intensiv 2008; 16(2): 64-73
DOI: 10.1055/s-2007-963792
Intensivpflege

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Rabies - intensivmedizinische und intensivpflegerische Herausforderung - Teil 2

Raphael Veicht
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Publication Date:
02 April 2008 (online)

Rabies - Therapie

Unspezifische Therapie

Da initial meist eine gegebenenfalls behandelbare infektiöse Enzephalitis anderer Genese nicht sicher ausgeschlossen werden kann, werden Patienten mit Verdacht auf eine Rabieserkrankung im Allgemeinen polypragmatisch antibiotisch anbehandelt (Ceftriaxon + Ampicillin i. v., Aciclovir i. v.). Des Weiteren werden diese Patienten bei fortschreitender Erkrankung unter intensivmedizinischen Bedingungen aufgrund einer respiratorischen Insuffizienz intubiert, beatmet und nach den Regeln der Intensivmedizin beispielsweise mit Propofol, und/oder Midazolam und Fentanyl analgosediert. Herz-Kreislauf-Komplikationen (z. B. Hyper- bzw. Hypotonie) werden medikamentös behandelt. Bei bradykarden Herzrhythmusstörungen, die bis hin zur Asystolie reichen können, kommt eine transvenöse Schrittmachersonde zum Einsatz. Weitere Komplikationen (z. B. Elektrolytentgleisungen) können nur symptomatisch behandelt werden. Trotz intensivmedizinischer Behandlung verstirbt der Großteil der Patienten innerhalb von drei Wochen. Die längste Überlebensdauer wurde mit 133 Tagen beschrieben [1]. Jackson et al. empfehlen daher für fortgeschrittene Stadien ab der enzephalitischen Symptomatik, ein palliatives Konzept nach intensivmedizinischen Grundprinzipien anzuwenden [2].

Epidemiologisch muss eine strikte Isolierung des Patienten erfolgen. Eine zusätzliche Postexpositionsprophylaxe von Krankenhauspersonal bzw. Angehörigen sollte entsprechend den Richtlinien des Robert-Koch-Instituts [3] durchgeführt werden, obwohl eine Übertragung auf Krankenhauspersonal bisher nicht beschrieben wurde [2].

Spezifische Therapie

Bisher gibt es keine Therapie mit gesicherter Wirksamkeit. Jackson et al. beschreiben auch einen aggressiven Therapieansatz bei Rabies, der jedoch aufgrund der Fatalität der fortgeschrittenen Erkrankung nur unter bestimmten Voraussetzungen in Erwägung gezogen werden sollte (Details siehe bitte dort [2]). Am meisten Erfolg würden demnach noch Kombinationstherapien versprechen, deren Einzelaspekte zwar theoretisch gesehen vielversprechend sind, jedoch ohne evident wirksam zu sein. Neben aktiver und passiver Immunisierung würden monoklonale Anti-Rabies-Antikörper, Ribavirin, Interferon-α und Ketamin (als Transkriptionsinhibitor des Rabiesvirus) zu dieser Therapie gehören [2]. Zu beachten ist, dass Glukokortikoide unter anderem die Inkubationszeit verkürzen und daher bei Verdacht auf Rabies kontraindiziert sind [4].

Rodney et al. beschreibt in einem Fallbericht das erstmalige Überleben einer Patientin nach klinisch manifestierter Tollwutinfektion (siehe überlebte Rabies) [5]. Die Patientin wurde weder aktiv immunisiert noch hatte sie eine Postexpositionsprophylaxe erhalten. Das Therapiekonzept basiert auf einer hochdosierten Behandlung mit Ribavirin und Amantadin und der Induktion eines künstlichen Komas mit Ketamin und Midazolam. Diese Therapie wird von den Autoren auch als „Wisconsin-Protokoll” bezeichnet. Trotz des Überlebens der Patientin kann das beschriebene Therapieregime nicht als gesicherte Therapie zur Behandlung von Rabies gelten. Die Gründe für das Überleben der Patientin, und inwieweit dieses mit der erfolgten Experimentaltherapie zusammenhing, bleiben nach Expertenmeinung unklar [6]. Ebenfalls muss auf weitere Rabiesfälle seit der Erstpublikation verwiesen werden, in denen das Therapiekonzept scheiterte [7].

Überlebte Rabies

Insgesamt wurden bis 2004 weltweit fünf Fälle von Patienten mit einer Rabies-Enzephalitis dokumentiert, welche diese überlebten ([Tab. 1]) [8].

