Aktuelle Neurologie 1997; 24(4): 137-142
DOI: 10.1055/s-2007-1017797
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Spastik: Pathophysiologie, Klinik, und Pharmakotherapie

1. Morphologische Untersuchungen zur PathophysiologieMorphological Studies on the Pathophysiology of SpasticityW. Nacimiento
  • Neurologische Klinik der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen (Direktor: Prof. Dr. med. J. Noth)
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Publication Date:
30 January 2008 (online)

Zusammenfassung

Die Anwendung moderner morphologischer Techniken kann dazu beitragen, die weitgehend unbekannten neurobiologischen Mechanismen der Spastik zu eruieren. Nach Hemisektion des unteren thorakalen Rückenmarkes bei Katzen und Ratten entwickeln sich motorische Veränderungen, die Elemente der menschlichen Spastik enthalten. In diesem Artikel werden morphologische Befunde über neuronale und gliale Reorganisationsvorgänge im Rückenmark unterhalb der Hemisektion zusammengefaßt und deren mögliche Relevanz für die Pathophysiologie der Spastik diskutiert.

Eine weitverbreitete und seit langem umstrittene Hypothese zur Erklärung der Spastik postuliert eine Ausprossung segmentaler Afferenzen mit nachfolgender Reinnervation partiell denervierter spinaler Interneurone, die den Motoneuronen vorgeschaltet sind. Am Hemisektionsmodell konnte in immunhistochemischen Studien dieses Konzept unter Verwendung von Antikörpern gegen das Protein B-50 (GAP-43), einem bewährten Marker für axonales Aussprossen und Synaptogenese, nicht gestützt werden. Elektronenmikroskopisch wurde an den partiell denervierten Interneuronen eine permanente Bedeckung der freigewordenen postsynaptischen Stellen durch Astrozytenfortsätze beobachtet. Die nachgeschalteten motorischen Vorderhornzellen zeigten an ihrer Oberfläche ausgeprägte strukturelle Veränderungen der axosomatischen Boutons, die auf eine Funktionsstörung dieser überwiegend inhibitorischen synaptischen Eingänge schließen lassen. Dadurch kann es zu einer Imbalance mit funktionellem Überwiegen der exzitatorischen Synapsen kommen, die zur posttraumatisch gesteigerten Erregbarkeit der Motoneurone und der damit assoziierten Hyperreflexie beitragen kann. In weiteren Studien muß festgestellt werden, welche Neurotransmitter und Rezeptoren an diesen synaptischen Veränderungen beteiligt sind und inwieweit diese synaptische Plastizität für die Pathophysiologie der Spastik eine Rolle spielt. Ein besseres Verständnis der zellulären und molekularen Vorgänge im läsionierten Rückenmark kann zur Weiterentwicklung der kontrovers diskutierten Physio- und Pharmakotherapien der Spastik beitragen.

Summary

Modern morphological techniques applied to animal experiments may help to elucidate cellular mechanisms in the spinal cord which are involved in the pathophysiology of spasticity. Changes in motor function following low thoracic spinal cord hemisection in cats and rats reveal important components which also occur in human spasticity. This article summarizes morphological observations on neuronal and glial reorganization in the spinal cord caudal to hemisection and addresses some issues of the current discussion on the neurobiology of spasticity.

A controversal hypothesis suggests that sprouting of dorsal root axons and subsequent reinnervation of partially denervated spinal neurons contribute to the generation of spasticity. This concept was not supported by our immunohistochemical studies in the hemisection model, using antibodies against the neural-specific protein B-50/GAP-43, a prominent marker for axonal sprouting and synaptogenesis. Vacant postsynaptic spaces on spinal neurons caudal to hemisection appeared to be covered by astrocytic processes, as revealed by electron microscopy.

However, on the surface of motoneurons distal to the lesion, structural changes were observed in the predominantly inhibitory axosomatic synaptic boutons. This suggests a lesion induced imbalance in synaptic input, with the disturbance of inhibitory synapses and subsequent dominance of excitatory input. Such a hypothetical mechanism may contribute to the well known increased excitability of motoneurons caudal to interruption of supraspinal descending pathways. Further studies are required to identify the neurotransmitters and receptors involved in this synaptic plasticity and to determine to what extent these changes may contribute to the development of spasticity.

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