manuelletherapie 2006; 10(1): 38-41
DOI: 10.1055/s-2006-926509
Studiengänge für Physiotherapeuten

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Master of Science (Manuelle Therapie) - Innovatives Studienangebot der Physio-Akademie Wremen in Kooperation mit der University of Teesside

E. Scherfer1
  • 1Bildungswerk Physio-Akademie des ZVK
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Publication Date:
08 February 2006 (online)

Seit Herbst 2005 gibt es in Deutschland ein neues Studienangebot für Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten. In Kooperation mit der Physio-Akademie (Abb. [1] a u. b) bietet die englische Universität Teesside in Middlesbrough (Abb. [2] a u. b) einen Master of Science in Advanced Clinical Practice mit Studienschwerpunkt Manueller Therapie an. Clinical Practice ist im Englischen ein umfassender Begriff und schließt neben der Klinik im engeren Sinne alle Formen der Berufspraxis ein.

Abb. 1 a Physio-Akademie in Wremen. b Logo der Physio-Akademie.

Abb. 2 a University of Teesside in Middlesbrough. b Logo der University of Teesside.

Die University of Teesside liegt in Nordengland und ist eine Volluniversität. Sowohl die gesamte Universität als auch die School of Health and Social Care wurden in den vergangenen Jahren bei externen Qualitätsbeurteilungen und Evaluierungen beständig exzellent bewertet.

Die Physio-Akademie, eine gemeinnützige Gesellschaft mit Sitz in Wremen, ist eine Tochter des Deutschen Verbands für Physiotherapie des ZVK. Sie bietet - auch in Kooperation mit den Arbeitsgemeinschaften und Landesverbänden des ZVK - Fort- und Weiterbildungen an, fördert Forschung sowie Evidenz-basierte Praxis (Mitbegründerin der Stiftung zur Förderung von Forschung in der Physiotherapie) und führt auch eigene Projekte durch. Die Physio-Akademie hat sich der Förderung und Begleitung des begonnenen Professionalisierungsprozesses in der Physiotherapie verschrieben, innerhalb dessen sie Brücken zwischen Wissenschaft, Hochschulen und dem Berufsstand bauen möchte.

In diesen Zusammenhang gehört auch die Entwicklung des kooperativen Master-Studiengangs. Heiko Dahl, Geschäftsführer der Physio-Akademie und Sprecher der AG Manuelle Therapie im ZVK, weist auf die lange Vorgeschichte des Studiengangs hin:

„Die frühen Ideen in den 90er-Jahren gingen in Richtung einer Zusammenarbeit mit der australischen Universität in Perth. Von dort wurde signalisiert, dass sie die so genannte internationale Weiterbildung (OMT-Weiterbildung), die den Standards der Internationalen Föderation in Manueller Therapie (IFOMT) entsprach, anerkennen könnte. Dies geschah auch, aber eben nur in Einzelfällen, zuerst in Australien, dann in Großbritannien. Die von der IFOMT anerkannten Weiterbildungen in Deutschland werden also schon lange auf Master-Studiengänge im Ausland angerechnet. Neu ist, dass nun die OMT-Weiterbildung der AG Manuelle Therapie ein integraler Bestandteil eines Studiengangs einer englischen Universität ist.”

Die Entscheidung für eine Zusammenarbeit mit einer englischen Universität fiel nicht zuletzt, weil dies einen Weg zum Master-Abschluss auch für Berufsangehörige ohne Bachelor (und sogar ohne Abitur) eröffnet. Solche Bildungswege sind z. B. in der Schweiz, in den Niederlanden oder in Großbritannien möglich, in Deutschland hingegen bislang nicht, weil ein Ministerbeschluss vorsieht, dass der Zulassung zu einem Master-Studiengang ein Bachelor vorausgehen muss. So rigide wird das anderswo nicht gesehen. Dies bestätigen die Studienerfolge deutscher Physiotherapeuten in England oder Schottland, bei denen es nicht selten vorkommt, dass sie sogar die Promotion anstreben und somit die Studierfähigkeit auf Master-Niveau unter Beweis stellen, auch ohne vorhergegangenen Bachelor.

Zusätzlich hat sich die Physio-Akademie beim Bologna-Sekretariat erkundigt, ob die in Deutschland geforderte zwingende Abfolge der akademischen Qualifizierungsstufen im Sinne des Bologna-Prozesses ist. Die Antwort war, dass die Abfolge der Abschlüsse nicht als „Zwangsjacke” zu verstehen ist, und angemessene, flexible Lösungen, einschließlich der Möglichkeit von Quereinstiegen in das neue 3-stufige System (Bachelor, Master, Doktor) gerade angesichts der In-between-Situation der Gesundheitsberufe durchaus dem Bologna-Prozess entsprechen.

