B&G Bewegungstherapie und Gesundheitssport 2008; 24: S8-S10
DOI: 10.1055/s-2008-1076923
B & G SUPPLEMENT

© Hippokrates Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Die Zukunft im Rückblick

D. Lagerstrøm1
  • 1Universitetet i Agder, Kristiansand / Norwegen
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Publication Date:
17 September 2008 (online)

In der ersten Ausgabe unseres offiziellen Verbandsorgans „Sport und Gesundheit” wurden die Ziele des Verbandes wie folgt formuliert: „Das Hauptanliegen des Deutschen Sporttherapeutenbundes ist es, ein gesundheitsbewusstes Verhalten zu fördern. Im Mittelpunkt unserer Arbeit steht die Bekämpfung des Bewegungsmangels sowie die Förderung des gezielten Einsatzes des Sports in der Prävention und Rehabilitation von Zivilisationserkrankung.” Obwohl sich im Verlaufe unserer 25-jährigen Verbandsarbeit viel in Sachen Gesundheit und in den Teilzielen unseres Verbandes geändert hat, sind die damals formulierten Ziele nach wie vor hochaktuell und, was den Bewegungsmangel betrifft, so dringend wie noch nie!

Denn der technische Fortschritt und die Automation haben in den letzten Jahren zu solchen dramatischen Lebensstiländerungen geführt, dass die WHO das 21. Jahrhundert zum Jahrhundert der Bewegungsmangelerkrankungen erklärt hat. Rückblickend muss man feststellen, dass die Idee, einen Verband zu gründen, sowohl gut als auch wichtig war.

In der Umsetzung dieser Idee waren die Anfangsjahre, wie ich in unserer Verbandszeitschrift zum 10-jährigen Jubiläum schrieb, recht „dornenreich”, im nachhinein jedoch eine notwendige und wichtige Phase, um zunächst Aufmerksamkeit zu erzielen und gehört zu werden. Was 22 Sportlehrer, Sportwissenschaftler und Ärzte am 3. Juni 1983 als eine gesundheits- und berufspolitische Notwendigkeit ansahen, nämlich dem Bereich Bewegung ein größeres Gewicht im gesundheitlichen Kontext zu geben und in diesem Bereich eine Qualitätssicherung zu schaffen, erwies sich als richtig, um hierdurch die Grundlage für die Erzielung der heutigen Akzeptanz, sowohl im Bereich der Sporttherapie als auch im Bereich des Gesundheitssports, zu erzielen. Rückblickend ist dieser Erfolg weitestgehend auf einen bewundernswerten Einsatz vieler Verbandsmitglieder

in der praktischen Arbeit vor Ort, in der internationalen Gremienarbeit, in der Etablierung und Akzeptanz von Aus-, Weiter- und Fortbildungen, in der Schaffung von Qualitätssicherungssystemen und der Mitgestaltung gesundheitspolitischer Rahmenbedingungen

zurückzuführen. Von den vielen Einzelaktivitäten und Erfolgen, die in unserer Verbandschronik nachzulesen sind, möchte ich Folgende hervorheben, ohne die diese positive Entwicklung so nicht stattgefunden hätte:

