Pädiatrie up2date 2008; 3(1): 45-60
DOI: 10.1055/s-2007-995459
Kinderchirurgie

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Frakturen

Peter  P.  Schmittenbecher
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Publication Date:
04 February 2008 (online)

Einleitung

Obwohl Frakturen etwas prinzipiell Chirurgisches sind, ist der Kinderarzt oft der erste Ansprechpartner für Eltern eines verletzten Kindes. Er wird auch sekundär um Rat gefragt und/oder ist in die Nachbehandlung involviert. Es erscheint deshalb sinnvoll, als Kinderarzt den aktuellen Stand der Frakturbehandlung im Kindesalter orientierend zu kennen.

Vor etwa zwei Jahrzehnten war die Therapie der Frakturen im Kindesalter mit wenigen Ausnahmen ganz grundsätzlich und prinzipiell konservativ. Knochenbrüche des Kindes galten als eine Domäne des orthopädischen, also nicht operativen Managements. Dabei wurden wiederholte Repositionen in Narkose bewusst akzeptiert, um Osteosynthesen mit den damals nicht kindgerechten Implantaten zu vermeiden. Der Gipsverband war ein unvermeidlicher Teil der pädiatrischen Knochenbruchbehandlung. Nachuntersuchungen des Langzeitverlaufs zeigten jedoch einige Schwächen dieses Therapieregimes auf. In einem Kollektiv von Unterschenkelfrakturen mit einem konservativen Therapieanteil von 97 %:

heilte jeder achte Bruch verzögert, konsolidierte jeder fünfte Bruch mit einem Achsenfehler von > 10 Grad, waren in 8 % bei der Nachuntersuchung nach 10 Jahren funktionelle Probleme durch eine Beinlängendifferenz oder eine Bewegungseinschränkung zu beobachten 12.

Ähnliche Ergebnisse fanden sich bei Unterarmfrakturen. Nach 98 % konservativer Therapie

verblieben in 22 % Achsenfehler > 10 Grad, zeigte jeder dritte dieser Achsenfehler nach 10 Jahren funktionell relevante Einschränkungen besonders der sehr wichtigen Umwendbewegungen (Pronation/Supination) 13.

Die Probleme resultierten vornehmlich aus der Instabilität der Frakturen, deren individuelle Dynamik durch die Reposition und den angelegten Gipsverband - auch bei wiederholten Versuchen - nicht ausreichend zu kompensieren war.

Die Entwicklung der elastisch-stabilen intramedullären Nagelung (ESIN) durch die kinderorthopädischen Kollegen in Nancy stellte dann ein Osteosyntheseprinzip zur Verfügung, dessen Elastizität dem Knochen des Kindes adäquat und dessen Stabilität für diese Altersgruppe ausreichend war [7] (Abb. [1]). Erfreulicherweise erfuhren auch die „konventionellen” Implantate wie Schrauben, Platten und Fixateure in dieser Zeit entscheidende Veränderungen und konnten für bestimmte Indikationen als kindgerecht angesehen werden. Die Vermeidung einer operativen Knochenbruchbehandlung aufgrund des Fehlens adäquater Implantate war also überwunden. Zeitgleich waren zudem soziale Veränderungen zu beobachten, die Einfluss auf die Frakturbehandlung im Kindesalter nahmen:

Die Eltern waren oft beide berufstätig ohne eine Großfamilie zur Kompensation. Die begrenzten finanziellen Ressourcen im Gesundheitswesen machten wochenlange stationäre Behandlungen unmöglich. Die Kinder waren zunehmend an früher Mobilität interessiert und wollten den Verlust eines Schuljahres durch lange Immobilisation vermeiden. Re-Interventionen und funktionelle Defizite wurden nicht mehr als schicksalhaft akzeptiert, sondern als Folge falscher Entscheidungen und Maßnahmen beklagt.

Abb. 1 Elastisch-stabile intramedulläre Nagelung (ESIN) des Unterarms in der Technik der Nancy-Gruppe.

In dieser sozioökonomischen Gesamtsituation und unter dem Einfluss verbesserter Osteosynthesemöglichkeiten für das Kind entwickelte sich das Prinzip der „primär definitiven Frakturversorgung” [9], das selbstverständlich die konservative Therapie weiter als einen ganz wichtigen Pfeiler beinhaltet.

Primär definitive Frakturversorgung

Jede Therapieentscheidung muss sich an folgenden Grundgedanken messen:

  • Die erste Intervention in Narkose soll auch die letzte sein (mit Ausnahme der Metallentfernung), das heißt: Reposition und sichere Retention mittels Gips oder Osteosynthese.

