Der Nuklearmediziner 2006; 29(2): 61-62
DOI: 10.1055/s-2006-921519
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Editorial

EditorialW. Brenner1
  • 1Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin, Zentrum für Bildgebende Diagnostik und Intervention, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
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Publication Date:
31 May 2006 (online)

Das Konzept des Sentinel Lymph Node (SLN) ist eine der interessantesten klinischen Innovationen der letzten 15 Jahre in der Onkologie. Entsprechend diesem Konzept erfolgt der Lymphabstrom primär lymphogen metastasierender Tumore zu einem oder mehreren locoregionären, direkt den Tumor dränierenden, so genannten Wächterlymphknoten oder Sentinel Lymph Node. Erst von diesem SLN ausgehend kommt es potenziell zu einer Weiterverbreitung der Tumorzellen. Es wird somit eine zuverlässige Beurteilung des Lymphknotenstatus bezüglich eines Tumorbefalls erwartet allein durch eine gezielte Lymphadenektomie des SLN mit anschließender histopathologischer/immunhistochemischer Aufarbeitung. Die Attraktivität dieses Konzeptes besteht dabei in einer deutlich reduzierten operationsbedingten Morbidität bei gleichzeitig unveränderter oder sogar verbesserter diagnostischer Sicherheit. Dies wird am Beispiel des Mammakarzinoms deutlich: Durch die SLN-Biopsie kann auf die bisher übliche Axilladissektion mit all ihren die Patientin belastenden Nebenwirkungen und Komplikationen verzichtet werden, wenn der SLN keinen Tumorbefall aufweist. Darüber hinaus erlaubt die Entfernung nur eines oder einiger weniger SLN eine sorgfältige und intensivierte histopathologische Aufarbeitung einschließlich Immunhistochemie, wie sie bei der sonst üblicherweise im Rahmen einer konventionellen Axilladissektion entnommenen Zahl von Lymphknoten nicht praktikabel ist. Bedingt durch diese offensichtlichen Vorteile ist es nicht erstaunlich, dass das SLN-Konzept relativ rasch Eingang gefunden hat in die Behandlung des Mammakarzinoms und des malignen Melanoms. Ähnliche Möglichkeiten zu einer individuellen optimierten Therapieplanung liegen beispielsweise auch bei Kopf-/Hals-Tumoren sowie bei den verschiedenen Malignomen des Beckens vor.

Neben der ursprünglich eingesetzten Farbstoffmethode hat sich im klinischen Alltag die Darstellung des SLN mittels radioaktiv markierter Tracer durchgesetzt und wurde damit zu einer Domäne der Nuklearmedizin. Die nuklearmedizinische Technik erlaubt nicht nur das gezielte intraoperative Aufsuchen des SLN mittels handgeführter Gammasonde, sondern im Gegensatz zur Farbstoffmethode auch die präoperative Lokalisation mittels Lymphszintigraphie. Damit kann einerseits der SLN intraoperativ schneller und gezielt identifiziert werden, andererseits können „nicht-reguläre” Abstromwege zuverlässig erfasst und die Operation entsprechend geplant werden.

Diese Möglichkeit einer individualisierten Therapie, bei der die jeweiligen Gegebenheiten des Patienten im Vergleich zum bisherigen Standardvorgehen berücksichtigt werden, wird durch die Beteiligung der Nuklearmedizin praktikabel gemacht. So führt die SLN-Diagnostik auch zu einer Stärkung der interdisziplinären Integration unseres Faches. Von daher ist die Tatsache, dass die SLN-Diagnostik insbesondere beim Mammakarzinom nahezu flächendeckend von vielen Kliniken und Praxen angeboten wird, gerade in Zeiten knapper werdender Ressourcen ein entscheidender Schritt zur weiteren Verankerung unseres Faches im klinisch-onkologischen Routinebetrieb.

Im Rahmen von evidenzbasierter Medizin und daher wachsender Bedeutung von Leitlinien ist es aber nicht ausreichend, die nuklearmedizinische SLN-Technik flächendeckend anzubieten und in einer facheigenen Leitlinie zu standardisieren und Indikationen festzulegen. Gerade in Bezug auf die Verankerung in der klinischen Routine sowie im Hinblick auf wirtschaftliche Rahmenbedingungen ist es vordringlich, auch in den Empfehlungen und Leitlinien der entsprechenden klinischen Fachgesellschaften präsent zu werden. Nur dies garantiert in Zeiten einer evidenzbasierten Medizin, die Methodik sicher zu etablieren. Hierfür sind allerdings, wie auch von einigen Autoren in diesem Heft gefordert, weitere Studien notwendig, um den klinischen Nutzen für den Patienten sowie die damit verbundenen Vorteile, auch unter Kosten-Nutzen-Gesichtspunkten, eindeutig zu belegen. Dies gilt insbesondere für alle „neuen” Indikationen neben Mammakarzinom und Melanom.

Bei dem für die SLN-Diagnostik erforderlichen interdisziplinären Vorgehen ist eine enge Kooperation einschließlich einer professionellen Kommunikation, einer auf die OP-Planung abgestimmten Terminvergabe sowie einer Ausbildung von kompetenten Ansprechpartnern erforderlich, um die Akzeptanz des Verfahrens zu gewährleisten. Gerade Letzteres spielt im Umgang mit Radioaktivität eine entscheidende Rolle. Genaue Kenntnisse der Strahlenexposition sowie der gesetzlichen Grundlagen sind erforderlich zur Aufklärung des im Umgang mit Radioaktivität unerfahrenen Personals im OP-Bereich sowie in der Pathologie, um Berührungsängste vor radioaktiver Strahlung auf der Basis objektiver Informationen abzubauen und durch adäquate Strahlenschutzmaßnahmen einen für alle Beteiligten korrekten und angstfreien Umgang mit der nuklearmedizinischen SLN-Methodik zu gewährleisten.

Den Stand der SLN-Diagnostik in ihren unterschiedlichen Facetten darzustellen ist Thema dieses Heftes. In diesem Sinne möchte ich mich bei allen Autoren recht herzlich für ihre Mitarbeit bedanken, die als Fachvertreter mit langjähriger Erfahrung auf dem Gebiet der SLN-Diagnostik zu diesem Überblick über den gegenwärtigen Stand der klinischen Anwendung und der aktuellen Studienergebnisse beigetragen haben.

Prof. Dr. med. W. Brenner

Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin · Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

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