Im Gründungsjahr 1983 waren die Schaffung einer eigenen Geschäftsstelle durch die aufopferungsvolle, ehrenamtliche Arbeit des ersten Geschäftsführers, Heinz-Peter Gälweiler, die Schaffung eines eigenen Verbandsorgans, „Sport und Gesundheit”, und die unmittelbare Aufnahme der Zusammenarbeit mit verschiedenen bewegungs- und gesundheitsbezogenen Organisationen und Institutionen, z. B. „Deutsche Gesellschaft für Prävention und Rehabilitation von Herz-Kreislauf-Erkrankungen e. V.”, „Deutscher Sportärztebund” und „NAV-Verband der niedergelassenen Ärzte Deutschlands”, von entscheidender Bedeutung. Im Folgejahr begann eine enge Zusammenarbeit mit Krankenkassen, weiteren Verbänden und auch mit der Sportartikelindustrie, was u. a. zur Erhöhung des Bekanntheitsgrades des Verbandes beitrug. Ab Mitte der 1980er-Jahre wurden eine Reihe von Sektionen und Arbeitsgruppen gegründet; in Ergänzung zur „Kölner Tagung” wurde auch die „Bad Rappenauer Tagung” ins Leben gerufen, die Begriffe „Bewegungstherapie” und „Sporttherapie” definiert und aufgrund der zunehmenden Hinwendung zu Gesundheitssport und Fitness eine entsprechende Sektion gegründet. Im Jahre 1987 vollzog sich folgerichtig die Namensänderung zum „Deutschen Verband für Gesundheitssport und Sporttherapie e. V.”. Von besonderer Bedeutung für die Qualitätssicherung und die Qualifikation von Fachkräften war die Ende der 80er-Jahre etablierte Hochschulkommission. Neben curricularen Fragen sowie Prüfungs- und Anerkennungsverfahren konnte bereits im Jahre 1989 eine gemeinsame, paritätisch besetzte Prüfungskommission etabliert werden. Mit Universitäten, Fachschulen, Verbänden und Organisationen entstanden gemeinsame Seminarveranstaltungen; im In- und Ausland konnten erhebliche Fortschritte bezüglich der beruflichen Qualitätssicherung erzielt werden. Dies nicht nur in den Bereichen Gesundheitssport und Sporttherapie, sondern auch im Bereich „Fitness”, wo sowohl im nationalen als auch im internationalen Bereich der DVGS sich erfolgreich positionieren konnte. Erwähnenswert sei hier auch das Modellprojekt „Qualitätssicherung in Gesundheitssport und Fitnessbereich” (Gütesiegel), das später zum RAL-Gütesiegel wurde und im Bestreben einer Vereinheitlichung der Qualitätssicherung zugunsten des TÜV-Siegels aufgegeben wurde. Hier ist der DVGS heute im Beirat vertreten. Erwähnen möchte ich auch die 1990 gestartete Zusammenarbeit mit der Fortbildungsakademie der Wirtschaft (FAW). Hierdurch konnten, neben den universitären Ausbildungen, im Verlaufe der Jahre hunderte von Vollzeitfachkräften in Gesundheitssport und Sporttherapie ausgebildet werden. Bereits 1991 wurde der 1989 gegründete „Schwesterverband” (VGS) aus der ehemaligen DDR im DVGS aufgenommen und 1993 ein eigenes Lehrinstitut in Waldenburg aufgebaut. Zwei Jahre später erhielt der Verband vom Landesarbeitsamt NRW die Erlaubnis zur Arbeitsvermittlung, und am Ende dieses Jahrzehnts fand die Sporttherapie dann schließlich den Eingang in Rahmenempfehlungen für die ambulanten und stationären Vorsorge- und Rehabilitationsleistungen. Ab 1999 konnte der DVGS auch erste Spitzengespräche mit Berufsgenossenschaften, der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR), dem AOK Bundesverband, dem Verband der Rentenversicherungsträger (VDR) und z. B. auch der EU bezüglich betrieblicher Gesundheitsförderung und Berufsbildetablierung führen. Im Medienbereich wurden ab 1990, neben unserer Fachzeitschrift, auch zwei Büchereien etabliert, ein EDV-gestütztes Test- und Trainingssystem und eine Reihe von Lehrmaterialien, Kompendien usw. fertig gestellt.

Im Bestreben, die Sporttherapie und den Gesundheitssport als feste Größe im Gesundheitswesen zu etablieren und in diesen Bereichen das Qualitätsmanagement zu verbessern und zu vereinheitlichen, konnten bereits im vorigen Jahrhundert eine Reihe von notwendigen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen geschaffen werden.

Betrachtet man die Arbeitsschwerpunkte und die Erfolge in den letzten Jahren, so wird die Geschichte des Verbandes noch erfreulicher. Die Sporttherapie konnte im Rahmen von Gesetzen, Verordnungen und Leitlinien etabliert werden. Der Gesundheitssport ist nunmehr fester Bestandteil in Prävention und Rehabilitation sowohl bei Kostenträgern, in ambulanten und stationären Gesundheits- und Rehabilitationseinrichtungen als auch im Ausbildungsbereich der Universitäten. Derzeitig sind auch im Bereich der Physiotherapie und auf Fachschulebene Bestrebungen erkennbar, sowohl die Sporttherapie als auch den Gesundheitssport im Rahmen ihrer Ausbildungsgänge zu etablieren. Als Fach- und Lehrbücher werden im universitären Bereich wie auch bei Fort- und Weiterbildungsinstitutionen eine Reihe verbandseigener und von exponierten Verbandsmitgliedern erstellten Medien eingesetzt.

Schließlich hat die Geschäftsstelle des Verbandes mit großem Erfolg eine effiziente Berufs- und Rechtsberatung im Bereich der Arbeitsvermittlung für ihre Mitglieder geschaffen.

Trotz großen gesundheitspolitischen, gesellschaftlichen und arbeitsbezogenen Veränderungen in den letzten 25 Jahren hat der DVGS einen stabilen und beharrlichen Kurs verfolgt. Es gab z. B. bis heute nur drei Vorsitzende und seit 17 Jahren mit Angelika Baldus eine stabile und effektive Geschäftsführerin.

