Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2005; 40(11): 660-663
DOI: 10.1055/s-2005-870475
Mini-Symposium
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Erhöhung des Sauerstoffangebotes an den Feten - Herausforderung an den Geburtshelfer und Anästhesisten?

Increase of Oxygen Supply for the Fetus - A Challenge for the Obstetrician and the AnesthesistA.  K.  Luttkus1
  • 1 Frauenklinik und Perinatalzentrum, Ev. Krankenhaus Bielefeld in Bethel
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Publication Date:
15 November 2005 (online)

Einleitung

„Mount Everest in utero” - Mit dieser Metapher wird häufig versucht, das physiologisch niedrige Sauerstoffangebot an den Feten in graviditate anschaulich zu machen. Unter physiologischen Bedingungen entspricht der für den Feten am Geburtstermin vor Wehenbeginn verfügbare Sauerstoffpartialdruck im Blut einem Sauerstoffpartialdruck, der bei einem Erwachsenen bei Aufenthalt in 11 000 Metern Höhe über dem Meeresspiegel zu messen wäre. Damit wird die potenzielle Gefährdung des Feten bei Störungen des Gasaustausches verständlich.

Trotz intensiver Überwachung des Feten einerseits und einer hohen Rate operativer Entbindungen andererseits verursachen Oxygenierungsstörungen sub partu nicht selten schwere neurologische Schäden beim Kind wie z. B. die spastische Zerebralparese. Für Schweden wird eine Häufigkeit von ca. vier Promille für dieses Krankheitsbild angegeben [1].

Unter Wehen wird der plazentare Gasaustausch im intervillösen System verringert. Damit kommt es physiologischerweise zu einem Absinken des Sauerstoffpartialdruckes während der Geburt. Es ist zum theoretischen Verständnis der pathophysiologischen Abläufe sinnvoll, von prä-, intra- und postplazentaren Ursachen der Gasaustauschstörung zu sprechen. Eine Reihe weiterer geburtshilflicher Komplikationen können zu einer kritischen Verminderung der Sauerstoffzufuhr zum Feten führen. Häufig ist eine Nabelschnurumschlingung um Hals oder Rumpf des Feten (30 %). Echte Nabelschnurknoten (postplazentar) oder Plazentainfarkte (plazentar) sind weitere mögliche Ursachen für eine fetale Hypoxie. Eine vorzeitige Lösung der Plazenta (plazentar) im Rahmen einer schwangerschaftsinduzierten Hypertonie führt in Abhängigkeit zur Größe des retroplazentaren Hämatoms zu unterschiedlich schweren Gasaustauschstörungen der Plazenta und ist häufig für den Feten letal.

Theoretisch ist es denkbar, über eine Anhebung des maternalen pO2 auch den pO2 des Feten zu erhöhen. Aus anästhesiologischer Sicht ist es möglich, über eine Gesichtsmaske oder tracheale Intubation den maternalen Sauerstoffpartialdruck auf Werte von über 400 mm Hg anzuheben. Im Sinne des gestellten Themas „Erhöhung des Sauerstoffangebotes an den Feten” erscheint es verlockend, auf diesem Wege den hypoxischen Insult des Feten zu vermeiden.

Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, anhand einer Literaturrecherche die bisherigen Erfahrungen mit der Sauerstoffgabe an die Mutter darzustellen. Dies gilt sowohl für tierexperimentelle als auch Daten am humanen Feten. Von Interesse ist der Effekt einer unwillkürlichen Hyperventilation, aber auch Erfahrungen mit tierexperimenteller artifizieller Hyperventilation. Dazu ist es notwendig, die modernen Verfahren der Messung fetaler Oxygenierung sub partu zu erwähnen.

Hyperventilation, Humandaten

Die Physiologie und Pathophysiologie des Gasaustausches und des Elektrolythaushaltes der Kreißenden sind bekannt. Bei mütterlicher, unwillkürlicher Hyperventilation während der Geburt kommt es zu einem Absinken des pCO2 und gleichzeitigem Absinken des Bicarbonats. Ein Anstieg des pH-Wertes folgt, es bildet sich eine respiratorische Alkalose aus. Um die Elektroneutralität aufrecht zu erhalten, dient Laktat als Ersatzquelle für Anionen. Ein erheblicher maternogener Laktatanstieg kann diaplazentar beim Feten zu einer schwerwiegenden Laktazidose führen [2]. Diese kann für den Feten ein gefährliches Ausmaß erreichen.

