Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2005; 40(9): 509-510
DOI: 10.1055/s-2005-870460
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Wir machen eine Studie, mal sehen, was dabei herauskommt

Let's Do a Study - And See What We GetM.  Tryba1
  • 1Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie (Direktor der Klinik: Prof. Dr. med. Michael Tryba), Klinikum Kassel GmbH
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Publication Date:
03 April 2006 (online)

In der Medizin gibt es unzählige Fragestellungen, die bisher nicht oder nur unzureichend beantwortet sind. Dies gilt auch für die Anästhesie. Es ist deshalb grundsätzlich zu begrüßen, wenn methodisch saubere Studien dazu beitragen, den Wissensstand zu verbessern. Für den kritischen Arzt entstehen wissenschaftliche Fragestellungen nicht selten deshalb, weil für die Wirksamkeit klinikeigener Therapieregimes anscheinend keine ausreichende Evidenz existiert. In gleicher Weise führen klinische Situationen, die häufig Unzufriedenheit hervorrufen, zu neuen Lösungsansätzen.

In der perioperativen Phase stellt die postoperative Schmerztherapie seit Jahrzehnten eine besondere Herausforderung dar. Epidemiologische Studien belegen, dass zumindest nach größeren Eingriffen bis zu 50 % der Patienten unter starken bis sehr starken Schmerzen leiden. Zwar haben prospektive Studien vielfach zeigen können, dass wirksame schmerztherapeutische Strategien existieren, die bei der großen Mehrzahl der Patienten zu einer zufrieden stellenden Analgesie führen. Schwierigkeiten entstehen jedoch bei der Umsetzung dieser Ergebnisse in den klinischen Alltag. Diese Probleme führen dazu, dass in zahlreichen Kliniken nach neuen schmerztherapeutischen Regimes gesucht wird, die nicht nur grundsätzlich wirksam, sondern auch im klinischen Alltag praktikabel sind. Dabei nehmen in den letzten Jahren sog. multimodale Therapiekonzepte eine zunehmend größere Rolle ein. Diese Konzepte gründen auf der Beobachtung, dass durch einzelne Substanzen nur bei wenigen Patienten eine suffiziente Analgesie erzielt werden kann, wenn man neben der analgetischen Wirksamkeit auch die Nebenwirkungen und die Patientenakzeptanz berücksichtigt. Die Kombination verschiedener Substanzgruppen (z. B. Opioide und Nicht-Opioid-Analgetika) und ggf. Therapieverfahren (regionale und systemische Maßnahmen) verbessert offensichtlich die Erfolgsrate in der postoperativen Schmerztherapie deutlich. Die dabei denkbaren Substanzkombinationen sind, vor allem wenn man die möglichen Applikations-, Dosierungs- und Konzentrationsvariationen berücksichtigt, fast unendlich.

Multimodale Konzepte in der postoperativen Schmerztherapie stellen demnach ein aus der Sicht des wissenschaftlich aktiven Anästhesisten fast ideales Modell zur Produktion (pseudo-)innovativer wissenschaftlicher Arbeiten dar, vorausgesetzt, die Methodik der Studien ist validiert und die Fragestellung ist klar definiert. Vor allem zu Beginn einer Forschertätigkeit ist es jedoch nicht immer einfach, den Überblick über die komplexe Thematik zu gewinnen. Zu leicht kommt man dann bei der Vorbereitung einer Studie zu dem Ergebnis, dass für die geplante Medikamentenkombination keine Vorstudien existieren. Allein aus dieser Tatsache sollte aber nicht geschlossen werden, dass die geplante Studie sinnvoll und notwendig ist.

Gerade angesichts der Vielzahl denkbarer Kombinationen erfordert die Planung einer Studie - nicht nur im Rahmen multimodaler Analgesiekonzepte - eine präzise Fragestellung, die Definition eines Hauptzielparameters, die Formulierung des erwarteten Effektes, die prospektive Festlegung der geeigneten statistischen Verfahren und nicht zuletzt eine Fallzahlberechung unter Berücksichtigung des gewählten Alpha-Fehlers (in der Regel 0,05) und der gewünschten power (meist 0,8). Dabei sollte bedacht werden, dass im Rahmen klinischer Studien fast ausschließlich zweiseitige Testverfahren eingesetzt werden sollten und bei Studien mit mehr als zwei Gruppen geeignete Korrekturverfahren verwendet werden müssen. Werden diese Voraussetzungen nicht beachtet und zahlreiche klinische Parameter nebeneinander erhoben, dann muss es nicht verwundern, dass allein aus statistischen Gründen zufällig der eine oder andere Parameter sich signifikant unterscheidet.

