Dtsch Med Wochenschr 2006; 131(31/32): 1757-1758
DOI: 10.1055/s-2006-947832
Korrespondenz | Correspondence
Leserbrief
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Nobelpreis für Medizin 2005 - Ein Keim führt zum Paradigmenwechsel

Zum Beitrag aus DMW 49/2005J. Mensing
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Publication Date:
26 July 2006 (online)

Am Ende seiner Würdigung der Nobelpreisträger Warren und Marshall fragt Riemann [3]: „Wer weiß noch, wie viele Menschen ... mit ... perforierten oder blutenden Ulcera ... operiert werden mussten und nicht selten an den Folgen starben?” Wichtiger erscheint mir, dass allein hierzulande nach wie vor jede Stunde ein Mensch an Helicobacter-assoziiertem Magenkrebs stirbt. Weltweit steht dieses Malignom mit jährlich etwa 1 Mio. Todesfällen an 2. Stelle. Ist es - mehr als 10 Jahre nach der WHO-Einstufung von Helicobacter als definitives Karzinogen - vertretbar, dass nur bei familiärer Vorbelastung präventiv eradiziert werden soll? Bei Hypertonie fragen wir doch auch nicht nach dem familiären Risiko, bevor wir eine teure lebenslange Therapie beginnen.

Meines Erachtens gehört die Forderung des US-Gastroenterologen Graham auf die Tagesordnung: „The time to eradicate gastric cancer is now” [2]. Uemura et al. haben schon vor vielen Jahren gezeigt, dass bei Helicobacter-Nachweis und -Eradikation anlässlich der Resektion eines Magen-Frühkarzinoms Zweitkarzinome verhütet werden, also in einem weit fortgeschrittenen Stadium der Pathogenese [5]. Warum gibt es nicht längst einen Flächenversuch einer „Test and Treat”-Strategie, beispielsweise beginnend mit 45 Jahren - etwa im Saarland, wo der Erfolg anhand des langjährigen Krebsregisters leicht überprüfbar sein sollte?

Was spricht dagegen, die Kosten? Die Effizienzschätzung für eine „Test and Treat”-Strategie [4] muss von der Tatsache ausgehen, dass bei uns der Nonkardia-Magenkrebs für rund 1 % aller Todesfälle verantwortlich ist; für die circa 50 % H.p.-Infizierten beträgt dieses Risiko also erheblich über 1:100. Die Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten gibt jedoch in ihrer Helicobacter-Leitlinie von 1996 dieses Krebsrisiko um Faktor 100 zu niedrig an, nämlich nur für 1 Person unter 5-10 000 Infizierten (www.uni-duesseldorf.de/WWW/AWMF/ll/021 - 001.htm). Widersinnigerweise würde dies bedeuten, dass die Infektion praktisch vollständig vor Magenkrebs schützt!

Ein oft geäußertes Argument gegen eine breit angelegte Eradikation ist die angeblich drohende Resistenzentwicklung. Für Helicobacter selbst wäre das irrelevant, denn die Infektionskette ist unter unseren guten hygienischen Verhältnissen weitestgehend unterbrochen. Ist jedoch Resistenzentwicklung bei anderen Krankheitserregern gemeint, erscheint das Argument nicht stichhaltig: Schließlich ist der Antibiotika-Einsatz zur Therapie und Prophylaxe der heute kaum noch lebensgefährlichen Ulzera akzeptiert. Auch könnte der bakterizide Kombinationspartner Wismut wieder stärker in Betracht gezogen werden, für den Resistenzprobleme meines Wissens nicht bestehen. Zugelassene Wismutpräparate sind - jedenfalls über einige Tage - sehr gut verträglich und nicht einmal rezeptpflichtig.

Die Helicobacter-Entdeckung lehrt uns einmal mehr, dass ultrachronische bakterielle Infektionen behandelbare Ursache (weiterer) chronischer Krankheiten unklarer Ätiologie sein können, etwa unter den so genannten Autoimmunkrankheiten. So hat der Londoner Immunologe Alan Ebringer kurz nach der Erstveröffentlichung von Warren und Marshall, ebenfalls im Lancet, eine P-.mirabilis-Infektion als eigentliche Ursache der rheumatoiden Arthritis wahrscheinlich gemacht [1] und seither bis in die molekularen Einzelheiten aufgeklärt. Leider ignorieren die Rheumatologen seine konkreten Vorschläge, diese Hypothese klinisch zu testen. Wäre es angesichts der enormen Bedeutung der rheumatoiden Arthritis nicht Aufgabe etwa der DMW, dieses Thema aufzugreifen und darauf hinzuwirken, dass eine gegen die Proteus-(Harnwegs-)Infektion gerichtete Studie angegangen wird?

Literatur

  • 1 Ebringer A, Ptaszynska T, Corbett M. et al . Antibodies to proteus in rheumatoid arthritis.  Lancet. 1985;  ii 305-307
  • 2 Graham D Y, Shiotani A. The time to eradicate gastric cancer is now.  Gut. 2005;  54 735-738
  • 3 Riemann J F. Ein Keim führt zum Paradigmenwechsel.  Dtsch Med Wochenschr. 2005;  130 2811-2812
  • 4 Roderick P, Davies R, Raftery J. et al . The cost-effectiveness of screening for Helicobacter pylori to reduce mortality and morbidity from gastric cancer and peptic ulcer disease.  Health Technol Assess. 2003;  7 1-86
  • 5 Uemura N, Mukai T, Okamoto S. et al . Effect of Helicobacter pylori eradication on subsequent development of cancer after endoscopic resection of early gastric cancer.  Cancer Epidemiol Biomarkers Prev. 1997;  6 639-642

Dr. med. Heinz Joachim Mensing

Am Kleinen Ämmerle 5

72070 Tübingen

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