Zeitschrift für Phytotherapie 2008; 29(1): 40-42
DOI: 10.1055/s-2008-1064948
Praxis
Behandlungsprobleme
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Erkrankungen der Harnwege (1)

Karin Kraft
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Publication Date:
18 June 2008 (online)

Harnwegsinfekte

Klinische Vorbemerkungen Aus anatomischen Gründen sind akute und chronische Infektionen der Harnwege und der Blase bei Frauen häufiger als bei Männern. Typische Symptome sind gehäufter Harndrang und Brennen beim Wasserlassen. Ein Bakteriennachweis im Urin dient der Differentialdiagnose und ggf. der Festlegung des Antibiotikums. Phytotherapeutische und allgemeine Maßnahmen Bei Harnwegsinfekten sollte grundsätzlich auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr geachtet werden. Anzustreben ist eine Diuresemenge von mindestens 2 l/Tag. Eine Durchspülungstherapie kann mit Tees aus pflanzlichen Drogen erfolgen, ihre Wirkung sollte durch heiße Sitzbäder und ansteigende Fußbäder unterstützt werden. Durch die Wasserdiurese (Aquarese) und die enthaltenen Wirksubstanzen werden Bakterien ausgeschwemmt und ihre Vermehrung verhindert. Einige pflanzliche Drogen wirken zudem spasmolytisch oder analgetisch, weshalb stets Kombinationen von mehreren pflanzlichen Drogen angestrebt werden sollten. Die Bärentraube (Arctostaphylos uva-ursi) findet sich in Mooren und Heiden Norddeutschlands und in den Alpen bis in Höhen von 2600 Metern Cave: Bei Ödemen infolge einer Herz- oder Niereninsuffizienz ist eine Durchspülungstherapie kontraindiziert! Stellenwert der Phytotherapie Wenn keine Beteiligung der Nieren vorliegt, ist bei akuten Harnwegsinfekten eine Durchspülungstherapie mit pflanzlichen Aquaretika Therapie der ersten Wahl. Bei Beteiligung der Nieren ist eine Antibiotikatherapie erforderlich, die allerdings grundsätzlich durch pflanzliche Drogen unterstützt werden sollte. Bekanntlich führt der Einsatz von Antibiotika oft nicht zur Beschwerdefreiheit, häufig finden sich Rezidive oder Antibiotikaresistenzen. Bei chronischen Harnwegsinfekten haben pflanzliche Drogen wegen ihrer guten Wirksamkeit und ihrer Nebenwirkungsarmut einen hohen Stellenwert. Alleinige Gabe von pflanzlichen Drogen bei: asymptomatischer Bakteriurie kurzfristigem Blasenkatarrh Honeymoon-Zystitis chronischen, bakteriell verursachten Zuständen nach Pyelonephritis, Urethritis, Zystitis zur Nachbehandlung, Rezidivprophylaxe. Adjuvant (bis zu einem Monat nach Absetzen der Antibiotika) bei: symptomatischen Harnwegsinfektionen Problemkeimen Keimzahlen > 106/ml. Pflanzliche Drogen Bei den pflanzlichen Drogen kann zwischen Aquaretika und Desinfizientien unterschieden werden. Bei banalen Harnwegsinfektionen sollten Aquaretika und Desinfizienzien kombiniert werden.

Desinfizienzien

Zu den Desinfizienzien gehören Bärentraubenblätter (Uvae ursi folium) sowie senfölund senfölglykosidhaltige pflanzliche Drogen wie Brunnenkressekraut (Nasturtii herba), Meerrettichwurzel (Armoraciae rusticanae radix) und Kapuzinerkressekraut (Tropaeoli herba). Am häufigsten werden Bärentraubenblätter verwendet, die als wirksamkeitsmitbestimmende Inhaltsstoffe Hydrochinone wie Arbutin (4-12 %) und Methylarbutin, Iridoide und Flavonoide, aber auch 10-20% Gerbstoffe (Gallotannine) enthalten.