Eine mütterliche Hyperventilation sub partu kann zu einer transitorischen Verringerung des Sauerstoffpartialdruckes und einer Gefährdung des Feten führen [3]. In einem Versuch an fünfzig freiwilligen Frauen konnte gezeigt werden, dass bei nicht reaktivem Kardiotokogramm (n = 14) nur drei Kinder ohne Zeichen des akuten oder chronischen intrauterinen Stresses zur Welt kamen. In einem Fall war es sogar zum neonatalen Todesfall gekommen. In der Mehrzahl der Fälle mit reaktivem Kardiotokogramm (n = 33) führte die Sauerstoffgabe an die Mutter jedoch nicht zu einer Beeinträchtigung der Feten. Erklärlich ist diese Beobachtung dadurch, dass unerkannte plazentäre und postplazentäre Gasaustauschstörungen bestanden.

In einer klinischen Beobachtungsstudie an achtundzwanzig agitierten hyperventilierenden Kreißenden wurde eine ausgeprägte mütterliche arterielle Hypokapnie (pCO2 17,4 +/- 6,8 mm Hg) und eine deutliche respiratorische Alkalose mit einem pH von 7,54 +/- 0,14 festgestellt. Darunter kam es zu einer fetalen Tachykardie und Azidose. Die Autoren führen dies zurück auf einen Spasmus der Umbilicalvene und belegen ihre These durch Untersuchungen zur Hyperventilation am Schafsmodell [4]. Die plazentare und umbilicale Autoregulation ist ein bekannter, jedoch praktisch nicht abschätzbarer Effekt, der über O2-abhängige Vasokonstriktion zur fetalen Minderperfusion führt.

Hyperventilation, Tierversuch

In einem Tierversuch an Schafsfeten mit einem Gestationsalter zwischen 116 und 135 Tagen wurde schrittweise der pO2 des Muttertieres bis auf 220 mm Hg angehoben. Dies führte bei den Schafsfeten zu einem Absinken der Herzfrequenz und des Blutdruckes. Diese kontinuierliche Anhebung des maternalen pO2 führte schließlich zu einem Verschluss der Umbilicalvene [5]. Diese Beobachtungen decken sich mit den Beobachtungen von Müller und Morishima et al. [6]. Das Absinken der Herzfrequenz und der verschlechterte Umbilicalvenenfluss sind somit pathogenetisch wichtige Faktoren bei der Entstehung der lebensbedrohlichen fetalen Azidose in der Folge maternaler Hyperoxie.

Die potenzielle Gefährdung durch Anhebung des mütterlichen pO2 wird durch eine Arbeit von Morishima et al. belegt. In einer Studie an 36 subhumanen Primaten wurde durch Beatmung mit 100 % Sauerstoff über 30 Minuten eine Anhebung des mütterlichen pO2 auf 430 mm Hg erreicht. Die untersuchte Studiengruppe wurde unterteilt in eine Gruppe von Feten mit normaler Herztonkurve ohne jegliches Anzeichen von fetaler Gefährdung und in eine zweite Gruppe mit Hypoxie, Azidose und pathologischem Kardiotokogramm, welches späte Dezelerationen aufwies. Durch die Anhebung des mütterlichen Sauerstoffpartialdrucks auf 430 mm Hg konnte in der Gruppe der Feten ohne Stresszeichen eine Erhöhung des pO2 erreicht werden. Der pO2 stieg von 25 auf 29 mm Hg, die Sauerstoffsättigung von 53 auf 64 % und der pCO2 sank von 44 auf 42 mm Hg.

