manuelletherapie 2006; 10(4): 157-158
DOI: 10.1055/s-2006-927081
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Physio meets Dentist

E. Ludwig1
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Publication Date:
13 September 2006 (online)

Dr. Elmar Ludwig

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

wohin das Auge blickt, interdisziplinäres Denken und Handeln wird immer lauter gefordert. Und doch: In der Therapie kraniomandibulärer Dysfunktionen stehen wir noch ganz am Anfang! So wurde für Zahnärzte erst in den letzten Jahren ein praxistaugliches Konzept zur Umsetzung interdisziplinärer Befund- und Therapiestrategien vorgestellt (siehe Originalarbeit S. 200 in dieser Ausgabe). Und das, obwohl bereits zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts erste Syndrombeschreibungen „auf den Markt” kamen und sich interessierte Zahnärzte 1970 zu einem Arbeitskreis zusammenschlossen. Inzwischen hat sich dieser Arbeitskreis zu einer anerkannten Gesellschaft gemausert, die weltweit die größte ihrer Art ist. Zahnärzte glauben wohl, sie könnten mit ihren Mitteln Menschen mit Schmerzen im Bereich der Kiefergelenke helfen -, vielen vielleicht, aber sicher nicht allen und schon gar nicht allein.

Das erwähnte Konzept kommt zwar spät, ist dafür aber gut durchdacht und sollte in jede zahnärztliche Praxis Einzug halten; denn wer sich so „am Biss” zu schaffen macht, der sollte erstens eine grobe Vorstellung davon haben, welchen Schaden er anrichten kann. Zweitens können einige Patienten tatsächlich mit einfachen Mitteln vor Ort kurativ therapiert werden, und nicht zuletzt sollte der Zahnarzt Problempatienten erkennen können. Das Konzept motiviert uns Zahnärzte, die eigenen Kompetenzen in der Behandlung von CMD-Patienten Stück für Stück zu erweitern und dabei die interdisziplinäre Zusammenarbeit zu suchen.

Das tut auch Not. Denken wir bloß an die „goldenen 70er- und 80er-Jahre”. Die medizinische Notwendigkeit nicht weniger damals durchgeführter zahnärztlicher Versorgungen ist bis zum heutigen Tag nicht erwiesen. Zahnsubstanz war noch nicht heilig und das Wort „minimalinvasiv” noch nicht geboren. Das Motto lautete: Extension for prevention. Gebohrt wurde auf Teufel komm raus, und nur dafür gab und gibt es auch heute Geld von der Krankenkasse. Die erste funktionelle Flutwelle aus dieser Zeit ist bereits über uns hereingebrochen. In den Startlöchern steht aber schon die Generation der Kinder mit zwangsreguliertem naturgesunden Gebiss. Seien wir gespannt, welchen funktionellen Preis wir für das „Präpen” und den „Camp fence” noch bezahlen müssen. Die funktionelle Untersuchung der Kiefergelenke war, ist und wird auch in Zukunft in fast allen Bereichen der Zahnheilkunde ein Privatvergnügen bleiben -, nicht zuletzt übrigens aufgrund der uneinheitlichen Diagnostik- und Therapiestandards. Solange sich daran nichts ändert, werden noch viele Kinder in den Brunnen fallen; und weil manches nicht mehr rückgängig zu machen ist, spielen gerade für uns Zahnärzte die Physiotherapeuten bzw. Manualtherapeuten eine ganz wichtige Rolle.

Tabletten, Spritzen und Schienen sind ganz nett, doch viele unserer Patienten profitieren viel mehr von den „sanften Methoden” der Manipulation. Deshalb lasst uns nicht nur von Zusammenarbeit träumen, sondern lasst uns versuchen, wirklich zusammenzuarbeiten - für die Menschen, die unsere Hilfe suchen. Der Weg ist beschwerlicher, führt aber eher zum Ziel; und wir Zahnärzte sollten uns fragen, ob wir (das unseren Patienten) nicht auch schuldig sind.

Die geplante Artikelserie ist ein 1. Schritt auf dem langen Weg, unsere Welten besser zu verzahnen. Das allein reicht aber nicht aus, auch zu begreifen. Deshalb soll ein Workshop vom 12. - 13. Januar 2007 in Ulm Physiotherapeuten und Zahnärzte zusammenbringen. Konzepte müssen umgesetzt werden, wenn sie funktionieren sollen. In Theorie und in Praxis setzen wir uns deshalb zusammen und auseinander (Infomaterial auf Nachfrage beim Autor - siehe Originalarbeit, S. 200).

Machen wir uns aber nichts vor. In Anbetracht der Vielzahl möglicher Ursachen kraniofazialer Schmerzen muss die Behandlung der „zähen Brocken” auch in Zukunft in gut ausgebauten Netzwerken von spezialisiert Interessierten aller betroffenen Fachgruppen (Physiotherapeuten, Zahnärzte, Orthopäden, Neurologen, Psychosomatiker, Schmerztherapeuten) durchgeführt werden. Diese „gut ausgebauten” Netzwerke sind rar und werden es auch immer bleiben!

Dr. Elmar Ludwig
Universitätsklinikum Ulm
Abt. für zahnärztliche Prothetik

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