Bärentraubenblätter Wirkungen: Diuretisch, adstringierend, antimikrobiell (spezifisch an Membranen des harnableitenden Systems). Arbutin wird bei alkalischem Harn zu dem bakteriostatisch wirksamen Hydrochinon metabolisiert. Indikationen: Harnwegsinfektionen, Zystitis. Zubereitungen Anwendung und Dosierung: Tee: 2 Teelöffel fein geschnittene Droge mit 150 ml kochendem Wasser übergießen, 5 min ziehen lassen, abseihen. 3 × tägl. zwischen den Mahlzeiten trinken. Kaltmazerat (besser magenverträglich, besserer Geschmack als Tee): 3 EL Droge über 6-12 Stunden in 6 Tassen kaltem Wasser ansetzen, abseihen, kurz aufkochen und heiß in einer Thermoskanne aufbewahren. Über den Tag verteilt 4-6 Tassen trinken. Wegen des herben Geschmacks ist eine Teemischung mit anderen Aquaretika zu empfehlen. Fertigarzneimittel, Kombinationen. Kontraindikationen: Schwangerschaft, Stillzeit, Kinder unter 12 Jahren. Arbutinhaltige Arzneimittel sollen nicht länger als eine Woche und höchstens 5-mal pro Jahr eingenommen werden, sie sind daher nicht für die Therapie chronischer Infekte geeignet. Teerezeptur Teerezeptur zur unterstützenden Behandlung bei akuten entzündlichen Erkrankungen der ableitenden Harnwege: Species urologicae DAB 6/NRF: Uvae ursi folium 20 g Orthosiphonis folium 10 g Equiseti herba 20 g Betulae folium 20 g Bohnenhülsen 20 g Mateblätter 10 g M f. spec. D.S. 1 TL mit 150 ml heißem Wasser überbrühen, abgedeckt 5-10 Min. ziehen lassen. Sechs Tassen über den Tag verteilt trinken. Unerwünschte Wirkungen: Wegen des Gerbstoffgehaltes der Bärentraubenblätter Magenreizungen, bei längerer Anwendung evtl. Leberschäden. Tipp: Arbutinhaltige Fertigpräparate sind gerbstoffarm oder -frei.

