Dtsch Med Wochenschr 2007; 132(15): 797
DOI: 10.1055/s-2007-973622
Editorial
Onkologie
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Interdisziplinäre Onkologie am Beispiel des Pankreaskarzinoms

Interdisciplinary oncology using pancreatic cancer as paradigmW. Hiddemann1 , V. Heinemann1
  • 1Medizinische Klinik und Poliklinik III, Klinikum der Universität München - Großhadern
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Publication Date:
11 April 2007 (online)

Obwohl Krebserkrankungen meist lokal entstehen, ist ihre Diagnostik und Therapie in der großen Mehrzahl der Fälle nicht auf ein einzelnes Organ oder Fachgebiet begrenzt, sondern erfordert die konstruktive Zusammenarbeit unterschiedlicher Disziplinen. Als ein eindrucksvolles Beispiel für diese interdisziplinär ausgerichtete Onkologie kann das Pankreaskarzinom gelten. Dieser Tumor gehört zu den größten Herausforderungen an die moderne Onkologie. Er ist kaum oder nur schwer in frühen Stadien zu diagnostizieren, eine operative Therapie ist meist nicht kurativ, Bestrahlung und systemische Chemotherapie sind nur von begrenzter Wirksamkeit. Nur durch das enge und zuverlässige Zusammenspiel von Diagnostik, Chirurgie, Strahlentherapie und internistischer Onkologie ist ein Fortschritt auf diesem schwierigen Terrain zu erwarten. Daher wurde die Behandlung des Pankreaskarzinoms zu Recht in den Mittelpunkt dieses Schwerpunktheftes zur interdisziplinären Onkologie gestellt. Als wichtiger Schritt in die Richtung einer optimierten interdisziplinären Behandlung wurde die Qualitätssicherung erkannt. Hier wird die gegenwärtig im Entstehen begriffene Leitlinie zum Pankreaskarzinom einen bedeutenden Beitrag leisten.

Charakteristisch für das Pankreaskarzinom ist eine frühzeitige systemische Metastasierung. Die lokoregionäre Kontrolle durch Operation oder Strahlentherapie reicht daher allein nicht aus. Obwohl die Chemotherapie dem Aspekt der frühzeitig disseminierten Erkrankung am ehesten gerecht wird, wird dieser Behandlungsansatz durch die nur mäßige Chemosensitivität der Erkrankung eingeschränkt. Unter diesen in ihrer Gesamtheit ungünstigen Voraussetzungen kann ein klinisch relevanter Fortschritt am ehesten von einer multimodalen Therapie erwartet werden. Dieses Konzept wurde zunächst in der perioperativen Behandlung umgesetzt. Zahlreiche Untersuchungen belegen, dass die mit einer Whipple-Operation verbundene Morbidität und Mortalität in spezialisierten Einrichtungen mit hohem Patientenaufkommen am niedrigsten ist. Gleichwohl kann auch unter optimalen chirurgischen Bedingungen nur selten eine Heilung erreicht werden. Als bedeutender Fortschritt gilt daher die Mitteilung aus zwei randomisierten Studien, dass durch eine postoperative Chemotherapie sowohl das krankheitsfreie als auch das Langzeit-Überleben deutlich verbessert wurden. Entsprechend hat sich die „adjuvante” Chemotherapie zumindest in Europa als neuer Behandlungsstandard etabliert. In den Vereinigten Staaten gehört die postoperative Radiochemotherapie dagegen auch weiterhin zu den empfohlenen Behandlungsoptionen, wenngleich der zusätzliche Nutzen im Vergleich zur alleinigen Chemotherapie bisher nicht eindeutig belegt ist.

Für das lokal fortgeschrittene, nicht resektable Pankreaskarzinom wurde noch kein allgemein gültiges Vorgehen definiert. Einerseits kann die Radiochemotherapie aufgrund ihrer hohen lokoregionären Wirksamkeit gerade bei fraglich resektablen Tumoren eine sekundäre Resektabilität herstellen. Andererseits haben viele Patienten aufgrund einer schon bestehenden subklinischen Metastasierung keinen Nutzen von diesem Vorgehen. Derzeit wird an Konzepten gearbeitet, die eine Verbesserung der lokalen Tumorkontrolle durch eine Bestrahlung nur bei Patienten vorsehen, die auf eine initiale Chemotherapie ansprachen und keine Fernmetastasierung entwickelten. Beim metastasierten Pankreaskarzinom gilt eine Gemcitabin-Monotherapie weiterhin als Behandlungsstandard. Intensivere Kombinationschemotherapien haben in zahlreichen randomisierten Studien gegenüber der Gemcitabin-Monotherapie entweder keinen Vorteil oder nur einen Trend zu einer Überlebensverlängerung gezeigt. Derzeit gibt es nur eine Studie, die in einer vorläufigen Analyse einen signifikanten Überlebensvorteil zugunsten der Kombination aus Gemcitabin und Capecitabin nachwies, wenngleich diese Kombination in einer weiteren Studie das Signifikanzniveau verfehlte.

Nicht zuletzt aufgrund der nur wenig zufriedenstellenden Ergebnisse einer alleinigen Chemotherapie war es folgerichtig, biologisch gezielte Behandlungsstrategien zu testen. Erfolgreich war erstmals Erlotinib, das als oraler Tyrosinkinase-Inhibitor die Signalübertragung des epidermalen Wachstumsfaktorrezeptors (EGFR) hemmt. Im Rahmen einer internationalen randomisierten Studie erreichte die Kombination aus Gemcitabin und Erlotinib im Vergleich zur Gemcitabin-Monotherapie eine signifikante Überlebensverlängerung. Diese Daten ermöglichten die europäische Zulassung der Kombination aus Gemcitabin und Erlotinib für die Behandlung des metastasierten Pankreaskarzinoms.

Fazit: Die bisher erreichten Fortschritte sind messbar und nachvollziehbar. Wenngleich sie im Einzelnen klein erscheinen und die Gesamtprognose des Pankreaskarzinoms nur gering verändert haben, so ist der Erkenntnisgewinn der vergangenen Dekade doch bedeutend. Mit zu den wichtigsten Ergebnissen gehört die Einsicht, dass die Behandlung der Zukunft in zunehmendem Maße interdisziplinäre Strukturen annehmen wird und mit wachsendem Verständnis der Tumorbiologie individualisierte Behandlungskonzepte ermöglichen wird.

Prof. Dr. Wolfgang Hiddemann

Medizinische Klinik und Poliklinik III, Klinikum der Universität München-Großhadern

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