Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 1993; 28(4): 213-221
DOI: 10.1055/s-2007-998910
Originalien

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Die Quantifizierung krankhafter Bewußtseinsstörungen - Gütekriterien, Zwecke, Handlichkeit

Quantification of Pathological Consciousness Disorders. Quality Criteria, Aims, FeasibilityJ. F. Spittler1 , H. Langenstein2 , P. Cabbrese1,3
  • 1Neurologische Klinik (Direktor: Prof. Dr. W. Gehlen) Ruhr-Universität Bochum - Knappschafts-Krankenhaus
  • 2Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivtherapie (Direktor: Prof. Dr. G. Cunitz), Ruhr-Universität Bochum - Knappschafts-Krankenhaus
  • 3Lehrstuhl für physiologische Psychologie (Prof. Dr. H. J. Markowitsch), Universität Bielefeld - Abteilung für Psychologie
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Publication Date:
22 January 2008 (online)

Zusammenfassung

In einer Übersicht Über verschiedene Koma-Skalen werden Befund-Skalen (GCS, GLS, ICS, CLOCS) bzw. skalierende Testverfahren (VS, FPS-B) und Störniveau-Skalen (RLS-85, MCS) betrachtet und unter Berücksichtigung des Untersuchungsaufwandes und methodischer Prüfkriterien referiert. Nach dem Einsatzzweck könen Komatiefe-Klassifikation, Prognose-Prädikation oder Veränderungs-Monitoring unterschieden werden. Für die Komatiefe-Klassifikation empfiehlt sich aus konzeptionellen Gründen und wegen der nachgewiesenen besseren Objektivität in erster Linie die RLS-85 und bei gleicher Validität die noch einfacher zu handhabende und breiter eingeführte GCS. Eine bessere Auflösung im Bereich tieferer Koma-Stadien erzielt die GLS durch Hinzunahme kraniokaudal geordneter Hirnstammreflexe. Für die Prognose-Prädiktion sind alle Koma-Skalen nur eingeschränkt valide, d. h. unsicher, so daß sie im Einzelfall zur Entscheidung einer Therapiebegrenzung lediglich beitragen können. Für das Veränderungs-Monitoring sind Störniveau-Skalen konzeptionell ungeeignet, ist die GCS zu wenig sensitiv und läßt den Pupillenbefund missen. Will man die Dokumentation mittels GCS wegen ihrer breiten Akezptanz nicht Übergehen, empfiehlt sich das Glasgow-Köln-Schema (24), das nicht mehr eindimensional, aber Über die GCS noch zahlenmäßig verrechenbar ist. Die ICS hat nur eine beschränkte Verbreitung gefunden und ist nicht ganz vergleichbar validiert. Das Glasgow-Köln-Schema kann bezüglich der leichteren Bewußtseinsstörungen entsprechend den Vorschlägen von Price (32,33), bezüglich der schwereren Bewußtseinsstörungen entsprechend der GLS-Skala (2,3,4) erweitert werden. Für eine adäquate Überwachung dieser Patienten sollte der gering erhöhte Untersuchungsaufwand mindestens in Spezialabteilungen erbracht werden. Für die alltägliche, routinemäßige Nutzung empfiehlt sich die GCS, für tiefere Stadien die GLS durch ihre Handlichkeit und Verbreitung, wenn auch mit der deutlichen Einschränkung im Falle der Intubation und der fehlenden Berücksichtigung der Pupillo- und Bulbusmotorik. Für ein Verlaufs-Monitoring sollten die drei bzw. vier Subskalen nicht aufsummiert, sondern getrennt angegeben werden. Bei besserer Formalisierung sind CLOCS und MCS als Koma-Skalen sowie die FPS-B als umfassendes Diagnostikum für Bewußtseinsstörungen durch größeren Aufwand eher Spezialanwendungen vorbehalten. Die zur Verfügung stehenden Skalen ermöglichen eine bedarfsdifferenzierte, explizite Befunddokumentation. Für prognose-abhängige, ethische Entscheidungen geben Wahrscheinlichkeiten eine notwendige Grundlage. Andererseits können solche Entscheidungen nicht zwangsläufig aus diesen Wahrscheinlichkeiten mit ihren Unsicherheiten abgeleitet werden. Diskussionen Über begründende Fakten und Wertungen implizierende, ethische Entscheidungen werden in Zukunft belastender sein und bewußter geführt werden müssen.

Summary

Within a survey of coma scales we distinguish scales of clinical findings (Glasgow Coma Scale [GCS], Glasgow Liege Scale [GLS], Innsbruck Coma Scale [ICS], Comprehensive Level of Consciousness Scale [CLOCS]), grading tests (Vigilance Scale [VS], Funktionspsychose-Skala-B [FPBS-B]) and level-scales (Reaction-Level-Scale [RLS-85], Munich Coma Scale [MCS]). With regard to the purpose we differentiate a classification of depth, the prediction of prognosis and the monitoring of changes. For the purpose of classification of depth, the RLS-85 because of its superior objectivity is preferable, but the GCS is of comparable validity and more widely used. The GLS differentiates the deeper states of coma better than either of these because brainstem-reflexes in craniocaudal order are added. Within the prediction of prognosis all coma-scales have only limited validity and for the purpose of resource economy require additional criteria in the individual case. For the purpose of monitoring changes the level-scales primarily do not fit, the GCS is not sensitive enough. The Glasgow-Cologne-List is better suited; it is more than one-dimensional, but can be expressed through the GCS numbers for comparative purposes. The ICS is not widely used and die prognostic validity has not been proven to the same extent. The Glasgow-Cologne-List could be amplified for the less severe disturbances of consciousness according to Price (32, 33), and for the lower levels according to the GLS (2,3,4). In both cases the expense is slightly higher. Although difficult to assess in cases of intubation and lacking the registration of the width and reaction of the pupils, GCS is preferable because of its greater convenience and worldwide propagation. CLOCS and MCS as coma scales, and FPS-B for the whole range of disturbances of consciousness are more detailed and therefore more suited for special purposes. The present range of coma scales allows for detailed documentation of coma stages according to different needs. For ethical decisions derived from a poor prognosis, probabilities form an essential basis. On the other hand such decisions cannot necessarily be deduced from these probabilities because of their intrinsic uncertainties. Discussions about both the basic facts, as well as the ethical decisions dependent on value judgements, will become even more difficult in future and will have to be conducted more consciously.

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