Aquaretika Wirkweise Verwendet werden Flavonoid-, Saponinund (seltener) Ätherisch-Öl-Drogen. Flavonoide und Saponine werden rasch metabolisiert und renal eliminiert. Flavonoide wirken gefäßerweiternd und kapillarabdichtend, Saponine bewirken osmotische Effekte und reizen - ähnlich wie Ätherisch-Öl-Drogen - das Nierenepithel. Aquaretika haben nur scheinbar saluretische Effekte: Tatsächlich erfolgt die gesteigerte Harnausscheidung infolge einer Verdünnungsdiurese durch gesteigerte glomeruläre Filtration und/oder Zufuhr von Kaliumionen. Ihre desinfizierende Wirkung ist auf die Reduktion der Gesamtkeimzahl durch Durchspülung bei Flüssigkeitszufuhr von mind. 2 l/Tag zurückzuführen. Im Allgemeinen werden Drogenkombinationen verwendet, oft als Tee. Ätherisch-Öl-Drogen Wacholderbeeren (Juniperi fructus), Liebstöckelwurzel (Levistici radix), Petersilienkraut (Petroselini herba). Indikationen: Durchspülungstherapie, Dysurie. Kontraindikationen: Nierenentzündungen, Schwangerschaft. Unerwünschte Wirkungen: Wacholderbeeren: Bei Überdosierung oder Anwendung über mehr als 4 Wochen Albuminurie. Petersilienkraut: Nierenreizungen und -schädigungen, Photosensibilisierung. Liebstöckelwurzel: Photosensibilisierung. Anwendung und Dosierung: Tees 3-5 × tgl. warm trinken. Fertigpräparate (Wacholderbeeröl-Kapseln) nach den Angaben der Hersteller einnehmen, meist 3-5 × tgl. Flavonoidhaltige pflanzliche Drogen Goldrutenkraut, Birkenblätter (Betulae folium), Schachtelhalmkraut (Equiseti herba), Brennnesselkraut (Urticae herba), Orthosiphonblätter, Hauhechelwurzel (Ononidis radix), Löwenzahnwurzel und -kraut. Die gelben Blüten der Echten Goldrute (Solidago virgaurea) leuchten vom Spätsommer bis in der Herbst Goldrutenkraut (Solidaginis virgaureae herba) Wirksamkeitsmitbestimmende Inhaltsstoffe: Flavonoide, Triterpensaponine, ätherisches Öl; Echtes Goldrutenkraut (Solidago virgaurea) enthält zudem Leicarposid und Vigaureosid (antibakteriell). Wirkungen: Aquaretisch, antiphlogistisch, spasmolytisch, antibakteriell. Indikationen: Zur Durchspülung bei entzündlichen Erkrankungen der ableitenden Harnwege, Harnsteinerkrankungen und Nierengrieß, zur Prävention von Harnsteinen und Nierengrieß. Dosierung und Anwendung: 6-12 g Goldrutenkraut (4 EL) als Teeaufguss oder Teeabkochung; Kinder: >1-4 Jahre: 1-2 g, > 4-10 Jahre: 2-5 g, > 10-16 Jahre: 4-8 g. Fertigarzneimittel in verschiedenen galenischen Formen als Mono- und Kombinationspräparate verfügbar. Kontraindikationen: Bei alkoholhaltigen Arzneimitteln: Schwangerschaft. Löwenzahnwurzel und -kraut (Taraxaci radix cum herba) Wirksamkeitsmitbestimmende Inhaltsstoffe: Sesquiterpenlactone, Triterpenester und freie Triterpene, Polysaccharide (Fructosane, Inulin), Flavonoide, Kalium (297 mg/100 g Blätter!) Orthosiphonblätter sind der Exot unter den Teedrogen zur Behandlung von Harnwegsinfekten. Orthosiphon aristatus ist rund um den Malaiischen Archipel heimisch; der Lippenblütler wird bis 1 m hoch und hat auffallend lange Staubfäden, die weit aus der Blüte herausragen Indikationen: Dyspepsie, Appetitlosigkeit, Unterstützung der Leber- und Gallenfunktion, Anregung der Diurese. Dosierung und Anwendung: 1 EL auf eine Tasse Wasser als Tee, Tinktur 3 × 10-15 Tropfen, 3 × 20 ml Frischpflanzenpresssaft. Kontraindikationen: Allergie gegen Kompositen, Cholezystolithiasis, Verschluss der Gallenwege, Gallenblasenempyem, Ileus. Unerwünschte Wirkungen: Kontaktdermatitis, Diarrhö, gastrointestinale Störungen. Brennnesselkraut (Urticae herba) Wirksamkeitsmitbestimmende Inhaltsstoffe: Kaliumsalze, Kieselsäure, Caffeoylchinasäure-Derivate, ungesättigte Fettsäuren. Dosierung und Anwendung: Tagesdosis: 8-12 g Droge. Frischpflanzenpresssäfte (besonders empfehlenswert); Tee: Für 1 Tasse Tee 2 EL Brennnesselkraut mit ca. 150 ml kochendem Wasser übergießen und 5-10 min ziehen lassen. Mehrmals täglich eine Tasse trinken. Orthosiphonblätter (Orthosiphonis folium) Wirksamkeitsmitbestimmende Inhaltsstoffe: Lipophile Flavonoide, ätherisches Öl, Kaliumsalze. Wirkungen: Schwach aquaretisch, spasmolytisch. Dosierung und Anwendung: 6-12 g/Tag als Teeaufguss, 1 gehäuften TL mit 150 ml kochendem Wasser übergießen. Mehrmals täglich eine Tasse. Kinder: >1-4 Jahre: 2-4 g/Tag, > 4-6 Jahre: > 10-16 Jahre: 6-12 g. Trockenextrakte entsprechend den Angaben der Hersteller.

Prof. Dr. med. Karin Kraft

Lehrstuhl für Naturheilkunde der Universität Rostock

Klinik und Poliklinik für Innere Medizin

Ernst-Heydemann-Str. 6

18057 Rostock

Email: karin.kraft@med.uni-rostock.de

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