Fortschr Neurol Psychiatr 1985; 53(2): 55-62
DOI: 10.1055/s-2007-1001953
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Handelt es sich bei der Beurteilung von Affektdelikten um ein psychopathologisches Problem?

The Assessment of Legal Responsibility in Crimes of Passion: a Psychopathological Issue?H.  Saß
  • Psychiatrische Klinik der Universität Heidelberg
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Publication Date:
11 January 2008 (online)

Abstract

The reformulation of the §§ 20, 21 StGB (concerning the defense of insanity in the German law) brought a renewed interest in the controversy about the disease concept and the assessment of responsibility in forensic psychiatry. Although the opinions of Kurt Schneider are still very influential, there are competing conceptions based on positions of normal psychology, social psychology or motivational psychology. The controversial issues are discussed and an integrating approach is proposed, though the psychopathological analysis is still regarded as the most important aspect. The question, whether one of the categories of the §§ 20, 21 StGB is qualified and whether the intensity of the psychological disturbance indicates a reduced responsibility, must be answered regarding the empirical knowledge of mentally ill , abnormal and sane individuals. Instead of the former concept of disease, which was based on a known or postulated somatic pathology, a psychopathological system of reference for each category of the §§ 20, 21 StGB has to be developped for the assessment of the disfunction during the offense. As an exemple, two catalogues of positive and negative criteria are proposed for the detection of a "profound disturbance of consciousness" in crimes of passion.

Zusammenfassung

Mit der Neufassung der §§ 20, 21 StGB in der Strafrechtsreform von 1975 ist die Kontroverse um das Krankheitskonzept und die Beurteilungsnorm bei der Schuldfähigkeitsfrage aktualisiert worden. Einem immer noch weitgehend mit den forensischen Aussagen Kurt Schneiders gleichgesetzten klinisch-psychiatrischen Ansatz stehen Auffassungen gegenüber, die ihren Ausgang stärker von normalpsychologischen, sozialpsychologischen oder motivationspsychologischen Positionen nehmen. Nach der Skizzierung des Streitstandes werden am Beispiel der Affektdelikte die Möglichkeiten eines integrierenden Vorgehens erörtert, bei dem allerdings die psychopathologische Analyse der psychischen Funktionen zur Tatzeit weiter den zentralen Platz einnimmt. Den Orientierungsrahmen für die Antwort auf die Frage, ob eine der qualifizierenden Kategorien der Schuldfähigkeitsparagraphen erfüllt ist und ob die quantifizierende Schweregradseinschätzung erhebliche Auswirkungen auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit ergibt, liefern die empirischen Kenntnisse, die an psychisch kranken, normvarianten und gesunden Menschen gewonnen sind. An die Stelle des früher als maßgebend angesehenen somatopathologischen Krankheitskonzeptes tritt ein für jede Kategorie der §§ 20, 21 StGB zu entwickelndes psychopathologisches Referenzsystem. Exemplarisch wird für die ,,tiefgreifende Bewußtseinsstörung" bzw. die Affektdelikte im Anschluß an frühere Darstellungen ein modifizierter Katalog von positiven und negativen Merkmalen vorgestellt, die für bzw. gegen die Annahme einer psychischen Störung mit Erheblichkeitsgrad sprechen.

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