Informationen aus Orthodontie & Kieferorthopädie 2005; 37(3): 185-195
DOI: 10.1055/s-2005-836900
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Klasse-II-Behandlung - Fragebogen und Fallbeispiele

Class II Malocclusion Treatment - Questionaire and Case ReportsB. Giuliano Maino
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Publication Date:
05 October 2005 (online)

Frage 1

Beobachten sie bei ihren Klasse-II-Patienten häufiger eine maxilläre Protrusion oder eine mandibuläre Retrusion? Welche Parameter verwenden sie zur Diagnostik der Klasse-II-Fehlbisslage? Welches kephalometrische Analyseverfahren und welche Weichteilpunkte bzw. -strecken verwenden sie?

Ich bin dieser Frage selbst bei meinen Patienten nie näher nachgegangen, aber es gibt einige Studien, die zeigen konnten, dass die Maxilla bei mindestens 85-90 % aller weißen Patienten mit Klasse-II-Fehlbisslage normal positioniert ist [1] [2]. Dies bedeutet umgekehrt, dass die Mehrzahl der Klasse-II-Patienten, meine eigenen Fälle eingeschlossen, eine mandibuläre Retrusion aufweisen.

Bei sämtlichen Klasse-II-Fällen, und besonders bei solchen mit retrudierter Mandibula, ist es meines Erachtens besonders wichtig, dass man zur Beurteilung der Lagebeziehungen von Ober- und Unterkiefer ein kephalometrisches Analyseverfahren verwendet, dessen Bezugsgrößen nicht auf den Unterkiefer bezogen sind (die meisten dieser Verfahren sind mandibulabasiert), sondern auf den Oberkiefer. Oft genug lässt sich nämlich die Ästhetik des Gesichts nur dadurch erhalten, dass man die unteren Schneidezähne in einer proklinen Stellung belässt, damit sie die Weichgewebe des unteren Teils des Gesichtes unterstützen können.

Dennoch setzen wir bei der Behandlung der Klasse-II-Fehlbisslage bei jungen Patienten am Oberkiefer an, da dies der einzige Bereich ist, den wir in vorhersagbarer Weise behandeln können.

Mit anderen Worten, wir therapieren Klasse-II-Patienten nicht mit einem funktionellen Therapieverfahren, mit dem das Unterkieferwachstum angeregt werden würde, obwohl gerade solch ein Ansatz die logische Konsequenz aus der Differenzialdiagnose wäre. Das Problem liegt dabei darin, die Korrektur der mandibulären Retrusion routinemäßig und mit vorhersehbarem Ergebnis durchzuführen.

Allerdings gibt es durchaus eine kleine Gruppe von Patienten mit großem ANB-Winkel (8-10°) und korrekt positionierter Maxilla, bei denen ich, abhängig vom Alter des Patienten, eine funktionelle Therapie durchführe. Dies allerdings in der Hoffnung, dass gerade dieser Patient auf meine Maßnahmen besser reagiert und es auch zu einem besseren Behandlungsergebnis kommt als es die Mehrzahl der veröffentlichten Studien als Durchschnitt beschreibt. Bei erwachsenen Patienten (jenseits der Pubertät) empfehlen wir bei derselben Fehlbisslage eine chirurgische Korrektur.

In meiner tagtäglichen Arbeit verwende ich nur wenige kephalometrische Werte.

Zur Beurteilung der Maxilla bevorzuge ich einen Weichteilparameter, weil ja die auf der knöchernen Grundlage aufliegenden Weichgewebe das sind, was andere sehen [3]. Aus diesem Grund beurteile ich die Lage der Oberlippe gegenüber einer senkrechten Linie durch den Subnasalpunkt (nach Gianelly).

Außerdem verwende ich den ANB-Winkel um abzuschätzen, wie stark die sagittale Abweichung ist. Zur Beurteilung der Divergenz verwende ich die Beziehung zwischen Mandibularebene und Occiput (MOCC), wie von Margolis beschrieben.

Wenn eine kieferchirurgische Korrektur erforderlich ist, dann arbeite ich mit wesentlich mehr Werten. Diese werden mit einem kephalometrischen Verfahren ermittelt, das die Analyseverfahren nach Steiner, nach Tweed und nach der ASE (Angle Society of Europe) integriert. Zur Einschätzung der endgültigen Lage der Weichgewebe nach erfolgreicher chirurgischer Korrektur verwende ich die Ästhetik-Analyse nach Bass [4]. In solchen Fällen greife ich auch zu einer praktischen Methode, um einschätzen zu können, ob ein chirurgischer Eingriff angezeigt ist: ich lasse den Patienten den Unterkiefer nach vorne schieben. Zusammenfassend glaube ich, dass es sehr wichtig ist, ein ästhetisches Analyseverfahren zu verwenden, mit dem sich die korrekte Lage der Maxilla beurteilen lässt und dann auf dieser Grundlage zu entscheiden, ob im Unterkiefer besser eine Extraktionstherapie oder doch eine chirurgische Korrektur durchgeführt werden soll.

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