Dtsch Med Wochenschr 1998; 123(11): 318-322
DOI: 10.1055/s-2007-1023967
Kasuistiken

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

»Purple glove syndrome«: Schwere Weichteilgewebereaktion nach Phenytoininfusion

Purple glove syndrome: soft tissue damage associated with intravenous phytoinA. Cadenbach, K. Röttger, M. K. Müller
  • Klinik für Kardiologie (Chefarzt: Prof. Dr. N. Treese), Klinik für Unfallchirurgie (Chefarzt: Dr. D. Dreisilker), und Klinik für Allgemeine Innere Medizin (Chefarzt: Prof. Dr. M. K. Müller), Marienhospital Osnabrück
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Publication Date:
25 March 2008 (online)

Zusammenfassung

Anamnese: Eine 37jährige Frau mit bekanntem generalisierten Krampfleiden seit der Kindheit wurde vom Notarzt unter dem Bild eines Status epilepticus in die Intensivstation eingeliefert. Nach Primärbehandlung mit 2 × 1 mg Clonazepam intravenös kam es zu weiteren generalisierten tonisch-klonischen Krämpfen.

Therapie und Verlauf: Zum Aufnahmezeitpunkt war die Patientin bewußtlos und reagierte ungezielt auf Schmerzreize. Es kam zu erneuten Krampfanfällen mit Erbrechen und drohender respiratorischer Insuffizienz. Nach Intubation wurde eine Therapie mit Phenytoin (initial 250 mg über 10 min, dann 750 mg über 24 h) über eine periphere Vene auf dem rechten Handrücken eingeleitet. Darunter sistierten die Krämpfe. Innerhalb weniger Stunden entwickelte sich an der Einstichstelle eine livide Schwellung. Diese breitete sich auf den Unterarm aus und führte zu einer schmerzbedingten Immobilität. Unter einer Therapie mit Antiphlogistika, Antibiotika sowie physikalischen Maßnahmen besserte sich der Befund. Zum Entlassungszeitpunkt war ein schmerzloser Faustschluß möglich. Nach 3 Wochen erfolgte die stationäre Aufnahme wegen einer erneuten schmerzhaften Bewegungseinschränkung der rechten Hand mit dem klinischen Bild einer beginnenden Sudeck-Dystrophie. Unter Leitungsanästhesie gelang innerhalb von 2 Wochen eine erneute komplette Mobilisation und Schmerzfreiheit.

Folgerung: Nach regelrechter periphervenöser Gabe von Phenytoin-Infusionskonzentrat kommt es in Einzelfällen zu einer akuten, schwerwiegenden Weichteilreaktion. Das klinische Bild wurde in der angloamerikanischen Literatur bereits mit dem Begriff »purple glove syndrome« beschrieben. Die intravenöse Gabe über eine periphere Vene sollte vermieden werden und bei vitaler Indikation über einen zentralen Venenkatheter erfolgen. Der oralen Gabe ist nach Möglichkeit der Vorzug zu geben.

Abstract

History and admission findings: A 37-year-old woman, known since childhood to suffer from generalized seizures, was sent to the intensive care unit in status epilepticus. On admission tonic-clonic seizures persisted even after intravenously administration of clonazepam, 2 × 1 mg. She was unconscious and reacted unfocused to painful stimuli.

Treatment and course: Further seizures occurred with vomiting and respiratory failured threatened. After intubation phenytoin was given intravenously (initially 250 mg over 10 min, then 750 mg over 24 h) into a vein on the dorsum of the hand. The seizures stopped. Within a few hours a livid swelling developed at the site of the needle puncture on the right hand, which spread to the lower arm (purple glove syndrome) and the patients could no longer move her arm because of pain. The condition improved with anti-inflammatory treatment and antibiotics as well as local measures. On discharge she was able to make a fist without pain. However, she was re-admitted 3 weeks later because of renewed painful impairment of right hand movement and the picture of early Sudeck's atrophy. Under regional anaesthesia complete mobility and freedom from pain was achieved within 2 weeks.

Conclusion: Administration of phenytoin into a peripheral vein, especially of the hand, can cause soft tissue damage and should be avoided. Primarily the oral route is to be preferred.

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