Zeitschrift für Klassische Homöopathie 2008; 52(2): 99-100
DOI: 10.1055/s-2008-1044076
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© Karl F. Haug Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Nachruf für Dr. Horst Barthel

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Publication Date:
18 June 2008 (online)

Am 13. April 2008 wäre Horst Barthel 86 Jahre alt geworden. Wenige Tage zuvor, am 6.4.2008, in der Nacht zum Sonntag, dem Festtag der Auferstehung, ist er unter der sorgenden Obhut seiner Familie, die ihn während seiner jahrelangen Krankheit liebevoll in ihrem Haus in Hamm betreut hatte, sanft entschlafen.

Seit meiner ersten Begegnung mit Horst Barthel 1982 bei einem Seminar am Starnberger See hat mich dieser Mann zutiefst beeindruckt und es war mir vergönnt, mit ihm bis zuletzt in schriftlichem Kontakt zu bleiben. Es ist deshalb für mich eine besondere Ehre an diesen großen homöopathischen Arzt zu erinnern, der durch sein Lebenswerk so maßgeblich an der Weiterentwicklung der Klassischen Homöopathie beteiligt war.

Horst Barthel wurde am 13.4.1922 in Bauzen geboren. Sein Vater, ursprünglich Veterinärarzt, konnte wegen einer Armverletzung seinen Beruf nicht mehr ausüben, studierte nochmals und promovierte mit 56 Jahren zum Doktor der Humanmedizin. Die neue Praxis wurde in der Kurstadt Wiesbaden eröffnet, wo Horst Barthel ab seinem 12. Lebensjahr das Gymnasium besuchte und sein Abitur machte. Noch vor Beendigung seines Medizinstudiums in Heidelberg wurde er als Feldarzt an die Front einberufen. Nach dem Krieg studierte er fertig und eröffnete in Wiesbaden eine Allgemeinpraxis.

1948 hatte er auf dem Weg zu einem Patienten einen schweren Motorradunfall. Seine Frau wandte sich in der Verzweiflung an Dr. Müssler, einen homöopathischen Kollegen, den sie kurz vorher kennengelernt hatten und mit ihm die Homöopathie. Sie gab ihrem bewusstlosen Mann Arnica und wie ein Wunder erwachte er und erholte sich rasch. Von da an studierte Horst Barthel unermüdlich Homöopathie und wandte sie immer mehr in seiner Praxis an. Mit seinem klaren Verstand erkannte er sofort, dass die damals besonders im deutschen Sprachraum gängige naturwissenschaftlich kritische Homöopathie nicht zielführend sein konnte, wandte sich wieder den alten Quellen zu und war damit wesentlich an der Renaissance der Klassischen Homöopathie beteiligt. Jahrelang sammelte er Ergänzungen aus der alten Literatur.

Unter seiner Zusammenarbeit mit Jost Künzli und Pierre Schmidt, der ihm Kent’s eigenhändige Erweiterungen zur Verfügung stellte, reifte der Gedanke in ihm, all dies in einem Repertorium für alle Homöopathen zugänglich zu machen.

Horst Barthel hat uns damit in 20-jähriger aufopferndster Lebensarbeit ein Werk geschenkt, das für das 3. Millennium wegweisend werden sollte: 1973 erschien sein „Synthetisches Repertorium”, Band I - Geistes- und Gemütssymptome, 1974 der von Dr. Will Klunker, Heiden (Schweiz), in dankenswerter Weise übernommene Teil III - Schlaf, Träume, Sexualität, 1978 Band II - Allgemeinsymptome (Horst Barthel) mit Ergänzungen aus der älteren bis neuesten homöopathischen Literatur. Als erster unterzog er sich dabei der ungeheuren Aufgabe, sämtliche Nachträge mit Angabe der Quelle in Form von Hochzahlen zu versehen - ohne Computer eine unvorstellbare Leistung! Damit schob er der damals um sich greifenden Unsitte, dass jeder seine individuellen Nachträge einbringen wollte, einen wissenschaftlichen Riegel vor und bewahrte das Repertorium davor, ins rein Subjektive, Ungewisse abzutriften. Dieses Riesenwerk auch noch dreisprachig abzufassen war ein zusätzlicher Geniestreich!

