Klin Padiatr 2008; 220(3): 134-136
DOI: 10.1055/s-2008-1065343
Gastkommentar

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Palliativmedizin in der Kinderonkologie

Palliative Care in Pediatric OncologyS. Gottschling, G. Wevers-Donauer, N. Graf
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13 May 2008 (online)

In der Bundesrepublik leben gegenwärtig ca. 23 000 Kinder und Jugendliche mit einer lebenslimitierenden Erkrankung. Von diesen sterben mehr als 1 500 jährlich, davon ca. 500 an Krebserkrankungen [8].

Es gibt erhebliche Unterschiede hinsichtlich der verschiedenen lebenslimitierenden Krankheitsentitäten. Bei nichtonkologischen Erkrankungen fehlt oft von Anfang an eine kurative Behandlungsoption (z. B. zystische Fibrose, Stoffwechselerkrankungen, Muskeldystrophien usw.). Meist sind die Verläufe wesentlich schleichender und länger als bei onkologisch erkrankten Palliativpatienten.

Eine gebräuchliche Definition der Kinderpalliativversorgung lautet: Aktive und umfassende Versorgung von Kindern und Jugendlichen, die an lebenslimitierenden Erkrankungen leiden, die physische, emotionale, soziale und spirituelle Bedürfnisse berücksichtigt. Ziel ist es, die höchstmögliche Lebensqualität für das betroffene Kind herzustellen und die umfassende Unterstützung für die Familie zu gewährleisten. Dazu gehört die Therapie belastender Symptome, die Bereitstellung von Entlastungsangeboten sowie die psychosoziale Betreuung bis zum Tod und während der nachfolgenden Trauerphase [1].

Die American Academy of Pediatrics geht noch einen Schritt weiter und fordert die Umsetzung dieser Grundsätze der Kinderpalliativversorgung an dem von der Familie gewünschten Ort [2]. Politische Ansätze hin zu einer spezialisierten ambulanten Palliativversorgung unter der besonderen Berücksichtigung der Belange von Kindern gibt es bereits. Diese werden hoffentlich in Zukunft dazu führen, dass die bisher meist in der Freizeit mit großem persönlichem Engagement und ohne rechtliche Absicherung durchgeführte Versorgung der Kinder durch das onkologische Behandlungsteam sowohl eine Struktur als auch eine rechtliche Grundlage erfährt, die sich auch im Vergütungssystem abbilden muss [5] [9].

Anhand des Beitrages von Hechler et al. [14] lassen sich sehr gut Anspruch und Wirklichkeit der kinderonkologischen Palliativversorgung in Deutschland gegenüberstellen. Die vorgestellten Daten der an Krebs verstorbenen Kinder sind mittlerweile 8 Jahre alt, und es wird spannend sein, diese zu Vergleichszwecken baldmöglichst zu aktualisieren. Ein Problem der vorgestellten Studie ist eine in Frage zu stellende Repräsentativität der Daten. Weniger als ein Drittel der angesprochenen Kliniken gaben ihre Zustimmung, die Eltern verstorbener Patienten zu kontaktieren. Allein dies zeigt schon auf, welch geringe Wertigkeit die kinderonkologische Palliativmedizin zum Befragungszeitpunkt hatte.