  • Die Fixation soll - wenn möglich - bewegungsstabil oder sogar belastungsstabil sein.

  • Die freie Funktion der betroffenen Extremität soll möglichst früh wiederhergestellt sein (freie Gelenkbeweglichkeit, v. a. an Ellenbogen und Knie).

  • Die Notwendigkeit klinischer und radiologischer Kontrollen soll reduziert werden.

Unter konsequenter Umsetzung dieser Prinzipien behandelten wir selbst - um die oben angeführten Beispiele fortzuführen - Unterschenkelfrakturen „nur” noch in 83 % konservativ. Die konservative Therapie blieb also in der großen Mehrheit der Fälle das Verfahren der Wahl, aber bei den instabilen Frakturen wurde die ESIN oder der Fixateur externe eingesetzt. Kein Achsenfehler > 10 Grad wurde beobachtet und nur einmal eine Längendifferenz > 1 cm, die Ergebnisse waren also deutlich besser.

Am Unterarmschaft erreichte der operativ behandelte Anteil sogar 40 %, die Versorgung erfolgte mit ESIN, selten mit dem Fixateur externe, und die funktionellen Resultate waren sehr gut. Die Ergebnisse bestätigten sich in multizentrischen Erhebungen [6].

Merke: Der lange Jahre dogmatische Satz „Frakturen im Kindesalter sind eine Domäne der konservativen Therapie” gilt heute definitiv nicht mehr. Man muss bei jeder Fraktur entsprechend Lokalisation, Frakturtyp und Stabilität das adäquate konservative oder operative Therapieverfahren wählen.

Literatur

  • 1 Dietz H G, Joppich I, Marzi I, Parsch K, Schlickewei W, Schmittenbecher P P. Die Behandlung der Femurfrakturen im Kindesalter.  Unfallchirurg. 2001;  104 788-790
  • 2 Hasler C C, Laer L von. Prevention of growth disturbance after fractures of the lateral humeral condyle in children.  J Pediatr Orthop B. 2001;  10 123-130
  • 3 Ivengar S R, Hoffinger S A, Townsend D R. Early versus delate reduction and pinning of type III displaced supracondylar fractures of the humerus in children: a comparative study.  J Orthop Trauma. 1999;  13 51-55
  • 4 Laer L von. Frakturen und Luxationen im Wachstumsalter. 4. Auflage. Stuttgart; Thieme 2001
  • 5 Lee C W, Martinek V, Usas A. Muscle-based gene therapy and tissue engineering for treatment of growth plate injuries.  J Pediatr Orthop. 2002;  22 565-572
  • 6 Lieber J, Joeris A, Knorr P, Schalamon J, Schmittenbecher P P. ESIN in forearm fractures - Clear indications, often used, but some avoidable complications.  Eur J Trauma. 2005;  31 3-11
  • 7 Metaizeau J P. Ostéosynthèse chez l’enfant. Montpellier; Sauramps Ed 1988
  • 8 Schmittenbecher P P. Die suprakondyläre Humerusfraktur.  Zentralbl Kinderchir. 2002;  11 W217-W247
  • 9 Schmittenbecher P P. Analysis of reinterventions in children’s fractures - an aspect of quality control.  Eur J Trauma. 2004;  30 104-109
  • 10 Schmittenbecher P P. What must we respect in articular fractures in childhood?.  Injury. 2005;  36 S-A35-S-A43
  • 11 Schmittenbecher P P. State-of-the-art treatment of forearm shaft fractures.  Injury. 2005;  36 S-A25-S-A34
  • 12 Schmittenbecher P P, Dietz H G, Germann C. Spätergebnisse nach Unterschenkelfrakturen im Kindesalter.  Unfallchirurg. 1989;  92 79-84
  • 13 Schmittenbecher P P, Dietz H G, Uhl S. Spätergebnisse nach Unterarmfrakturen im Kindesalter.  Unfallchirurg. 1991;  94 186-190
  • 14 Schneider J, Staubli G, Kubat S, Altermatt S. To pin or not to pin treating displaced distal forearm fractures in children.  Eur J Trauma. 2007;  33 [in press]
  • 15 Weinberg A M, Kasten P, Castellani C, Jablonski M, Hofmann U, Reilmann H. Which axial deviation results in limitations of pro- and supination following diaphyseal lower arm fractures in childhood.  Eur J Trauma. 2001;  27 309-316

Prof. Dr. med. Peter P. Schmittenbecher

Kinderchirurgische Klinik im Klinikum Karlsruhe

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