Die Physio-Akademie vertritt die Position, dass es sinnvolle und angemessene Möglichkeiten geben muss, berufserfahrene und hervorragend qualifizierte Berufsangehörige „weiter oben” einsteigen zu lassen, d. h. bereits geschaffte Lebens- und Lernleistung anzurechnen. Weil dies im deutschen im Gegensatz zum europäischen Bildungsraum (noch) nicht geht, wurde mit dem Master of Science in Advanced Clinical Practice bewusst eine Brücke zur europäischen Ausbildungssituation geschlagen. Bei entsprechenden Leistungen und guten Projekten besteht für die Absolventen im angloamerikanischen Sprachraum auch die Möglichkeit zur Promotion (die Aufnahme in ein Promotionsprogramm bleibt immer Sache der jeweiligen Universität, an der man sich bewirbt).

Bei der praktischen Umsetzung liegt die Physio-Akademie somit voll im Trend, da in nationalen und europäischen bildungspolitischen Kreisen viel über die Förderung lebenslangen Lernens, die Anrechnung von Weiterbildungen auf Studiengänge und auch die Kooperation von Weiterbildungseinrichtungen mit Universitäten gesprochen wird. Heiko Dahl kommentiert:

„Wir leisten damit einen ganz konkreten und praktischen Beitrag für die Verwirklichung des europäischen Bildungsraums in der Physiotherapie.
Aber nicht nur die Physio-Akademie unternimmt etwas. Der Erfolg der Kollegen des Maitland-Verbandes, ihre OMT-Weiterbildung in einen Master-Studiengang an der Fachhochschule Hildesheim zu integrieren, ist ein ebenso wichtiger Schritt für die Entwicklung der Manuellen Therapie in Deutschland.”

Die Physio-Akademie nimmt für sich in Anspruch, damit nicht nur eine vertikale (von der staatlichen Prüfung zum Master-Studiengang), sondern auch eine horizontale Brücke zwischen der deutschen und der internationalen Physiotherapie geschlagen zu haben. Tatsächlich handelt es sich beim Master of Science in Advanced Clinical Practice um den ersten binationalen, 2-sprachig angelegten Studiengang in der Physiotherapie auf Master-Niveau, der zwischen einem deutschen Bildungsinstitut und einer englischen Universität im Bereich Physiotherapie etabliert wurde. Prof. Dr. Gunnar Leivseth, Physiotherapeut, Wissenschaftler und ärztlicher Leiter der OMT-Weiterbildung der AG Manuelle Therapie meint:

„Man kann den damit geschaffenen Weg gar nicht überbewerten. Die internationale Fachsprache in der Medizin und Physiotherapie ist Englisch. Wer an diesem Studiengang teilnimmt, findet den Zugang zur internationalen Welt der Physiotherapie, ob nun durch die Literatur oder sich ergebende direkte persönliche Kontakte. Der Studiengang stellt eine große Chance zum vielfältigen Kompetenzerwerb dar.”

Der Weg bis zur Verwirklichung des Studiengangs war nicht einfach. Verschiedene „Denk- und Handlungssysteme” in 2 Sprachen mussten zusammengeführt, miteinander abgeglichen und kompatibel gemacht werden: Hier die IFOMT-Standards und die im Laufe der Jahre immer weiter entwickelten Strukturen der OMT-Weiterbildung der AG Manuelle Therapie, dort die komplexen Verfahren des Qualitätssicherungssystems und des modularen Designs eines englischen Studiengangs.

Der Prozess gelang nicht zuletzt in vielen mehrtägigen Konferenzen in Middlesbrough und Wremen, nach unzähligen Telefongesprächen, Übermittlung von Arbeitsergebnissen und Mailabsprachen im Zeitraum von Anfang 2003 bis Mitte 2005. Im Mai 2005 befürwortete und genehmigte zunächst die Qualitätssicherung der Universität Teesside das Studienprogramm. Ende Juni besuchte eine interdisziplinär zusammengesetzte Delegation aus Teesside die Physio-Akademie, begutachtete das Institut und dessen Abläufe, und bestätigte daraufhin die Physio-Akademie offiziell als Partner.

Dr. rer. soc. Erwin Scherfer, PT, Dipl.Soz.-Wiss.

Bildungswerk Physio-Akademie des ZVK gGmbH

Wremer Specken 4

D-27638 Wremen

Email: e.scherfer@physio-akademie.de

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