Die Autoren führen aus, dass der Tod der Patienten im Schnitt 2 Jahre nach Diagnosestellung eintrat und dass die Befragten im Durchschnitt 9 Wochen vor dem Tod des Kindes die palliative Situation realisiert haben. Gewöhnlich besteht ein enger Kontakt der Familien zu ihrem onkologischen Zentrum [3] [15] [22]. So ist es vermutlich unbestritten, dass nach zweijähriger Behandlung und vertrauensvoller Beziehung zu den Behandlern für die letzten 9 Lebenswochen schwerlich ein Palliativmediziner von dem Kind und seiner Familie akzeptiert wird. Idealerweise sollten kinderpalliativmedizinisch geschulte Mitarbeiter von Anfang an in die Behandlung integriert sein, um die Chance zu einem Beziehungsaufbau zu haben. Sonst kann der Palliativmediziner nicht mehr als eine konsiliarische Funktion haben. Keine Familie wird in der Lebensendphase ihres Kindes einen neuen „Spezialisten für die letzten Tage” annehmen. Ein wesentlicher Fokus der Arbeit von Hechler et al. [14] liegt auf der Beurteilung der Symptomkontrolle. Belastende Symptome nach Einschätzung der Eltern waren in absteigender Reihenfolge der Häufigkeit: Erschöpfung, Schmerzen, Appetitverlust, Atemnot, Angst, Verstopfung und Übelkeit. Während die Symptome Schmerzen, Atemnot, Verstopfung und Übelkeit zumindest in mehr als 50% der Fälle therapiert wurden (wenn auch nicht in allen Fällen erfolgreich), waren die Interventionsquoten bei den anderen genannten belastenden Symptomen deutlich geringer. Atemnot ist ein Symptom von solcher Bedrohlichkeit, dass eine regelhafte Intervention allein dadurch begründet sein sollte. Bei anderen Symptomen wie z. B. Erschöpfung und Appetitverlust besteht jedoch augenscheinlich eine erhebliche Diskrepanz in der Wahrnehmung und Wertigkeit der Belastung zwischen Eltern und Behandlern. Hier ist dringend eine Sensibilisierung und selbstverständlich eine Ausbildung hinsichtlich der Erkennung und Therapie dieser Symptome angezeigt.

Erfreulich ist, dass ein erheblicher Anteil der Eltern die Schmerztherapie ihrer Kinder als erfolgreich bewertet. Wir wissen jedoch aus der Literatur, dass in der Bevölkerung vielfach die Vorstellung besteht, dass Schmerzen unabdingbar zum Lebensende gehören und als schicksalhaft akzeptiert werden müssen. In einer Studie, die Verläufe mit schlechter Schmerzkontrolle am Lebensende aufzeigt, wurden die behandelnden Ärzte dennoch überwiegend positiv beurteilt [6]. Vor diesem Hintergrund ist sicherlich auch in diesem Punkt noch Raum für weitere Therapieoptimierungen.

Ein weiterer kritisch zu diskutierender Punkt ist die Aussage, dass eine Chemotherapie bis zum Lebensende langanhaltende Negativeffekte für die Hinterbliebenen haben kann [18]. Hier möchten wir zu Bedenken geben, dass der Übergang von Kuration zu Palliation in fast allen Fällen fließend ist und dass eine rein palliative Chemotherapie oft von den Eltern gewünscht, ja sogar gefordert wird. Natürlich können und müssen wir in Gesprächen mit den Betroffenen offen und klar Risiken/Belastungen und den möglichen Nutzen für das Kind darlegen. Die endgültige Entscheidung liegt jedoch bei den Betroffenen. Diese müssen mit den Entscheidungen und den Konsequenzen nach dem Tod des Kindes weiterleben. Wir als Behandler sind Begleiter. Zunächst unverständlich anmutenden Entscheidungen und Wünschen der Eltern sollte respektvoll begegnet werden. Es sollte Zeit und Raum für weitere Gespräche geben, um einen fortgesetzten konstruktiven Dialog zwischen Eltern und Behandlern zu gewährleisten. Die Aussage, dass eine Chemotherapie bis zum Lebensende den Eltern die Zeit nimmt, sich emotional mit dem bevorstehenden Tod des Kindes zu beschäftigen [18], halten wir für gewagt. Viele Familien brauchen aus unserer Erfahrung Hoffnung, das Gefühl alles Menschenmögliche für ihr Kind getan zu haben oder auch einfach Zeit um los-/zulassen zu können. Eine andere Studie zeigt, dass fast alle Eltern auf das Angebot einer Chemotherapie in der Palliativphase eingingen [4]. Die Studie zeigt auch auf, dass die Eltern sonst von sich aus den Zugang zu antineoplastische Therapien gesucht hätten. In diesem Zusammenhang halten wir es für relativ unwichtig, dass die Ansprechraten auf diese Therapien in der Regel unter 8% liegen [23]. Wesentlich ist die Empfindung der betroffenen Familie. Bei mangelnder Empathie und gestörter Arzt-Patienten-Beziehung läuft man Gefahr, diese Familien zu verlieren (Stichwort Onkotourismus, [13]), zumal die Affinität zu komplementären und alternativen Behandlungsmethoden bei den Eltern onkologisch erkrankter Kinder ohnehin groß ist [10] [20].