Am Ende der Einleitung zu seinem Repertorium schreibt Horst Barthel: „Dieses Synthetische Repertorium stellt eine Synthese homöopathischen Wissens aus 170 Jahren dar. Es möchte durch die Internationalisierung der Nomenklatur von Arzneimitteln, durch die Dreisprachigkeit der Symptome und der Indizes zur Verständigung unter den homöopathischen Ärzten der ganzen Welt beitragen. Denn die Sprachgemeinschaft homöopathischer Ärzte kann erst über gemeinsame Arznei- und Symptomenbezeichnungen entstehen.”

Als Horst Barthel nach 20-jähriger geistiger Schwerstarbeit beim Liga-Kongress eingeladen war, sein Werk vorzustellen, erhoben sich die Größen der Klassischen Homöopathie aus aller Welt - noch bevor er überhaupt zu sprechen begonnen hatte - und spendeten ihm stehend lange tosenden Beifall. Was mag da wohl im Herzen dieses bescheidenen, unermüdlichen Dieners am Werk Hahnemanns vor sich gegangen sein, der 20 Jahre lang so ganz von sich abgesehen hatte?

Ich hatte das ganz außergewöhnliche Glück, Jost Künzli und Horst Barthel als Lehrer haben zu dürfen. Ich kam erst 1980, nach langjähriger allopathischer Praxis, zur Homöopathie. Ich besuchte die Vorlesungen von Jost Künzli und fragte ihn gleich mal zu Beginn, welche Bücher ich mir beschaffen sollte. Er nannte mir einige Standard-Arzneimittellehren, Kent’ Repertorium, und dann sagte er: „Und natürlich das Synthetische Repertorium von Barthel! Das ist das Jahrhundertwerk.” Ich kaufte es sofort und konnte nicht mehr aufhören damit zu arbeiten! Welche gewaltige Erweiterung im Bereich der psychischen Symptome und Arzneimittel! Welche Bereicherung und Übersichtlichkeit bei den Allgemeinsymptomen! Wie viele Fälle konnte ich erst mithilfe des Synthetischen Repertoriums lösen! Und wie hilfreich war die Dreisprachigkeit als ich vom deutschen Kent zum englischen wechselte oder wenn ich englische Literatur las! Es ist mir bis heute ein treuer und lieber Begleiter bei meiner Arbeit. Und wenn ich mit dem neuen Complete Repertory arbeite - das leider nicht mehr den Namen Kent’s trägt - dann weiß ich, dass dieses Werk erst aufgrund Barthels Königsidee der Hochzahlen entstehen konnte - und danke ihm immer wieder für die wissenschaftliche Sicherheit, die er damit begründet hat. Sie ist die solide Grundlage zur Findung des Simile - Ziel all unserer homöopathischen Arbeit.

1984 kamen seine „Charakteristika homöopathischer Arzneimittel”, Band I heraus,

1985 das „Repertorium der Charakteristika”, 1990 Band II der Arzneimittellehre.

1994 schenkte er uns mit seinem Buch „Homöopathische Schätze von und mit Pierre Schmidt” seine Erfahrungen bei diesem Altmeister der Homöopathie. 1986 übersetzte er Gallavardin’s „Psyche und Homöopathie”. Darüber hinaus schrieb Horst Barthel unzählige wertvolle Beiträge in der „Zeitschrift für Klassische Homöopathie” und dem „Deutschen Journal für Homöopathie”.

Ab 1986 begann Horst Barthel mit der Herausgabe der „Dokumentierten Kasuistik in der Homöopathie”, ebenfalls ein Meilenstein in der Geschichte der Homöopathie. In klinisch belegten schweren Krankheitsfällen wird hier die Mittelwahl wissenschaftlich nach dem Simile-Gesetz durchgeführt und der Heilungsverlauf nachvollziehbar dokumentiert. Wie viel Anregungen und Mut gab uns dies, uns auch an klinisch schwere Fälle heranzuwagen. Und es gelang auch, wenn wir uns an Hahnemanns Aufforderung hielten: „Macht’s nach, aber macht es genau!”, die uns Horst Barthel vorlebte.

