ergoscience 2008; 3(1): 38-39
DOI: 10.1055/s-2007-963800
Veranstaltungsberichte

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Ich bin tätig, Ergo bin ich!

Bericht vom 2. Schweizerischen Ergotherapie-Kongress vom 26. - 27.10.2007 in BaselH. Becker1
  • 1Georg Thieme Verlag, Stuttgart
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Publication Date:
11 January 2008 (online)

Der ErgotherapeutInnenverband Schweiz (EVS) bot auf seinem 2. Kongress eine breite Palette an Informationen zu allen Fachbereichen und der allgemeinen Entwicklung des Berufes. Gemäß dem Motto des Kongresses Ergo bin ich war die Auseinandersetzung mit der Berufsidentität ein zentrales Thema. Bei der Vielfältigkeit der Berufspraxis und der Verschiedenheit der Ausbildungsniveaus von Diplom (HF = höhere Fachschule) bis Master-Degree scheint die Suche nach Gemeinsamkeiten besondere Bedeutung zu gewinnen.

Die zunehmende Akademisierung des Berufes wurde auch bei den Themen und dem Niveau der Vorträge deutlich. So gab es einige Forschungsberichte von Absolventen der European Master-Studiengänge und aus der Universitätsklinik Zürich. Nachfolgend 2 Beispiele aus dem Fachbereich Psychiatrie:

Dorothea Jäckel zeigte unter der Überschrift Work is good therapy den Zusammenhang zwischen Arbeit und psychischer Erkrankung auf. Menschen mit einer psychischen Erkrankung sind besonders häufig von Arbeitslosigkeit (70 % aller psychisch Erkrankten in der Schweiz) und Frühberentung (bei 4 von 10 Neuberenteten in der Schweiz) betroffen. Über 80 % der Betroffenen wünschen sich die Rückkehr an einen normalen Arbeitsplatz. Für eine gelungene Integration sind Frühmaßnahmen und sozialberufliche Rehabilitationsmaßnahmen besonders wichtig. Ergotherapie könnte z. B. vor allem bei der Arbeitsplatzanpassung und dem Supported employment eine Rolle spielen. Dazu ist ein Umdenken notwendig: Die Strategie First train then place hat sich als weitgehend unwirksam erwiesen und muss durch First place then train ersetzt werden.

Kim Langer behandelte in ihrer Master-Arbeit ebenfalls Menschen mit psychischen Erkrankungen. Sie ging der Frage nach, welche Bedeutung Betätigung für akut psychisch kranke Patienten hat, die zur Krisenintervention aufgenommen wurden. In Interviews mit den Betroffenen beschrieben diese einen Prozess, bei dem sie zu Beginn Betätigung als bedeutungslos empfanden. Nach einer Phase des Mitmachens gelangten sie jedoch in einen Zustand, den sie als „zu sich selber finden” bezeichneten und der es ermöglichte, das Bedürfnis nach Betätigung wieder wahrzunehmen und zu erfüllen und „Betätigungsidentität” zu rekonstruieren. Dabei war die Motivation zum Handeln nicht von Anfang an da, sondern entstand vielmehr durch den Rahmen, den die Therapie gibt und die Angebote, die ein Mitmachen bewirken.

Wie die Akademisierung in der Schweiz konkret aussieht, schilderte das Team der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften in Winterthur. Konzept, Struktur und Curriculum sowie die Umsetzung einiger Module und der praktischen Ausbildung wurden anschaulich vermittelt und durch Diskussionen gut nachvollziehbar. Das Curriculum der Ausbildung ist nach dem Occupational Therapy Practice Framework des Amerikanischen Berufsverbands ausgerichtet [1] [2]. Unter anderem eignet es sich besonders dazu, die Gemeinsamkeiten des Berufs deutlich zu machen. Allerdings ist problematisch, dass noch keine vollständige Übersetzung ins Deutsche vorliegt und auch der kulturelle Übertrag noch nicht untersucht wurde (siehe Vor- und Nachteile des OTPF im Artikel Application of the Occupational Therapy Practice Framework and Evidence-based Practice in Clinical Situation, S. 34).

Bei der Betrachtung der im Entstehen begriffenen akademischen Weiterbildung, Forschung und Dienstleistungen sowie des noch zu entwickelnden schweizerischen Master-Studiengangs, sind die Bedeutung und die Möglichkeiten zu erkennen, die zukünftig der Ergotherapie einen enormen Entwicklungsschub geben werden. Dies ist auch notwendig, damit neue Perspektiven und Arbeitsfelder entstehen können, wie z. B.:

Prävention und Gesundheitsförderung; Integration von Migranten; Forensische Psychiatrie; Community-based rehabilitation; Forschung und Lehre.

Derartig große Veränderungsprozesse, wie sie in der Schweiz gerade stattfinden, müssen nicht nur in Institutionen und Organisationen, sondern auch von den einzelnen Therapeuten bewältigt werden. Die damit verbundenen Gedanken, Gefühle, Befürchtungen, Hoffnungen und Visionen fing das Playbacktheater Bumerang ein und stellte sie auf wunderbare und amüsante Weise bildlich und musikalisch-stimmlich dar. Altes bewahren dürfen, wie das praktische Tun mit dem Patienten, den Menschen und nicht nur Tabellen und Tests sehen, wurde ebenso gewünscht wie das Loslassenkönnen von Liebgewordenem, das die Gesellschaft scheinbar nicht mehr braucht (z. B. Handwerkstechniken wie Peddigrohr und Makramee).

Ganz deutlich machte es das Bild der Schauspieler: Auch wenn das Alte mehr Gelassenheit, Sicherheit und Gemütlichkeit bedeutete, so war es doch die mit Leidenschaft das Neue symbolisierende junge Frau, die die Zuschauer mitriss. Mit ausgebreiteten Armen in einem bunten Tuch auf einer Anhöhe stehend, die weite Aussicht bewundernd, zeigte sie, was das Neue bringt: ein Sich-nach-außen-Öffnen, Sichvernetzen, mehr Raum und Weite, Spaß und vor allem - eine bessere Aussicht!

Literatur

  • 1 American Occupational Therapy Association (AOTA) . Occupational therapy practice framework: Domain and process.  American Journal of Occupational Therapy. 2002;  56 609-639
  • 2 Reichel K. Ergotherapie systematisch beschreiben und erklären - das AOTA-Framework als Beitrag zur Systematisierung der deutschen Ergotherapie. Idstein; Schulz-Kirchner 2005

Heidrun Becker

Email: Heidrun.Becker@thieme.de

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