Diabetologie und Stoffwechsel 2006; 1(4): 235-236
DOI: 10.1055/s-2006-947204
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Interleukin-6: Antagonist oder Agonist von Insulin?

C. Weigert1
  • 1Eberhard-Karls-Universität, Tübingen
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Publication Date:
27 July 2006 (online)

Interleukin-6 (IL-6) wurde erstmals 1986 als B-Zellen stimulierender Faktor beschrieben. Seither hat die Erforschung seiner biologischen Funktionen zu einigen recht erstaunlichen Erkenntnissen geführt. Dieses Zytokin ist ein Paradebeispiel für die pleiotrope Wirkung von Signalmolekülen, das inzwischen nicht nur für Entzündungsforscher und Immunologen von Interesse ist, sondern auch für Sportmediziner und insbesondere auch für Diabetologen.

Anfangs konzentrierte sich die Wissenschaft auf die auch recht komplexe Rolle von IL-6 im inflammatorischen Netzwerk, wobei sich die Komplexität hier in den für IL-6 beschriebenen sowohl pro- als auch als antiinflammatorische Effekten widerspiegelt. Erstaunlich war 1997 die Entdeckung, dass IL-6 auch in relevanten Mengen im Fettgewebe produziert wird und dies möglicherweise in direktem Zusammenhang mit der peripheren Insulinresistenz steht [1]. Nicht minder überraschend war der von der Arbeitsgruppe von Bente Pedersen am Kopenhagener Muscle Research Centre geführte Nachweis, dass ausgeprägte Ausdauerleistungen (z. B. Langstreckenläufe) zu einer Erhöhung der zirkulierenden IL-6 Konzentration führen und diese hauptsächlich auf die lokale IL-6 Produktion und Freisetzung in der Skelettmuskulatur zurückzuführen ist [2] [3]. Somit stellen sich für den Diabetologen folgende Fragen: Ist IL-6 schlecht für den Diabetiker, da bei Übergewicht mehr IL-6 vom Fettgewebe produziert wird, es die Insulinresistenz von Leber und Fettgewebe fördert und zudem an der Aufrechterhaltung eines chronischen Entzündungsgeschehens beteiligt ist? Oder ist die Produktion von IL-6 durch körperliche Aktivität nicht sogar erstrebenswert, da Sport neben der Ernährungsumstellung als therapeutische Intervention in allen derzeitigen „Lifestyle”-Interventionstudien ein wichtiger Bestandteil ist?

Es ist unbestritten, dass die Produktion von IL-6 parallel mit einer gewichtsbedingten Fettgewebezunahme ansteigt, folglich findet man bei Personen mit einem vorliegenden metabolischen Syndrom aber auch bei Typ 2 Diabetikern erhöhte IL-6 Plasmaspiegel. Allerdings steht der Nachweis eines kausalen Zusammenhangs zwischen diesen erhöhten IL-6 Werten und Insulinresistenz noch aus. In tierexperimentellen Studien und in Zellkulturmodellen konnte gezeigt werden, dass IL-6 die Insulinwirkung an der Leber und am Fettgewebe reduzieren kann [4]. Ob der systemische Anstieg der IL-6 Werte bei Insulinresistenz und Typ 2 Diabetes ausreicht, um an peripheren Organen wie der Leber die Wirkung von Insulin zu reduzieren, ist nicht bekannt. Die gemessenen Werte befinden sich noch im IL-6 Referenzbereich unterhalb von 10 pg/ml.

