Dtsch Med Wochenschr 2006; 131(25/26): 1449-1451
DOI: 10.1055/s-2006-946598
Klinischer Fortschritt | Commentary

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Die Entwicklung der Hypertonieformen und eine Neubewertung antihypertensiver Substanzen

Development of various forms of hypertension and new assessment of antihypertensine medicationM. Middeke1
  • 1Blutdruckinstitut München
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Publication Date:
05 July 2006 (online)

Von der Prähypertonie zur isolierten systolischen Hypertonie ?

Die Framingham Heart Study ist auch nach Jahrzehnten immer wieder ein Quell neuer Erkenntnisse. Die neuesten Daten [4] bringen Licht in die bisher nur nebulösen Vorstellungen von den Zusammenhängen zwischen diastolischer und systolischer Hypertonie, deren unterschiedlichen Ursachen und die Entwicklung der verschiedenen Hypertonieformen im Verlauf der Jahre. Welche Faktoren führen zur diastolischen Hypertonie, welche zur systolischen Hypertonie, und gibt es einen Übergang von der isolierten diastolischen (IDH) in die isolierte systolische Hypertonie (ISH)? Diese Kernfragen der Hypertensiologie kann Framingham nun beantworten: Im Vergleich zu Personen mit optimalem Blutdruck (<120/80 mmHg) haben Personen im normalen und noch-normalen Blutdruckbereich (120 - 139/80 - 89) ein relatives Risiko (RR), im Laufe der nächsten 10 Jahre folgende verschiedene Hypertonieformen zu entwickeln: RR 6 % für eine isolierte diastolische Hypertonie, RR 11 % für eine diastolische und systolische Hypertonie (SDH), RR 8 % für eine isolierte systolische Hypertonie. Patienten mit einer IDH haben ein RR von 23 % für die Entwicklung einer SDH und nur von 1,4 für eine ISH. Vor allem jüngere und übergewichtige Männer bekamen eine diastolische Hypertonie. Mehr als 70 % der Patienten mit isolierter diastolischer Hypertonie haben ein metabolisches Syndrom. Eine isolierte systolische Hypertonie entwickelte sich bevorzugt bei älteren Frauen, die im Verlauf der Beobachtungszeit an Gewicht zunahmen (Abb. [1]).

Abb. 1 Relatives Risiko für die Entwicklung einer systolischen und diastolischen Hypertonie (SDH), einer isolierten diastolischen Hypertonie (IDH) und einer isolierten systolischen Hypertonie (ISH) in den verschiedenen Hypertonieklassen und untereinander nach 10 Jahren bei Patienten mit normalem bis noch normalem BD im Vergleich zu Patienten mit optimalem BD (<120/80 mmHg). * signifikant

Die isolierte systolische Hypertonie im Alter ist eine eigenständige Erkrankung der großen Gefäße

Damit bestätigt sich die Vorstellung, dass die isolierte diastolische und die isolierte systolische Hypertonie zwei (völlig) verschiedene Kollektive betrifft, und die IDH in jüngeren Jahren in der Regel nicht in die ISH im höheren Lebensalter mündet, im Sinne einer „ausgebrannten” diastolischen Hypertonie. Die IDH ist jedoch sehr häufig Vorläufer der kombinierten systolischen und diastolischen Hypertonie. Wie zu erwarten, kommt die Entwicklung in „umgekehrter” Richtung von der ISH zur IDH mit einem RR von 0,6 praktisch nicht vor.

Man kann davon ausgehen, dass diese Beobachtungen über die Entwicklung der verschiedenen Hochdruckformen aus dem normotonen Bereich heraus repräsentativ und insbesondere auch auf deutsche Verhältnisse übertragbar sind. Demnach entwickelt sich bei einem Viertel der erwachsenen normotonen Bevölkerung im Laufe von 10 Jahren eine Hypertonie: am häufigsten eine systolische und diastolische Hypertonie, gefolgt von einer isolierten systolischen und einer isolierten diastolischen Hypertonie. Bemerkenswerte Übergänge von der einen in die andere Form finden sich nur von der IDH und geringer von der ISH in die kombinierte Hypertonie. Zwischen IDH und ISH gibt es keine nennenswerten Übergänge. Bei beiden Hypertonieformen spielt aber die Entwicklung von Übergewicht eine überragende Rolle: bei der IDH in jüngeren Jahren, bei der ISH im Alter. Diese Erkenntnisse haben große Bedeutung für Prävention und Behandlung.

Die ISH ist also als direkte Folge der Sklerose der großen Gefäße mit verminderter Windkesselfunktion und daraus folgender großer Blutdruckamplitude anzusehen. Sie hat damit eine völlig andere Pathogenese als die Hypertonieformen in jüngeren Patienten. Mit der Diagnose einer isolierten systolsichen Hypertonie (syst. BD ³ 140 mmHg, diast. BD £ 90 mmHg) mit großer Blutdruckamplitude (Pulsdruck oder pulse pressure) ist bereits die Manifestation eines Gefäßschadens erfasst. Es wird damit auch verständlich, warum die ISH im klinischen Alltag schwieriger zu behandeln ist als andere Hypertonieformen. Der Augmentationsindex als Maß für die Reflektion der Pulswelle kann heute indirekt mit bestimmten Blutdruckmessverfahren einfach erfasst werden und lässt Rückschlüsse auf den zentralen Aortendruck zu. Das könnte therapeutische Bedeutung haben (s. u.) (Abb. [2], [3])

Abb. 2 a) Windkesselfunktion der Aorta, Ausbreitung und Reflexion der Pulswelle. b) Verlust der Windkesselfunktion im Alter. Abb. 3 Schematische Druckprofile der arteriellen Pulswelle bei einer jüngeren Person mit elastischem Gefäßsystem (hohe diastolische Schulter) und bei einem älteren Patienten mit steifer Aorta (flache diastolische Schulter und Druckerhöhung durch die schnell reflektierte Welle: Augmentation des systolischen Drucks).

Literatur

  • 1 Appel L J, Moore T J, Obarzanek E. et al. for the DASH Collaborative Research Group . A clinical trial of the effects of dietary patterns on blood pressure.  N Engl J Med. 1997;  336 1117-1124
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  • 3 Dahlöf B. et al . Conduit Artery Function Evaluation.  Lancet. 2005;  366 895-906
  • 4 Franklin S S, Pio J R, Wong N D. et al . Predictors of new-onset diastolic and systolic hypertension: the Framingham Heart Study.  Circulation. 2005;  111 1121-1127
  • 5 Julius S t, Nesbitt S D, Egan B M. et al . Feasibility of Treating Prehypertension with an Angiotensin-Receptor Blocker.  Engl J Med. 2006;  354 1685-1697
  • 6 Lindholm L H, Carlberg B, Samuelsson O. Should b blockers remain first choice in the treatment of primary hypertension? A meta-analysis.  Lancet. 2005;  366 1545-1553
  • 7 Poulter N R, Wedel H, Dahlöf B. et al . Role of blood pressure and other variables in the differential cardiovascular event rates noted in the Anglo-Scandinavian Cardiac Outcomes Trial-Blood Pressure Lowering Arm (ASCOT-BPLA).  Lancet. 2005;  366 907-913
  • 8 Staessen J A, Birkenhager W H. Evidence that new antihypertensives are superior to older drugs.  Lancet. 2005;  366 869-871
  • 9 Svetkey L P. Management of prehypertension.  Hypertension. 2005;  45 1056-1061
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Prof. Dr. med. Martin Middeke

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