Dtsch Med Wochenschr 2006; 131(33): 1825-1826
DOI: 10.1055/s-2006-949163
Korrespondenz | Correspondence
Erwiderung
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Die Entwicklung der Hypertonieformen und eine Neubewertung antihypertensiver Substanzen - Erwiderung

M. Middeke
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Publication Date:
11 August 2006 (online)

Statistische und/oder klinische Relevanz

Dies ist in der Tat eine neue Dimension der Darstellung von Studienergebnissen und deren Interpretation: Herr Kollege Traut gibt in seiner kleinen Tabelle nur Prozentwerte an. Genau dies wird sonst von ihm selbst und anderen Studienexegeten mit Recht kritisiert. Der klinische Nutzen eines Studienergebnisses kann im Gegensatz zum statistischen Wert aber nur anhand der absoluten (verhinderten) Ereignisse gemessen und bewertet werden. Natürlich kann jeder anhand der Prozentwerte die absoluten Zahlen selbst errechnen. Der Einfachheit halber habe ich die Reduktion der Ereignisse und die Signifikanzen ergänzt (Tab. [2]).

Wenn man die signifikante Senkung der Gesamtsterblichkeit (!) und sämtlicher anderer sekundären Endpunkte nicht als besseres Abschneiden bezeichnen darf, dann frage ich mich, wie besser sonst zu definieren ist, und wer diese neue Definitionshoheit besitzt? Sind z. B. 240 weniger kardiovaskuläre Ereignisse und Prozeduren bei ca. 9600 Patienten (p < 0,0001) wirklich zu ignorieren, insbesondere auch hinsichtlich der Kosten, die sich dahinter verbergen? Das mag jeder für sich selbst beurteilen. Man sollte dabei aber nicht aus dem Auge verlieren, dass in der ASCOT-Studie [1] nicht gegen Plazebo geprüft wurde, sondern zwei wirkungsvolle antihypertensive Therapieoptionen gegeneinander verglichen wurden. Natürlich ist es vordergründig enttäuschend, wenn der primäre Endpunkt (tödlicher Myokardinfakt und tödliche KHK inklusive stummer Ereignisse) mit einer Reduktion von 45 Fällen nicht signifikant gesenkt wurde. Hier setzt übrigens meine persönliche Kritik am Studiendesign an: Warum diese Wahl des primären Endpunktes? Die Autoren schreiben unter „Background”: weil die bisherigen Ergebnisse mit Betablockern und Diuretika hinsichtlich Herzinfarktreduktion enttäuschend waren, wollte man sie gegen die viel versprechenderen ACE-Hemmer und Kalziumanatgonisten prüfen. Die Hypertonie ist aber nun mal nicht der Hauptrisikofaktor für den Myokardinfarkt, sondern für den Schlaganfall. Daher werden die Ergebnisse zur KHK im Vergleich zum Schlaganfall weiterhin in jeder Studie schlechter sein - unabhängig von der eingesetzten Substanz oder Kombination. Die Hypertonie ist aber ein sehr wichtiger Risikofaktor für die Entwicklung einer Herzinsuffizienz, wie sich in den letzten Jahren gezeigt hat. Hier schneiden z. B. Betablocker (Atenolol) und ACE-Hemmer (Captopril) in der UKPDS-Studie [2] sehr erfolgreich und gleichwertig ab.

Nun zum Studienabbruch von ASCOT. Meine Interpretation war gar nicht falsch. Die Autoren der Studie schreiben (wörtlich übersetzt) auf Seite 898: Im Oktober 2004 schlug das DSMB (Data safety monitoring board) vor, die Studie zu stoppen, weil die Patienten unter der Atenolol basierten Therapie eine signifikant höhere Sterblichkeit und schlechtere Ergebnisse bei den verschiedenen sekundären Endpunkten zeigten im Vergleich zu den Patienten unter Amlodipin basierter Therapie. Dieser Vorschlag wurde vom Steering Committee bestätigt. Alle Studien-Untersucher wurden aufgefordert zwischen Dezember 2004 und Juni 2005 alle Patienten zur Abschlussuntersuchung einzubestellen [1].

Tab. 2 Ergänzung der Tabelle von Traut: absolute Ereignisreduktion (N) unter der Amlodipin basierten Therapie im Vergleich zur Atenolol basierten Therapie und Signifikanzen (p). Differenz Endpunktreduktion N = p Gesamtsterblichkeit 1 % -82 < 0,0247 Herzinfarkt (nicht tödlicher) 1 % -54 < 0,0458 Schlaganfall 1 % -95 < 0,0003 Kardiovaskuläre Mortalität 1 % -79 < 0,0010 Alle koronaren Ereignisse 1 % -99 < 0,0070 Alle kardiovaskulären Ereignisse und Prozeduren 3 % -240 < 0,0001 Primärer Endpunkt 0 % -45 < 0,1052

Ich denke, es ist nicht richtig, mir eine fehlerhafte Interpretation der ASCOT-Studie zu unterstellen. Ich danke Herrn Kollegen Traut, dass er mir die Gelegenheit gab, die Ergebnisse noch detaillierter darzustellen. Hierzu fehlte der Platz in meinem DMW-Beitrag [3]. An der Aussage und meiner Interpretation ändert das nichts. Sie sind korrekt.

Literatur

  • 1 Dahlöf B, Sever P S, Poulter N R. et al . Prevention of cardiovascular events with an antihypertensive regimen of amlodipine adding perindopril as required versus atenolol adding bendroflumethiazide as required, in the Anglo-Scandinavian Cardiac OutcomesTrial - Blood Pressure Lowering Arm (ASCOT-BPLA): a multicentre randomised controlled trial.  Lancet. 2005;  366 895-906
  • 2 UK Prospective Diabetes Study Group . Efficacy of atenolol and captopril in reducing risk of macrovascular and microvascular complications in type 2 diabetes: UKPDS 39.  BMJ. 1998;  317 713-720
  • 3 Middeke M. Die Entwicklung der Hypertonieformen und eine Neubewertung antihypertensiver Substanzen.  Dtsch Med Wochenschr. 2006;  131 1449-1451

Prof. Dr. med. Martin Middeke

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