Man kann diese „Insulinresistenzwirkung” von IL-6 auch ganz anders betrachten. Insulin ist ein anaboles Hormon, das für den Aufbau von Energiereserven in Form von Glycogen und Triacylglyceriden in Leber bzw. Fettgewebe verantwortlich ist. Wenn IL-6 an diesen Geweben nun beispielsweise bei körperlicher Aktivität antagonistisch zu Insulin wirken würde, müsste es den Abbau von Glycogen und die Freisetzung von Glucose aus der Leber fördern und darüber hinaus den Abbau und die Freisetzung von Fettsäuren aus den Fettreserven steigern. Und genau das ist auch der Fall: IL-6 führt zur vermehrten Freisetzung von Glucose aus der Leber und aktiviert auch lipolytische Prozesse in Leber und Fett. Am eindrücklichsten zeigt sich letzteres an IL-6-defizienten Mäusen, die eine massive Zunahme des Fettgewebes aufweisen [5]. Da diese Wirkungen von IL-6 den katabolen Stoffwechsel aktivieren und die Energiebereitstellung aus Leber und Fettgewebe bedeuten, erscheint es aus physiologischer Sicht folgerichtig dass zur Vermeidung von energieverbrauchenden metabolischen „futile cycles” gleichzeitig eine anabole Hormonwirkung an diesen beiden Organen, d. h. die Insulinwirkung durch IL-6 gehemmt wird. Während also IL-6 beispielsweise den Glykogenabbau in der Leber stimuliert und damit vermehrt Glucose in die Peripherie abgegeben werden kann, hemmt es gleichzeitig die durch Insulin induzierte Glykogensynthese. Durch diese katabole Wirkung an Leber und Fettgewebe ist IL-6 ein physiologischer Gegenspieler von Insulin an diesen Geweben. Die bei Übergewicht und dem metabolischen Syndrom chronisch erhöhten IL-6 Spiegel könnten daher die Insulinwirkung an Leber und Fettgewebe dauerhaft reduzieren, sofern die lokalen Konzentrationen hierfür ausreichend sind.

Welche physiologische Funktion hat das bei Muskelarbeit produzierte „Myokin” IL-6? Betrachten wir zunächst den durch IL-6 beeinflussten Stoffwechsel des Skelettmuskels. Hier zeigt IL-6 durch Förderung des Fettsäureabbaus ebenfalls katabole Wirkung. Allerdings werden durch IL-6 auch die Glucoseaufnahme zur Energiegewinnung und der Glykogenaufbau stimuliert, d. h. die Anpassung des Energiestoffwechsels des Skelettmuskels an die Erfordernisse während und auch nach der körperlichen Aktivität. Interessanterweise wird die Höhe der muskulären IL-6 Produktion vom aktuellen Glycogengehalt des Muskels bestimmt: Je weniger Glycogen vorhanden ist, desto schneller setzt die IL-6 Produktion ein und desto höher fällt die Freisetzung aus.

Sowohl die Glucoseaufnahme als auch die Glykogensynthese gehören zu den biologischen Effekten des Insulins, werden aber am Muskel auch durch IL-6 positiv beeinflusst. Folglich sollte IL-6, im Gegensatz zu Leber und Fettgewebe, am Skelettmuskel keine Hemmung der Insulinsignalweiterleitung verursachen. Tatsächlich konnte in der überwiegenden Anzahl entsprechender Untersuchungen im Tiermodell und in Zellkultur keine Verminderung der Insulinwirkung durch IL-6 gezeigt werden. Ganz im Gegenteil konnte IL-6 in Skelettmuskelzellen die Insulinwirkung sogar verbessern [6]. Bezieht man nun die bereits beschriebenen Effekte von IL-6 an Leber und Fettgewebe mit ein, die durch Freisetzung von Glucose und Fettsäuren der Energiebereitstellung dienen, so ergibt sich das Modell eines gewebespezifisch agierenden Trainingsfaktors: von der arbeitenden Muskulatur produziert und freigesetzt, aktiviert IL-6 dort vor Ort die Energiebereitstellung, während die Energienachlieferung aus Leber und Fettgewebe ebenfalls durch IL-6 gefördert wird. Tatsächlich sind IL-6-defiziente Mäuse in einem Trainingsmodell auch weniger ausdauernd als Kontrolltiere [7].

Bei der Beurteilung der biologischen Wirkung von IL-6 ist unbedingt auf die gravierenden Unterschiede zwischen den lokalen Konzentrationen im Gewebe und den Plasmaspiegeln hinzuweisen. Beispielsweise steigen im arbeitenden Muskel die interstitiellen IL-6 Werte zwar bereits bei einer geringen Belastungsintensität auf über 1 ng/ml an, also 100-fach höher als der Plasmareferenzbereich, jedoch erreichen die IL-6 Plasmaspiegel erst bei einer extremen körperlichen Belastung Werte deutlich oberhalb des Referenzbereichs von 10 pg/ml (z. B. durch dreistündiges Radfahren oder einen Marathonlauf). Bei moderater körperlicher Aktivität, wie sie ja auch bei der therapeutischen Intervention zur Verbesserung der Stoffwechsellage angestrebt wird, ist also keine Erhöhung der IL-6 Plasmaspiegel zu erwarten. Wohl aber ist von einer lokalen Wirkung von IL-6 im Sinne einer auto- bzw. parakrinen Wirkung auf den Skelettmuskel auszugehen, sozusagen als Insulinsensitizer für die Skelettmuskulatur. Dort verbessert IL-6 dann die Glucoseaufnahme, die Fettsäureverbrennung und hemmt ausserdem die Synthese des Insulinresistenzfaktors Tumornekrosefaktor-α - also eine eindeutig positiv zu bewertende Stoffwechselbeeinflussung.