Bei der Überprüfung multimodaler Analgesiekonzepte erscheint es sinnvoll, sich an Regimes mit nachgewiesener Wirksamkeit zu orientieren. Dabei steht an erster Stelle die Frage, ob die vorgesehenen Verfahren bei der geplanten Klientel überhaupt sinnvoll und notwendig sind. So wird man sicherlich nachweisen können, dass nach Leistenhernienoperationen eine thorakale Epiduralanalgesie mit Lokalanästhetika und Opioiden einer Gabe von Nicht-Opioid-Analgetika analgetisch überlegen ist. Dies beantwortet jedoch nicht die Frage, ob ein solch invasives Verfahren tatsächlich notwendig und sinnvoll ist. Ebenso wenig vergrößert sich unser Wissen, wenn im Rahmen einer rückenmarksnahen Analgesie gezeigt werden kann, dass der Zusatz einer weiteren Substanz zu einer Lokalanästhetika-Opioidlösung die benötigte Infusionsmenge um 10 oder 20 Prozent verringert, wenn damit keine klinisch relevanten Vorteile verbunden sind (z. B. frühere Mobilisierung, weniger Nebenwirkungen).

Nicht ohne Grund hat in den letzten 10 Jahren der Stellenwert von Ethikkommissionen deutlich zugenommen. Heute wird von vielen Ethikkommissionen auch geprüft, ob eine Studie überhaupt in der Lage ist, eine Fragestellung mit ausreichender Wahrscheinlichkeit zu beantworten. Auch aus ärztlicher Sicht erscheint es ethisch nicht länger vertretbar, Patienten den Risiken einer Studie auszusetzen, wenn von vornherein deutlich ist, dass entweder keine Indikation für ein bestimmtes Verfahren besteht oder kein klinisch erkennbarer Vorteil zu erwarten ist.

Das vorliegende Heft enthält eine solche Studie [1]. Sie stammt nicht aus dem deutschsprachigen Raum und sollte deshalb unter den Besonderheiten der regionalen Situation beurteilt werden. Für den deutschsprachigen Raum wird man die Indikation für ein rückenmarksnahes regionales Analgesieverfahren bei der Hysterektomie sicherlich als zumindest zweifelhaft ansehen müssen. Ebenso vermisst man eine klare Hypothese und dementsprechend eine Poweranalyse und eine Fallzahlberechnung. Für den Leser bleibt demnach offen, ob die in der Studie gefundenen signifikanten Unterschiede zufällig sind. Der einzig klinisch bedeutsame Vorteil bestand in der geringeren Rate an Übelkeit und Erbrechen in der Gruppe, die zusätzlich Clonidin erhalten hatte. Hierbei handelt es sich um einen Befund, den man aufgrund anderer Studien erwarten konnte, der aber offensichtlich nicht primäres Zielkriterium der Untersuchung war.

Der Vorbereitung klinischer Studien sollte zukünftig ein noch größerer Stellenwert als bisher eingeräumt werden. Angesichts der zunehmend enger werdenden personellen und finanziellen Ressourcen forschender Einrichtungen können wir es uns nicht mehr leisten und ethisch vertreten, klinische Studien ohne präzise Fragestellung und adäquate statistische Planung durchzuführen. Die Zeiten sind vorbei, in denen wir eine Studie durchgeführt haben und dann geschaut haben, was dabei herauskommt.

Literatur

  • 1 Topcu I, Luleci N, Tekin S, Kefi A, Erincler T. Wirksamkeit von Clonidin und Fentanyl als Zusatz bei der postoperativen patientenkontrollierten Epiduralanalgesie mit Bupivacain.  Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther. 2005;  40 521-525

Prof. Dr. med. Michael Tryba

Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie, Klinikum Kassel GmbH

Mönchebergstraße 41 - 43 · 34125 Kassel

Email: tryba@gus-kassel.de

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