Ab 1982 durfte ich Horst Barthel als Lehrer persönlich kennen und schätzen lernen. Wie viel seines großen Wissens, seiner langen Erfahrung gab er uns in seinen Repertorisationskursen weiter. In den späten 80er-Jahren begann er uns mit den wieder entdeckten Grundlagen der Miasmenlehre bekannt zu machen. Wir hatten erst Mühe, uns diesen Gedanken zu öffnen. Doch langsam begriffen wir diese viel tiefere Sicht von Gesundheit und Krankheit und sie sollte immer mehr unsere Arbeit mit unseren Patienten befruchten.

Ich durfte Horst Barthel auch als Arzt kennenlernen: Hilfsbereit, enthusiastisch, hingebungsvoll - und von erstaunlicher Treffsicherheit bei der Wahl des Simile! Eine jahrelang bestehende therapieresistente schwerste Anämie und 4 kleine Kinder hatten meine Energiereserven ziemlich aufgebraucht. Unter einer einzigen Gabe des Simillimums kam es in den kommenden Wochen zu einer drastischen Verbesserung meiner psychischen und physischen Energie und nach einem Monat waren aus 2,4 Mio Ery 4 Mio geworden und aus 6,8 Hämoglobin 12,0! Und das blieb auch weiter so!

Ich habe Dr. Barthel später zur Kontrolle noch in seiner Praxis besucht und ich sah dort, welche Schwerstarbeit er auch hier auf sich genommen hatte: Lauter schwerst Chronischkranke, oft schulmedizinisch schon aufgegeben. Und die vielen geistig und körperlich behinderten Kinder und deren Eltern, denen er immer wieder ein Stückchen weiterhelfen konnte. Welche Hingabe an all diese Mühseligen und Beladenen durfte ich da erleben.

Ich habe mir immer wieder überlegt, welche innere Kraft Dr. Barthel dieses außergewöhnliche Lebenswerk ermöglicht hat. Da mag wohl die aktive Überwindung der Not der Kriegs- und Nachkriegsjahre eine Rolle spielen. Auch eine gute körperliche Konstitution muss dahinter gestanden haben. Aber die Hauptquellen seiner Kraft waren wohl die besonders glückliche Verbindung mit seiner wunderbaren Frau, die ein Leben lang in dienender Liebe mit ihm zusammenarbeitete und der tiefe Glaube dieser beiden Menschen. Er ließ beide so selbstvergessen für andere leben. Der Tod seiner geliebten Frau vor 2 Jahren hatte ihn zutiest getroffen und seine Lebensenergie nahm zunehmend ab.

Vor kurzem hörte ich in den „Gedanken zum Morgen” folgenden Satz: „Früher hatten die Menschen 60 Jahre und die Ewigkeit zum Leben, heute haben sie nur noch 80 Jahre.”

Ich glaube, Dr. Barthel und seine Frau konnten ihr Leben so großzügig verschenken, weil ihnen bei all ihrer Mühe und Arbeit in dieser Welt immer dieses zuversichtliche Licht der Ewigkeit geleuchtet hat. Sie wussten, dass Gott unterwegs zu finden ist und nicht erst am Ziel - und sie lebten das.

Möge ihnen beiden, die so viel Not, Leid und Krankheit lindern helfen durften, nun die Fülle des Lebens geschenkt sein.

Möge uns dankbar bewusst bleiben, welch unverzichtbarer Beitrag Horst Barthel vor allem mit seinem Synthetischen Repertorium zur Reinerhaltung der Klassischen Homöopathie geleistet hat.

Dr. Erika Anzenbacher

Ärztin für Klassische Homöopathie

Haselstauderstraße 5

A-6850 Dornbirn

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