Dtsch Med Wochenschr 2006; 131(1/2): 44
DOI: 10.1055/s-2006-924924
Leserbriefe

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Der medizinisch-industrielle Komplex: Ethische Implikationen - Erwiderung

K. Engelhardt
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Publication Date:
22 December 2005 (online)

Besten Dank für den wichtigen und ergänzenden Leserbrief zu meinem Beitrag [5], auf den ich gerne eingehe. Darin wird richtig darauf hingewiesen, dass ohne Unterstützung durch die Industrie nur ein Bruchteil der Arzneimittelstudien stattfinden würde. Diese Unterstützung hat Vorteile, wenn die klinischen Forscher die volle Kontrolle behalten. Ein Bericht über Nebenwirkungen eines getesteten Medikamentes darf nicht eingeschränkt werden. Bekannt wurde z. B. der Fall von Nancy Olivieri [4], einer kanadischen Expertin der Thalassämie, die 1987 begann, den oralen Eisen-Chelator Deferipron zu untersuchen. Sie fand Nebenwirkungen und publizierte sie unter Prozessdrohungen der Firma. Obwohl Frau Olivieri am Ende gerechtfertigt wurde, fand sie zunächst keine Unterstützung durch ihre Universität in Toronto. Auch für die bezahlende Industrie negativ verlaufende Untersuchungen dürfen nicht unterdrückt werden. Deshalb sind Vereinbarungen zwischen Wissenschaftlern und der Industrie notwendig, dass die Kontrolle der Forscher über die Studie nicht eingeengt wird, weil anderenfalls die akademische Freiheit gefährdet ist [3]. Firmen-gesponserte Untersuchungen, in denen die Datenanalyse nur von Statistikern des Geldgebers erfolgt, werden deshalb von der Zeitschrift JAMA [2] nicht mehr publiziert.

Göbel schreibt weiter, dass „ein großer Kongress oder auch ein kleines Symposium“ ohne Sponsoring der Industrie nicht zu verwirklichen sei. Damit legt er den Finger auf den wunden Punkt: Firmen bezahlen viele Fortbildungen, sie sind gleichzeitig am Absatz ihrer Produkte interessiert. Warum so oft Firmen-bezahlte Mahlzeiten und andere Gastlichkeiten? Soll ärztliche Kritik dadurch gedämpft werden? Untersuchungen zeigen, dass die in Industrie-bezahlten Vorträgen besprochenen Medikamente später häufiger verschrieben werden. Ungern wollen wir wahrhaben, dass selbst kleine Geschenke in der Lage sind, unser Urteil zu trüben. Wenn in einer Firmen-gesponserten Fortbildung über die Behandlung der arteriellen Hypertonie die Erfolge der Antihypertensiva herausgestellt, jedoch medikamentöse Nebenwirkungen und nachteilige Arzneimittel-Interaktionen ausgeblendet werden, dann dient ein solcher Vortrag mehr dem Hersteller als dem Patienten. Bekanntlich können finanzielle Beziehungen zwischen Ärzten und der Industrie zu Interessenkonflikten führen, so dass medizinische Zeitschriften die Offenlegung potenzieller Konflikte fordern. Dasselbe sollte für Fortbildungsredner gelten, die Geld von der Industrie akzeptieren. Wichtige medizinische Meinungsmacher erhalten in Großbritannien für einen einstündigen Vortrag von Pharmafirmen bis zu 5000 Pfund [1]. Göbel ist daher nur beizupflichten, wenn er empfiehlt, „die Ärzte zu kritischer Wahrnehmung zu animieren!“ Deshalb ist unabhängige Pharmakologie stärker zu beachten, was ganz im Sinn des von Göbel mehrfach zitierten Professors Kuschinsky wäre. Zum Schluss empfiehlt Göbel: Die Industrie darf „ruhig sponsern“, allerdings sei das „positiv Dargestellte um 90 %“ zu minimieren, das „angedeutet Kritische mit dem Faktor 5“ zu multiplizieren. Damit bezweifelt er die Objektivität derartiger Fortbildungen. Ob sich Ärztinnen und Ärzte mit diesem Stand der Dinge wirklich zufrieden geben?

Literatur

  • 1 Ferner R E. The influence of big pharma.  BMJ. 2005;  330 855-856
  • 2 Fontanarosa P B, Flanagin A, De Angelis C D. Reporting conflicts of interest, financial aspects of research, and role of sponsors.  JAMA. 2005;  294 110-111
  • 3 Mello M M, Clarridge B R, Studdert D M. Academic medical centers’ standards for clinical-trial agreements with industry.  N Engl J Med. 2005;  352 2202-2210
  • 4 Weatherall D. Research conduct and the case of Nancy Olivieri.  Lancet. 2005;  366 445-446
  • 5 Engelhardt K. Der medizinisch-industrielle Komplex: Ethische Implikationen.  Dtsch Med Wochenschr. 2005;  130 1778-1780

Prof. Dr. med. Karlheinz Engelhardt

Jaegerallee 7

24159 Kiel

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