fast 20 Jahren, wie sich die Psychosomatik und deren Versorgungsstrukturen vor allem am Allgemeinkrankenhaus entwickeln könnten. Was ist daraus geworden, wo habe ich mich geirrt, was liegt vor uns?

Erleichtert bin ich darüber, das habe ich 1986 anders und wohl auch falsch eingeschätzt, dass die Psychosomatik nun über eine Gebietsbezeichnung für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie verfügt, bei der nicht wie früher herumgeeiert wird mit Begrifflichkeiten. Warum aber sollte es nicht einen Arzt für Psychosomatische Medizin geben, ohne dieses Anhängsel „Psychotherapie”. Ebenso könnte die Psychiatrie auf den Zusatz „Psychotherapie” verzichten. Niemand käme auf den Gedanken, den psychiatrischen Arzt als Arzt für Psychiatrie und Psychopharmakotherapie zu benennen. Warum denn nicht auch, wo doch in zunehmendem Maße Psychotherapie einen breiten Raum in der psychiatrischen Ausbildung und Behandlung einnimmt, auf diese Selbstverständlichkeit, das Anhängsel „Psychotherapie” verzichten. Wir hätten dann zwei Gebietsbezeichnungen: Einen Arzt für Psychiatrie und einen für Psychosomatische Medizin.

Geirrt habe ich mich auch in der Einschätzung, ob eine psychosomatische Klinik an einem Allgemeinkrankenhaus eine Bettenstation benötige oder nicht. Für so wichtig ich die Etablierung gemeinsamer Stationen und die fachübergreifende Behandlung auf diesen gemeinsamen Stationen halte, für so wichtig halte ich eine kleine Bettenstation mit einer tagesklinischen Behandlungseinheit mit insgesamt etwa 20 Behandlungsplätzen, um Patienten mit spezifischen Symptomen und akut psychosomatisch kranke Patienten aufnehmen zu können. Dazu bedarf es einer guten Kooperation mit den Kollegen anderer Kliniken, die nicht immer selbstverständlich ist, die ich aber in den über 20 Jahren meiner Tätigkeit am Klinikum Nürnberg in immer größerem Maße erfahren habe, wofür ich meinen Kollegen sehr danken möchte.

Eine Kooperation mit anderen Kliniken ist aber nur dann möglich, wenn der Leiter der Klinik mit dem eine Zusammenarbeit geplant ist, damit auch einverstanden ist. Eine Zusammenarbeit mit einer Klinik, deren Leiter der Psychosomatik nicht aufgeschlossen oder zumindest ambivalent gegenüber steht, wird scheitern. Die Zusammenarbeit richtet sich nicht nach den Notwendigkeiten, sondern ist abhängig von der Kooperation der Klinikleiter. Die Frage lautet nicht, in welchem Fachgebiet wird der Psychosomatiker am meisten gebraucht, sondern mit welchem Klinikleiter ist eine Zusammenarbeit möglich. Beim Aufbau einer solchen Zusammenarbeit ist es nicht angebracht, in kurzen Zeiträumen zu denken. Nach unserer Erfahrung nimmt der Aufbau einer Zusammenarbeit bis zu seiner Stabilisierung 4 - 6 Jahre in Anspruch, wobei die Arbeit immer wieder bedroht ist von Rahmenbedingungen, auf die die psychosomatischen Mitarbeiter wenig Einfluss haben, so bei personellem Wechsel in der Leitungsfunktion in der Gastklinik, aber auch bei personellem Wechsel in der Verwaltung, denen eine andere Machtkonstellation folgen kann, von der die Psychosomatik nicht unbedingt profitieren muss. Ein Nichtzustandekommen und Scheitern der Kooperation ist aber durchaus nicht immer den somatischen Kollegen anzulasten. Psychosomatiker sind ja nicht selten davon überzeugt, diejenigen zu sein, die im Wesentlichen gut sind, die Somatiker, die, von denen sie sich bedroht fühlen. Als unschuldig Verfolgte blicken sie auf den angeblich schlimmen Verfolger. Indem sie diesem die Aggression zuteilen, die auch in ihnen selber steckt, können sie sich beim Scheitern integrativer Ansätze von Schuldgefühlen freihalten. Es sind dann eben die anderen, die Somatiker, mit denen eine Zusammenarbeit nicht möglich ist. Es ist nicht leicht, diese Feindbilder auch bei sich selbst zu entdecken, die aggressiven, neidischen und entwertenden Gedanken und Gefühle gegenüber dem somatischen Kollegen zu sehen, die es vielleicht mit ihrem Krankheitsbegriff einfacher haben, mehr Anerkennung bekommen, über mehr Mittel und Möglichkeiten verfügen und nicht zuletzt auch mehr Geld verdienen. Es fällt uns nicht leicht und gelingt nicht immer, dies zu bedenken, und nicht in der Entwertung der somatischen Kollegen und im eigenen Rückzug stecken zu bleiben. Wir werden aber die Auseinandersetzung, eine konstruktive Auseinandersetzung mit den somatischen Kollegen suchen müssen, um psychosomatisches Denken und Handeln im Krankenhaus zu integrieren.

Dies, die Integration psychosomatischen Denkens und Handelns in das Krankenhaus war stets die inhaltliche Vorstellung unserer Arbeit. Die erste Konsequenz eines solchen integrativen Ansatzes ist, dass der konsiliarische Bereich einer psychosomatischen Klinik gegenüber dem stationären ein Übergewicht haben muss, mit einer im Vordergrund stehenden stationären Psychosomatik kann man zwar eine zunehmende Isolierung, aber kaum eine Integration erreichen. Die zweite Konsequenz ist, den konsiliarischen Bereich als Liaisondienst aufzubauen und auszubauen. Bei diesem arzt- und teamzentrierten Liaisondienst wird der Psychosomatiker nicht mehr als Konsiliarius angefordert, sondern ist in das Team einer medizinischen Klinik integriert. Ziel einer solchen Integration ist, dass die Behandlung möglichst in der Hand eines Arztes, des Arztes der jeweiligen Station bleibt, der Psychosomatiker nur in besonderen Fällen die psychotherapeutische Betreuung des Patienten übernimmt und im Wesentlichen die Ärzte, Pfleger und Schwestern der Station unterstützt, um so neben der Organpathologie der somatischen Medizin die Beziehungspathologie der Psychosomatik zu etablieren. Dass es einmal möglich sein wird, dass der somatische Arzt mithilfe einer weitgehenden und ausreichenden Integration psychosozialer Erkenntnisse und Erfahrungen dahin kommt, sich dem Patienten gegenüber als psychosomatischer bzw. somatopsychischer Arzt und als Identifikationsfigur anzubieten, als ein Zirkusreiter auf zwei Pferden, dem somatischen und dem psychosomatischen, ist eine notwendige, konkrete Utopie.

Literatur

  • 1 Pontzen W. 1980 - 2005 : 25 Jahre Psychosomatische Abteilung an einem Allgemeinkrankenhaus. Ein Rückblick. In: Schüffel W (Hrsg) Sich gesund fühlen im Jahre 2000. Heidelberg; Springer 1988: 70-73
  • 2 Pontzen W. Psychosomatischer Konsiliar- und Liaisondienst: Blick zurück in die Zukunft.  Psychologische Medizin. 2002;  13 35-38

Walter Pontzen

Kaulbachplatz 9

90408 Nürnberg

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