Zeitschrift für Klassische Homöopathie 2006; 50(2): 52-59
DOI: 10.1055/s-2006-932338
Originalia

Karl F. Haug Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Hahnemanns therapeutisches Vorgehen in den Jahren 1831-1835

Jens Busche
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Publication Date:
20 June 2006 (online)

Zusammenfassung

Das Therapiekonzept Hahnemanns in den Jahren 1831-35 stellt sich in der Analyse von vier Krankengeschichten umfassender dar als dies in anderen Veröffentlichungen der Fall ist. Neben der arzneilichen homöopathischen Therapie nutzte Hahnemann in seinem Behandlungskonzept Aspekte der zeitgenössischen Diätetik. Hahnemann empfahl zeitgenössische Therapien und tolerierte die Selbstmedikation mit Hausmitteln in Krisensituationen. Die Bindung an den Arzt wurde durch ein Patientennetzwerk gefördert und durch die inner- und interfamiliären unterstützenden Therapiemaßnahmen aufrechterhalten. Im Therapiefortschritt zeigten sich in einigen Fällen deutliche Differenzen in Bezug auf die Bewertung zwischen Arzt- und Patientenaufzeichnungen.

Summary

Hahnemann's therapeutical concept is presented extensively through four case histories. Besides his homoeopathic therapy, Hahnemann made use of certain aspects of contemporary dietetics. He not only suggested therapies of his time, but also tolerated self-medication with household remedies in critical situations. The commitment to the physician was supported by a network of patients and maintained by supporting therapy regimes.

Throughout the course of therapy, there are noteworthy differences of evaluation in the notes of both physician and patient.

Anmerkungen

01 Salutogenese (d.h. Gesundheitsentstehung): „Dem Begriff der Pathogenese als Krankheitsentstehung und Krankheitsentwicklung muss der Prozess einer Salutogenese … gegenübergestellt werden … Das Modell von Gesundheit und Krankheit erweitert sich zu einem dynamischen System, das einen endlichen, durch Geburt und Tod begrenzten und zwischen Salutogenese und Pathogenese oszillierenden Lebensprozess beschreibt.” [17]

02 Die verschiedenen Ebenen sind: 1. Die mechanische Ebene mit Prozessen auf Bildungsreize im Skelett, Bildungsreize im Knorpel, Aktivierung der Muskelpumpe, Muskelaufbau und Verbesserung der Hämodynamik. 2. Metabolische Ebene mit Senkung der Insulinresistenz, prozentuale Zunahme der Fettverbrennung und Steigerung des Grundumsatzes. 3. Vegetative Ebene mit bedarfsadaptierter Bremsung des Sympathikus 4. Steuerungsebene mit Ökonomisierung der Herz- und Atemfunktion; die Schmerzschwelle steigt durch Endorphinausschüttung an, und es tritt eine Immunmodulation auf. 5. Psychische Ebene mit ausgleichender Wirkung, Steigerung der Endorphinausschüttung, Entspannung und Verbesserung des Schlafs [14].

03 I. Licht/Luft (aer), II. Essen und Trinken (cibus et potus), III. Bewegung und Ruhe (motus et quies), IV. Schlafen und Wachen (somnus et vigilia), V. Ausscheidungen (excreta et secreta), VI. Gemütsbewegung (affectus animi).

04 „Unter Suggestion verstehen wir die Beeinflussung des Denken, Fühlens, Wollens oder Handelns eines anderen Menschen unter Umgehung seiner rationalen Persönlichkeitsanteile auf der Grundlage eines zwischenmenschlichen Grundvollzugs, der zur affektiven Resonanz führt … Bei der Heterosuggestion handelt es sich um zwei Personen, die in einem gegenseitigen affektiven Beinflussungsverhältnis zueinander stehen …” [16].

05 Zu den „unspezifischen Faktoren” gehören: Intensive emotionale Beziehung, Vermittlung von Support, Suggestion, Mobilisierung von Zuversicht, Vermittlung von Erfolgserlebnissen. Siehe auch [18: 535].

  • 01 Bönninghausen D G. Die homöopathische Diät. Münster; Friedrich Regensberg 1833
  • 02 Caspari B. Katechismus der homöopathischen Diätetik für alle Kranke. Leipzig; Baumgärtnerische Buchhandlung 1825
  • 03 Conradi E. Grundlagen der physikalischen Therapie. In: Grifka J (Hrsg.): Naturheilverfahren. München; Urban & Schwarzenberg 1995
  • 04 Dinges M. Männlichkeitskonstruktion im medizinischen Diskurs um 1830: Der Körper eines Patienten von Samuel Hahnemann. In: Martschukat J (Hrsg.): Geschichte schreiben mit Foucault. Frankfurt a.M/New York; Campus 2002: 102
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  • 06 Fischbach-Sabel U, Hahnemann S. Krankenjournal D 34 (1830). Kommentarband zur Transkription. Heidelberg; Haug 1998
  • 07 Gehrke C. Die Patientenschaft der Mathilde von Berenhorst (1808-1874). Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Medizinischen Fakultät der Georg August Universität zu Göttingen. Göttingen; 2000
  • 08 Genneper T. Als Patient bei Samuel Hahnemann. Die Behandlung Friedrich Wiecks in den Jahren 1815/1816. Heidelberg; Haug 1991
  • 09 Groß A G W. Diätetisches Handbuch für Gesunde und Kranke. Leipzig; Carl Heinrich Reclam 1824
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  • 11 Handley R. Auf den Spuren des späten Hahnemann. Stuttgart; Sonntag 2001: 76
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  • 13 Hickmann R. Das Psorische Leiden der Antonie Volkmann. Heidelberg; Haug 1996
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  • 16 Lohmann R. Suggestive und übende Verfahren. In: v. Uexküll T et al (Hrsg.): Psychosomatische Medizin. München; Urban & Schwarzenberg 1996: 450 f
  • 17 Melchert D. Was versteht man unter Naturheilverfahren in Deutschland?. In: Melchert D, Brenke R et al (Hrsg.): Naturheilverfahren. Stuttgart/New York; Schattauer 2002: 41
  • 18 Möller H-J, Laux G, Deister A. Psychiatrie und Psychotherapie. Stuttgart; Thieme 2001: 535
  • 19 Schuricht U. Samuel Hahnemann Krankenjournal D 16 (1817-1818). Kommentarband zur Transkription. Stuttgart; Haug 2004
  • 20 Seiler H P. Die Entwicklung von Samuel Hahnemanns ärztlicher Praxis. Heidelberg; Haug 1988
  • 21 Stahl M. Der Briefwechsel zwischen Samuel Hahnemann und Clemens von Bönninghausen. Heidelberg; Haug 1997: 45 f
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