Tab. 1 Übersicht von überlebten Rabiesfällen [4] Patient Exposition Behandlung Inkubationszeit und Krankheitsbild Diagnose Kind, 9 Jahre männlich; Ohio, USA; 1970 11 Biss einer tollwütigen Fledermaus in den Daumen aktive Immunisierung am nächsten Tag 20 Tage Inkubationszeit;Lähmung des gebissenen Arms, Enzephalitis, fokale Krampfanfälle, Paralysen, Hirnödem, Koma hohe Konzentration von Antikörpern in Liquor und Blutserum Frau, 45 Jahre;Argentinien; 1972 12 Biss eines tollwütigen Hundes, der 4 Tage später starb aktive Immunisierung 10 Tage später 21 Tage Inkubationszeit;Tremor, myoklonische Spasmen, Ataxie, Hypertonie, Dysphonie, Dysphagie, Tetraparese, flukturierende Bewusstseinsstörungen, kardiale Reizleitungsstörungen hohe Konzentration von Antikörpern in Liquor und Blutserum Mann, 32 Jahre; New York, USA; 1977 13 Inhalation von aerosolisiertem Rabiesvirus im Labor Präexpositionsprophylaxe mittels aktiver Immunisierung 21 Tage Inkubationszeit;Fieber, Enzephalitis, spastische Hemiparese, Myoklonien, flukturierende Bewusstseinsstörungen, Atemdepression hohe Konzentration von Antikörpern in Liquor und Blutserum Kind, 9 Jahre männlich; Mexiko; 1992 14 Biss eines tollwütigen Hundes in den Kopf aktive Immunisierung am nächsten Tag 19 Tage Inkubationszeit;Fieber, Enzephalitis, Tetraplegie, erhöhter intrakranieller Druck, Koma hohe Konzentration von Antikörpern in Liquor und Blutserum Kind, 6 Jahre weiblich; Indien; 2000 15 Biss in Gesicht und Hand von einem streunenden Hund, der 4 Tage später starb keine Wundreinigung, aktive Immunisierung am selben Tag 16 Tage Inkubationszeit;Hydrophobie, Fieber, Halluzinationen, vermehrter Speichelfluss, fokale Krampfanfälle hohe Konzentration von Antikörpern in Liquor und Blutserum Jugendliche, 15 Jahre; Wisconsin, USA; 2004 5 Biss einer Fledermaus in den linken Zeigefinger keine aktive ImmunisierungWundreinigung mit Wasserstoffperoxyd, Analgosedierung (bis Burst suppression) mit Ketamin + Midazolam,zusätzlich Behandlung mit Ribavirin und Amantadin 37 Tage Inkubationszeit;Parästhesien in gebissener Hand, Fieber, Ataxie, Tremor, Dysarthrie, erhöhter Speichelfluss hohe Konzentration von Antikörpern in Liquor und Blutserum

Berichte über überlebte Tollwut beim Menschen werden von Spezialisten uneinheitlich interpretiert und kontrovers diskutiert. Warrell and Warrell berichten beispielsweise über fünf Patienten seit 1970, die unter z. T. schweren neurologischen Defiziten eine Tollwuterkrankung überlebt haben sollen. Alle hatten vor Auftreten erster Symptome eine aktive Immunisierung erhalten, jedoch ohne zusätzliche passive Impfung mit Anti-Rabies-Immunglobulin (RIG). Da für aktive Impfstoffe, die auf Nervenzellenbasis hergestellt wurden, über tollwutähnliche Symptomatik berichtet wird [8] [9] und die Diagnose lediglich über hohe Antikörperkonzentrationen in Serum und Liquor gestellt wurde, ist eine Impfreaktion in mindestens einem dieser Fälle anstelle einer Tollwut nicht auszuschließen.

Über einen sechsten Fall einer überlebten Rabies-Enzephalitis wurde 2005 in den USA berichtet. Dabei handelt es sich um ein von einer Fledermaus gebissenes 15-jähriges Mädchen. Die Behandlung erfolgte zunächst durch die Reinigung der 5 mm großen Wunde am linken Zeigefinger mit Wasserstoffperoxid. Es wurde weder eine aktive Immunisierung mittels Impfstoff noch eine passive Immunisierung mittels RIG durchgeführt. Nach 37 Tagen entwickelte die Patientin eine progressive rabiestypische Symptomatik. Virusspezifische Antikörper konnten in Liquor und Blutserum nachgewiesen werden. Aufgrund der Diagnose und Prognose wurde unter Zustimmung der Eltern eine experimentelle Therapie mit Ketamin, Midazolam, Ribavirin und Amantadin begonnen (siehe Rabiestherapie). 31 Tage nach Beginn der Behandlung war der Virusnachweis in Liquor und Blutserum negativ. Die kognitiven Fähigkeiten der Patientin waren nach anschließender Rehabilitation kaum beeinträchtigt [5].

Dies ist der erste bekannte Fall einer symptomatischen Tollwutinfektion, der ohne aktive oder passive Immunisierung mit nur leichten Folgeschäden überlebt wurde. Das Überleben dieser einzelnen Patienten verändert aber nicht die überwältigende Statistik der Rabies, welche die höchste Mortalitätsrate aller Infektionskrankheiten hat.

Literatur

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