Die bei extremer sportlicher Ausdauerleistung deutlich über den Referenzbereich erhöhten IL-6 Plasmaspiegel sind dagegen kritisch zu sehen, hier ist auch die Rede von IL-6 als muskulärem Stressfaktor. Studien der ehemaligen britischen Ruderolympionikin Paula Ansley-Robson legen nahe, dass durch diese Erhöhung der IL-6 Plasmaspiegel zentrale Ermüdungszustände ausgelöst werden und IL-6 an der Entstehung des Fatigue Syndroms beteiligt sein könnte.

Somit ist zusammenfassend festzuhalten, dass bei der Diskussion um die Effekte von IL-6 auf die Insulinwirkung bzw. den Diabetes immer berücksichtigt werden muss: Erstens, wo wird das IL-6 produziert, denn IL-6 zeigt gewebe/organspezifisch sehr unterschiedliche Effekte auf die Insulinsignalübertragung, zweitens, wie viel IL-6 wird produziert - sind nur lokale Wirkungen zu erwarten -, und drittens, über welchen Zeitraum wird das IL-6 produziert - sind es chronische Erhöhungen der Plasmawerte über den Referenzbereich oder handelt es sich nur um kurzfristige Steigerung der Produktion nach einer körperlichen Belastung. Man kann IL-6 daher als einen der Faktoren betrachten, die bei den positiven Effekten von Sport als therapeutische Intervention bei Typ 2 Diabetikern eine Rolle spielen („Trainingsfaktor”). Dies sollte aber klar von den negativen Effekten einer systemischen und chronischen IL-6 Erhöhung getrennt werden.

PD Dr. rer. nat. Cora Weigert

Literatur

  • 1 Mohamed-Ali V, Goodrick S, Rawesh A, Katz D R, Miles J M, Yudkin J S, Klein S, Coppack S W. Subcutaneous adipose tissue releases interleukin-6, but not tumor necrosis factor-alpha, in vivo.  J Clin Endocrinol Metab. 1997;  82 4196-4200
  • 2 Ullum H, Haahr P M, Diamant M, Palmo J, Halkjaer-Kristensen J, Pedersen B K. Bicycle exercise enhances plasma IL-6 but does not change IL-1 alpha, IL-1 beta, IL-6, or TNF-alpha pre-mRNA in BMNC.  J Appl Physiol. 1994;  77 93-97
  • 3 Steensberg A, Keller C, Starkie R L, Osada T, Febbraio M A, Pedersen B K. IL-6 and TNF-alpha expression in, and release from, contracting human skeletal muscle.  Am J Physiol Endocrinol Metab. 2002;  283 E1272-1278
  • 4 Klover P J, Zimmers T A, Koniaris L G, Mooney R A. Chronic exposure to interleukin-6 causes hepatic insulin resistance in mice.  Diabetes. 2003;  52 2784-2789
  • 5 Wallenius V, Wallenius K, Ahren B, Rudling M, Carlsten H, Dickson S L, Ohlsson C, Jansson J O. Interleukin-6-deficient mice develop mature-onset obesity.  Nat Med. 2002;  8 75-79
  • 6 Weigert C, Hennige A M, Brodbeck K, Haring H U, Schleicher E D. Interleukin-6 (IL-6) acts as insulin sensitizer on glycogen synthesis in human skeletal muscle cells by phosphorylation of Ser-473 of Akt.  Am J Physiol Endocrinol Metab. 2005;  289 E251-257
  • 7 Faldt J, Wernstedt I, Fitzgerald S M, Wallenius K, Bergstrom G, Jansson J O. Reduced exercise endurance in interleukin-6-deficient mice.  Endocrinology. 2004;  145 2680-2686

PD Dr. rer. nat. Cora Weigert

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