Dtsch Med Wochenschr 2006; 131(31/32): 1756-1757
DOI: 10.1055/s-2006-947831
Korrespondenz | Correspondence
Leserbrief
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Welche Therapieoptionen sind bei der Rauchgasinhalation gesichert? - Erwiderung

D. Nowak, T. Hierl
Further Information

Publication History

Publication Date:
26 July 2006 (online)

Wir bedanken uns für die konstruktiven Anregungen zu unserem Beitrag [8].

1. Die Indikation zur Klinikeinweisung von Rauchgasopfern richtet sich im Allgemeinen nach der Symptomatik . Die Einweisung von Patienten, die Zeichen einer Hypoxie, ein verändertes Hautkolorit (rosige Wangen als Hinweis auf eine Kohlenmonoxid- oder Cyanid-Vergiftung), pathologische Auskultationsbefunde, Husten mit Bronchorrhoe, Heiserkeit, eine veränderte Atemmechanik, retrosternale Schmerzen, neurologische Beeinträchtigungen oder sonstige Hinweise auf ein Inhalationstrauma (perorale Verbrennungen) zeigen, erscheint unzweifelhaft.

Probleme bei dieser Entscheidung bereiten vielmehr jene Patienten, die vor Ort zunächst keinerlei klinische Zeichen einer Rauchgasinhalation aufweisen. In diesen Fällen stehen die klinischen Erfahrungen einer möglichen Befundprogredienz des initial asymptomatischen Patienten sowie auch der Wunsch des Arztes, dem Patienten eine größtmögliche diagnostische Sicherheit zu bieten, leider den finanziellen Reglementierungen verschiedenster Interessengruppen gegenüber. - Kurz gesagt: Hierbei kollidieren Theorie und Praxis.

In der Literatur finden sich keine Hinweise, wie in der Gruppe der zunächst asymptomatischen Patienten, jene mit einem Risiko für eine spätere Befundverschlechterung, von denen unterschieden werden können, die trotz eines starken Verdachts auf eine Rauchgasinhalation, keine pulmonalen Schädigungen davontragen. Insofern bieten sich dem einweisenden oder weiterbehandelnden Arzt für dieses praktische Problem keine wissenschaftlich validierten Lösungsvorschläge.

Vielmehr besteht die wissenschaftlich einhellige Meinung, dass gerade asymptomatische Patienten mit einem anamnestisch hochgradig begründeten Verdacht einer Rauchgas-inhalation weiterer klinischer Observation bedürfen. Dies wird damit begründet, dass die Symptome einer pulmonalen Schädigung unter Umständen erst nach einem völlig symptomfreien Intervall von 8 bis zu eventuell 24 Stunden in Erscheinung treten können und in diesen Fällen eine meist rasche medizinische Intervention erforderlich machen.

Zeigt sich am Ort des Brandereignisses jedoch nur eine sehr geringe Rauchgasent-wicklung ohne nennenswerte toxikologische Substanzen (orientierende Schadstoffmessung mit Gasspürröhrchen durch die Feuerwehr), ist anamnestisch allenfalls von einer sehr kurzen Rauchgasinhalation auszugehen. Weist der Patient bei der initialen, klinischen Untersuchung zudem keinerlei Auffälligkeiten sowie normale Vitalparameter auf, so ist, nach eingehender Patienten-Aufklärung, eine Klinikeinweisung erfahrungsgemäß nicht erforderlich.

Wird ein Patient infolge eines begründeten Verdachts jedoch zur weiteren Überwachung und Diagnostik in die Klinik eingewiesen, so sollte das „engmaschige klinische Monitoring” neben der Inspektion des Oropharynx (Ödembildung?) eine kontinuierliche pulsoxymetrische Überwachung (selbst mit Wissen um die eingeschränkte Aussagekraft bei CO-Intoxikationen), wiederholte Blutgasanalysen, Lungenfunktionskontrollen (0, 8 und 24 Stunden möglichst einschließlich Bestimmung der sensitiven Diffusionskapazität für Kohlenmonoxid) sowie wiederholte, orientierende neurologische Untersuchungen beinhalten. Zeichnet sich eine klinische Verschlechterung des Patienten ab, so ist die weitere Diagnostik mittels Bronchoskopie einzuleiten, in den USA erfolgt zusätzlich vielfach eine Lungenszintigraphie. Das Thorax-Röntgenbild liefert im Frühstadium eines Inhalationstraumas keine diagnostisch verwertbare Aussage .