Bei 40 Untersuchungsserien kam es während der Sauerstoffgabe an das Muttertier zu späten Dezelerationen der fetalen Herzfrequenz. Diese deuten auf eine hypoxische Gefährdung hin. In fünfzehn Fällen kam es zu einer Verbesserung der Dezelerationen, in zehn Fällen blieben ihre Anzahl und Intensität unverändert, und in weiteren fünfzehn Fällen wurden unter der Sauerstofftherapie beim Muttertier die Dezelerationen aggraviert. In dieser Gruppe kam es zu einem signifikanten Absinken des pH-Wertes und des Basenüberschusses. Der pH sank von 7,1 vor auf 6,9 während und 6,8 nach der Sauerstofftherapie. Der Basenüberschuss (ecF, extrazelluläre Flüssigkeit) stieg von - 11 mmol/L vor auf - 17,0 während und - 17,5 mmol/L nach der Sauerstoffgabe an. Von fünfzehn Feten dieser Versuchsgruppe verstarben sechs während oder unmittelbar nach der Versuchsreihe. Die Autoren folgern aus diesem Ergebnis, dass eine Sauerstoffgabe an die Mutter bestenfalls kurzfristig zu einer Erhöhung des fetalen pO2 führen könne. Bei vorbestehender Azidose des Feten wird eine fetale Blutdrucksenkung jedoch zu einer Verminderung der intravillösen Perfusion, also zu einer Verschlechterung des Gasaustausches und somit zu einer fetalen Gefährdung führen.

Maternale Alkalose, Tierversuch

Die Komplexität und potenzielle Gefährlichkeit jedes Eingreifens in den materno-fetalen Gasaustausch wird durch folgende Untersuchung deutlich: In einem Tierversuch an dreizehn Meerschweinchenfeten wurden über einen Katheter im rechten Vorhof der pO2 und pCO2 gemessen. Über einen Katheter in der deszendierenden Aorta wurden basische Lösungen in den Kreislauf der Muttertiere geleitet. Dies führte zu einem Anstieg des maternalen pH um 0,07 Einheiten (+/- 0,04). Dieser Wert wurde in der Arteria femoralis des Muttertieres gemessen. Beim Feten kam es jedoch zu einem signifikanten Absinken des pO2 [7].

Ein weiterer Faktor im Zusammenspiel zwischen Mutter und Fet im Prozess des Gasaustausches ist die Plazenta. Es ist bekannt, dass die humane Plazenta in der Lage ist, 40 % des Gesamtangebots an Sauerstoff aufzunehmen. Der größte Teil dieses Sauerstoffverbrauchs dient der Proteinsynthese. Der genaue Mechanismus der Störung des plazentaren Sauerstoffverbrauchs im Falle des verminderten Sauerstoffangebotes ist nicht geklärt. Man geht jedoch davon aus, dass bei chronischer Hypoxie auch die Proteinsyntheseleistung der Plazenta verringert und damit die Sauerstoffweitergabe an den Feten verbessert ist [8].

In einem Versuch an zweiundzwanzig Schwangeren im letzten Trimenon konnte gezeigt werden, dass der maternale pO2-Anstieg über 100 %-ige Sauerstoffinhalation zu einer signifikanten Verringerung des mittleren intervillösen Blutflusses von 190 mL/min auf 125 mL/min führt. Dieses Absinken des intervillösen Blutflusses ist statistisch signifikant. Der umbilicale Blutfluss blieb in dieser Untersuchung unverändert [9].

Präoperative Sauerstoffgabe

In einer Reihe von klinischen Untersuchungen am humanen Feten wurde belegt, dass die präoperative Gabe von 100 % Sauerstoff an die Mutter über Maske unmittelbar vor der sich anschließenden Schnittentbindung nicht zu einer Verschlechterung des Umbilicalarterien-pH oder des pO2 führen. Die Mehrzahl der Autoren kommt zu dem Schluss, dass die kurzfristige, hoch dosierte Sauerstoffgabe keinen Schaden beim Feten auslöst. In einer Untersuchung an vierundzwanzig Kreißenden wurde die Gabe von 100 % Sauerstoff unmittelbar vor der Schnittentbindung (n = 13) oder von 50 % N2O (n = 11) untersucht. Es zeigte sich, dass die kurzzeitige mütterliche Hyperoxygenierung die fetale Sauerstoffsättigung in den Umbilicalgefäßen verbesserte [10]. In diesen Arbeiten bestanden keine plazentären oder postplazentären Gasaustauschstörungen.

Literatur

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PD Dr. med. Andreas K. Luttkus

Frauenklinik und Perinatalzentrum

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