Aktuelle Neurologie 2000; 27(2): 72-76
DOI: 10.1055/s-2007-1017522
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Ist Methylphenidat bei Komorbidität von Epilepsie und Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung kontraindiziert oder nicht?

Is Methylphenidate Contraindicated or not in Comorbidity of Epilepsy and Attention Deficit/Hyperactivity Disorder?K.-H. Krause1 , Johanna Krause2
  • 1Friedrich-Baur-Institut (Leiter: Prof. Dr. med. D. Pongratz) bei der Medizinischen Klinik Innenstadt (Direktor: Prof. Dr. med. Dr. h.c. P. C. Scriba) und der Neurologischen Klinik (Direktor: Prof. Dr. med. T. Brandt) der Ludwig Maximilians-Universität München
  • 2Praxis für Psychiatrie und Psychotherapie, Ottobrunn bei München
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Publication Date:
28 January 2008 (online)

Zusammenfassung

Gemäß Gebrauchsinformation kann Methylphenidat die Krampfbereitschaft erhöhen. Mit der zunehmenden Zahl der mit dieser Substanz behandelbaren Kinder und Erwachsenen mit Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung wird immer öfter die Entscheidung nötig, ob bei gleichzeitigem Vorliegen von Epilepsie und Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung die Anwendung von Methylphenidat vertretbar ist oder nicht. In der vorliegenden Übersicht werden Studien und Fallberichte gesichtet, die sich mit der Gabe von Methylphenidat bei Patienten mit epileptischen Anfällen befassen. Fazit ist, dass bei unter Antikonvulsiva anfallsfreien Epileptikern die zusätzliche Verordnung von Methylphenidat nicht zum erneuten Auftreten von Anfällen führte. Bei nicht anfallsfreien Kranken wurde eine leichte Erhöhung der Anfallsfrequenz in einer einzigen Arbeit bei wenigen Patienten gesehen, bei allen anderen Autoren fand sich keine Verschlechterung des Anfallsleidens, ganz im Gegensatz bei Patienten mit kindlicher Absencen-Epilepsie und juveniler myoklonischer Epilepsie teilweise sogar eine deutliche Verbesserung des Anfallsleidens, wie dies schon vor Jahrzehnten bei Gabe anderer Stimulanzien - d-Amphetamin und Benzedrin - berichtet wurde. Diese positive Wirkung der Stimulanzien bei bestimmten Anfallsformen ist besonders bemerkenswert unter dem Aspekt, dass erhebliche psychopathologische Ähnlichkeiten zwischen Patienten mit juveniler myoklonischer Epilepsie und solchen mit Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung bestehen. Der Einsatz von Methylphenidat wäre demnach bei diesem Personenkreis nicht nur vertretbar, sondern sogar indiziert, wenn begleitende Symptome der Aufmerksamkeitsstörung und/oder Hyperaktivität vorliegen. Bei allen übrigen gut eingestellten Anfallskranken stellt die Gabe von Methylphenidat nach den Daten der Literatur kein Risiko dar, bei nicht anfallsfreien Patienten kann möglicherweise im Einzelfall eine leichte Zunahme der Anfallsfrequenz auftreten.

Summary

The instructions for use of methylphenidate point to a possibly increasing tendency to epileptic seizures. Hence, it is increasingly mandatory to decide whether or not methylphenidate should be administered in patients of concomitant epilepsy and attention deficit/hyperactivity disorder, since an increasing number of children and adults can be treated with methylphenidate for attention deficit/hyperactivity disorder. This review considers studies and case reports concerned with the administration of methylphenidate to patients with epileptic seizures. It is a fact that there was no recurrence of seizures in patients who had been free from seizures under anticonvulsive treatment, if methylphenidate was additionally applied. In patients who were not free from seizures, a single study with few patients reported a slight increase in the incidence of seizures whereas in all other studies there was no deterioration of the disease. In striking contrast to this, some patients with childhood absence epilepsy and juvenile myoclonic epilepsy experienced a clear improvement in the incidence of seizures. This phenomenon had already been reported decades ago with the administration of other stimulants such as d-amphetamine and benzedrine. This positive effect of stimulants in patients with some seizure types is particularly remarkable because there are considerable psychopathological similarities between patients with juvenile myoclonic epilepsy and those with attention deficit/hyperactivity disorder. Hence, the administration of methylphenidate to such patients is not only be possible but even justified in case of concomitant symptoms of attention disorders and/or hyperactivity. In all other seizure patients who are well adjusted to their medication, no risk is involved with the administration of methylphenidate, as the available evidence from literature shows, whereas in patients who are not free from seizures it may be possible that there is a slight increase in seizure incidence.

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