2. Die Pulsoxymetrie stellt in der heutigen Notfallmedizin ein weitverbreitetes und im Allgemeinen sehr zuverlässiges, nicht-invasives Verfahren zur schnellen und kontinuierlichen Messung der arteriellen Sauerstoffsättigung dar. Der Umstand, dass verschiedene Störfaktoren eine Verfälschung der Messergebnisse zur Folge haben können, birgt in der Tat eine große Gefahr bei der Interpretation der Messergebnisse. Gerade das im Rahmen einer Kohlenmonoxid-Intoxikation entstehende Carboxy-hämoglobin, welches durch das Pulsoxymeter bei 660 nm als oxygeniertes Hämoglobin fehlinterpretiert wird, führt zu einer erheblichen Überschätzung der realen arteriellen Sauerstoffsättigung, während der tatsächliche arterielle Sauerstoffpartialdruck kontinuierlich, massiv und unbemerkt abfällt.

Insofern teilen wir die Bedenken, die Pulsoxymetrie als alleiniges diagnostisches Mittel zur Beurteilung des Ausmaßes einer Hypoxie bei Rauchgasinhalation einzusetzen.

Neben der Kenntnis der Brandursache und -umgebung sind die klinische Inspektion des Patienten sowie dessen Symptomatik die wesentlichen und Therapie entscheidenden Elemente der präklinischen Diagnostik.

Mit dem Wissen um mögliche Carboxyhämoglobin-bedingte Messfehler besitzt die Pulsoxymetrie nach unserer Auffassung dennoch eine klinisch berechtigte Anwendbarkeit bei Rauchvergiftungen. Obwohl Rauchgas-induzierte Hypoxien in erheblichem Maße auf die infolge von Dyshämoglobinen verminderte Sauerstoff-Transport-Kapazität zurück-zuführen sind, tragen zahlreiche weitere Pathomechanismen zu einer Verschlechterung der arteriellen Oxygenation bei. Allen voran seien hier die Reflexbronchokonstriktion, die sich unmittelbar manifestierende chemische Tracheobronchitis und das sich fulminant entwickelnde Lungenödem genannt. Die Diagnose der Reflexbronchokonstriktion mag offensichtlich erscheinen, wohingegen die beiden letztgenannten Befunde weiterer, vor Ort naturgemäß limitierter Diagnostik bedürfen. Zusammen mit der klinischen Untersuchung kann die Pulsoxymetrie in diesen Fällen dennoch eine erste, wenn aufgrund der zu erwartenden Befundprogrendienz nur vage Einschätzung des Schädigungsausmaßes liefern.

Da Pulsoxymeter selbst bei schwerwiegenden Kohlenmonoxid-Intoxikationen fälschlicher-weise keine Sauerstoffsättigung unterhalb 90 % anzeigen, sollten geringere Meßwerte unklarer Ursache vor Ort zu einer erneuten und eingehenden klinischen Untersuchung führen, um die therapeutischen Maßnahmen den Erfordernissen des Patienten anzupassen. Die exakte Messung der arteriellen Sauerstoffsättigung, der Hämoglobin-Konzentration und der Hämoglobin-Derivate ist nur durch CO-Oxymeter möglich, die in modernen Blutgasanalyse-Geräten meist technisch integriert sind.

Literatur

  • 1 Barker S J, Tremper K K. The effect of carbon monoxide inhalation on pulse oximetry and transcutaneous PO2.  Anesthesiology. 1987;  66 677-679
  • 2 Clark W R. Smoke inhalation: diagnosis and treatment.  World J Surg. 1992;  16 24-29
  • 3 Hampson N B. Pulse oximetry in severe carbon monoxide poisoning.  Chest. 1998;  144 1036-1041
  • 4 Hoppe U, Klose R. Das Inhalationstrauma bei Verbrennungspatienten.  Intensivmedizin und Notfallmedizin. 2005;  42 425-439
  • 5 Mushtaq F, Graham C A. Discharge from the accident and emergency department after smoke inhalation.  Europ J Emerg Med. 2004;  11 141-144
  • 6 Nowak D. Inhalative Noxen: Toxisch-irritative Gase und Aerosole. Pneumologische Notfälle. Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft In: C. Vogelmeier, R. Buhl (Hrsg.): Pneumologische Notfälle 2004: 305-329
  • 7 Wright R O. Pulse oximetry gap in carbon monoxide poisoning. Comment to Bozeman.  Ann Emerg Med. 1998;  31 525-526
  • 8 Hierl T, Nowak D. Welche Therapieoptionen sind bei der Rauchgasinhalation gesichert?.  Dtsch Med Wochenschr. 2005;  130 2912-2913

Prof. Dr. med. D. Nowak
, T. Hierl

Institut und Poliklinik für Arbeits- und Umweltmedizin der LMU München, Klinikum der Universität München - Innenstadt

Ziemssenstraße 1

80336 München

Email: Dennis.Nowak@med.uni-muenchen.de

    >