PPH 2008; 14(2): 57
DOI: 10.1055/s-2008-1027425
Editorial

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Psychoedukation - Patientenedukation - Beratung

P. Seidenstricker
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Publication Date:
06 May 2008 (online)

Psychoedukation ist immer wieder - und mir scheint: immer öfter - ein Thema, auch in Beiträgen von Psych. Pflege Heute. Meist geht es dabei um die Beteiligung von Pflegenden an psychoedukativen Gruppen oder auch um die Leitung solcher Gruppen. Gelegentlich handelt es sich auch um Psychoedukation im Einzelkontakt. Fast immer aber bezieht sich Psychoedukation auf bestimmte Erkrankungen und es gibt mittlerweile gut ausgearbeitete Manuale z. B. für die Erkrankungen Schizophrenie, Depression, Bipolare Störungen, Angst- und Zwangsstörungen, Borderline, Abhängigkeit. Sie sind nur für Betroffene konzipiert oder auch für Betroffene zusammen mit ihren Angehörigen.

Unter Psychoedukation ist der Versuch zu verstehen, komplizierte medizinisch-wissenschaftliche Fakten so zu erklären, dass sie von betroffenen Patienten und deren Angehörigen gut verstanden werden. Ziel ist es, dass Patienten und ihre Angehörigen die wichtigsten Informationen über die Erkrankung und die erforderlichen Behandlungsmaßnahmen begreifen und nachvollziehen können. Ein selbstverantwortlicher Umgang mit der Erkrankung und ihre erfolgreiche Bewältigung setzt das Verstehen-Können der Erkrankung voraus.

Der Begriff „Edukation” ist abgeleitet von dem lateinischen Wort „educere”, das wörtlich übersetzt „herausführen” heißt - d. h. Patienten und Angehörige sollen aus dem Zustand der Unwissenheit und der Unerfahrenheit „herausgeführt werden” und zu mehr Überblick und Wissen über die Erkrankung gelangen, über die erforderlichen Therapiemaßnahmen und die möglichen Selbsthilfestrategien.

Im Zusammenhang mit der Schulung von chronisch Kranken werden als wichtige Komponenten genannt: Wissensvermittlung, Aufbau einer angemessenen Einstellung zur Erkrankung, Sensibilisierung der Wahrnehmung und Befähigung zum Erkennen von Warnsignalen, Stärkung und Entwicklung von Selbstmanagementkompetenzen.

Meines Erachtens gehört es zum „Alltagsgeschäft” psychiatrischer Pflege, durch Information und Beratung bei den Patienten/Klienten einen bewussten Umgang mit Krankheit, Beeinträchtigung und/oder Behinderung zu fördern. Dies hat den Vorteil, dass Patientenedukation oder -beratung nicht nur in einem speziellen Setting stattfindet, sondern Bestandteil vieler pflegerischer Interventionen ist. Für den Betroffenen bietet sich die Möglichkeit, in alltäglichen Situationen zu erproben, ob er Erkrankung und/oder Behinderung in sein Leben, seine Handlungen integrieren kann.

Professionelles Pflegehandeln wird sich stets durch psychoedukative Anteile auszeichnen: in der Gestaltung der Beziehung, des Milieus, der Tages- und Wochenstruktur, in Krisensituationen, bei der Übernahme von Körperpflege, bei der Motivation zur Teilnahme an Therapien, bei der Medikamentenausgabe, beim Medikamententraining, im Gespräch mit Angehörigen. Diese psychoedukativen Anteile sind fester Bestandteil psychiatrisch-pflegerischen Handelns. Es ist also nicht richtig, wenn psychiatrische Fachpflegekräfte Psychoedukation nur mit der Leitung oder Co-Leitung von Gruppen verbinden. Fast alle wichtigen Pflegesituationen mit psychisch kranken Menschen oder ihren Angehörigen bieten die Gelegenheit, Informationen über die Erkrankung, die erforderlichen Therapiemaßnahmen und vor allem Wissen über Selbsthilfestrategien zu vermitteln und damit präventiv und gesundheitsfördernd tätig zu werden. Dies gelingt am besten in einem zugewandten und fehlerfreundlichen Milieu, das die Möglichkeit bietet, Neues auszuprobieren, Selbstpflegekompetenz zu entwickeln, Selbstständigkeit und damit auch Selbstbewusstsein zu erlangen.

Psychoedukation ist demnach ein normaler Bestandteil im Pflegeprozess.

Ich bin sicher, dass viele Pflegekräfte mit hoher Fachlichkeit in diesem Sinne tätig sind. Nun käme es nur noch darauf an, diesen wichtigen Bereich nicht nur auszufüllen, sondern ihn auch ausdrücklich zu benennen, entsprechende Konzepte zu erstellen und sie zu veröffentlichen und zu verbreiten.

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