Doch auch aus dem kontrovers diskutierten Bereich der Komplementärmedizin kommen wichtige Impulse für die Palliativversorgung. So gibt es mittlerweile gute Daten über die Wirksamkeit von Akupunktur bei Übelkeit und Erbrechen [7] [12] [21] sowie bei Angst, Schmerzen und Erschöpfung [11] [25].

Die optimale Versorgung der Patienten muss im Vordergrund stehen. Das bedeutet zum einem, dass in der Lebensendphase kein neues Palliativteam implementiert werden sollte, es bedeutet aber auch, dass eine flächendeckende ambulante Kinderpalliativversorgung legalisiert und etabliert werden muss. Das setzt die Einbeziehung lokaler Strukturen (Hauskinderarzt, ambulanter Pflegedienst …) in ein multiprofessionelles Team mit ständiger Verfügbarkeit, stetigem innerkollegialem Austausch, Fortbildung und Supervision voraus [16] [17].

In den Niederlanden wurden beispielsweise palliativmedizinische Beratungsteams implementiert, um die Qualität palliativmedizinischer Versorgung im häuslichen Umfeld zu verbessern. Diese Teams sind für die Hausärzte Ansprechpartner bei Fragen und Problemen, ohne eine direkte Verantwortung in der Behandlung der Patienten zu übernehmen [19]. 88% der Hausärzte bewerteten die Beratungen als hilfreich und gaben in 65% der Fälle eine Verbesserung der Versorgungsqualität der Patienten an. Vernooij-Dassen et al. formulierten in diesem Kontext den Begriff der gemeinsamen Entscheidungsfindung unter Fachleuten [24]. In Australien glauben 75% der befragten Ärzte, dass Empfehlungen eines pallitivmedizinischen Beratungsteams einen positiven Einfluss auf die Versorgung der Patienten haben [26].

Ein letzter und wesentlicher Punkt ist, dass sich auch Kinderonkologen eingestehen sollten, dass zum Teil erhebliche Defizite in wichtigen Bereichen der Palliativversorgung wie z. B. der Symptomkontrolle und Trauerbegleitung bestehen [14] [27].

Aus unserer Sicht werden zum einen Aus-, Fort- und Weiterbildungen in Kinderpalliativmedizin für die Kinderonkologen und Hauskinderärzte als primäre Ansprechpartner für die Familien benötigt und zum anderen eine möglichst frühzeitige und selbstverständliche Einbindung spezialisierter Kinderpalliativmediziner und Care Teams in die Betreuung der Familien. Die kinderonkologischen Zentren sollten hinsichtlich ihrer finanziellen wie auch personellen Ausstattung gerade im Bereich der psychosozialen Versorgung gestärkt werden, um eine entsprechende palliativmedizinische Versorgung gewährleisten zu können. Das Ziel ist die umfassende Betreuung der Kinder und ihrer Familien an dem Ort, der für die jeweilige Familie der geeignetste ist. Dieser Ort wird meist zuhause sein, muss es aber nicht. Nur durch eine lückenlose Versorgung erlangen die Familien die nötige Sicherheit, den Schritt nach Hause zu wagen.

Kinderpalliativmedizin in Forschung, Lehre und Krankenversorgung muss in Zukunft im Interesse der Betroffenen die entsprechende Gewichtung erfahren.

Literatur

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