Nichtsdestotrotz lassen sich auch für die Zukunft noch einer Reihe von Zielen, Wünschen und Hoffnungen aufzählen, die jedoch vom Grundsatz her, aus meiner Sicht, durchaus in den Hauptzielen und im Anliegen mit den Vorstellungen aus dem Gründungsjahr übereinstimmen. Denn in den modernen Industriegesellschaften zählt der Bewegungsmangel mittlerweile zu den größten Gesundheitsproblemen unserer Zeit. Ob Altersdiabetes, Osteoporose, Rückenprobleme, Fettstoffwechsel-, Herz-Kreislauf- und Gewichtsprobleme oder auch der epidemieartige Anstieg von Depressionen, sind sich Fachleute (unabhängig von der Fachrichtung) heute bezüglich der kausalen Ursachen einig, dass die körperliche Inaktivität als eines der Hauptprobleme genannt werden muss.

Es ist unbestritten, dass körperliche Aktivität, Bewegung und heute auch aus organisatorischen Gründen der Gesundheitssport dazu beitragen, dass Kinder und Jugendliche sich normal entwickeln und erwachsene und ältere Menschen eine normale Fitness, Gesundheit und Wohlbefinden aufrechterhalten können. Es ist deshalb verwunderlich, dass bis zum heutigen Tage, trotz besseren Wissens und unzähliger Bemühungen, durch Bewegungsmangel bedingte Probleme nicht ab-, sondern zunehmen und dass hieraus keine entsprechenden Konsequenzen gezogen werden. Eines der Hauptanliegen des Verbandes muss deswegen auch in den kommenden 25 Jahren sein, eine aktive Arbeit zur Eindämmung des Bewegungsmangels zu betreiben! Denn ohne mehr und gezielte Bewegung bewegen wir in Sachen Bewegungsmangel und im Kampf gegen die Zivilisationserkrankungen definitiv zu wenig!

Um die heutigen Gesundheitsprobleme und ihre kausalen Ursachen zukünftig besser meistern zu können, bedarf es demnach zweifelsfrei einer Neuorientierung, sowohl in Bezug auf gesellschaftliche und gesundheitspolitische Rahmenbedingungen als auch die eigene Verantwortlichkeit.

Zum 10-jährigen Verbandsjubiläum habe ich die „Geburtstagwünsche” wie folgt formuliert: „Der Gesundheitssport und die Sporttherapie müssen sich in anerkannten Berufsbildern widerspiegeln und eine adäquate öffentliche und politische Unterstützung erfahren.” Zum 20-jährigen Jubiläum: „Denn nur bei einem verhaltensorientierten Ansatz besteht eine Chance, dem epidemieartigen Anstieg von Bewegungsmangelerkrankungen entgegen zu wirken und Bewegung und Sport als Therapie im Sinne von Langzeiteffekten und Dauerhaftigkeit zu einem Erfolgskonzept zu verhelfen!” Aus diesem Grunde sind meine Wünsche für die Zukunft praktisch gleich geblieben und es ist meine Überzeugung, dass eine Erweiterung des Wissens in Sachen Bewegung und Sport, wenn wir es nicht besser als in der Vergangenheit umsetzen, nicht weiterhelfen. Die nachstehend konkretisierten Geburtstagwünsche sind deswegen mit der Hoffnung verknüpft, dass sie nicht nur gesehen, gelesen, gehört und verstanden, sondern schnellstmöglich auch umgesetzt werden:

Die Bedingungen im Bereich Gesundheitsversicherungen / Krankenversicherungen müssen sich den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen anpassen. Das heißt, es muss sich lohnen, sich gesundheitskonform zu verhalten! Heute erhält man nennenswerte, auch monetäre Zuwendungen ausschließlich im Krankheitsfall, also statistisch betrachtet, wenn man sich falsch bzw. nicht gesundheitskonform verhalten hat (Dreiviertel der Kosten fallen heute auf Zivilisationserkrankungen!). Anerkennung des psycho-physio-sozialen Ansatzes im Gesundheitsbereich. Aufgrund der naturgesetzlich gegebenen Wechselwirkungen muss die Körperbildung, nicht zuletzt auch aufgrund der weitestgehend fehlenden natürlichen Reize, einen zentralen Stellenwert in einem modernen Bildungswesen einnehmen und gleichzeitig sämtliche Lebensfelder umfassen (Alltag, Beruf, Freizeit und Rehabilitation).  Da sich körperliche Fitness und ein psychosomatisches Gleichgewicht nicht konservieren lassen, muss die gesellschaftliche Verpflichtung zur Schaffung von Rahmenbedingungen (Spielplätze, Radwege usw.) und die eigenverantwortliche Verpflichtung zu körperlicher Aktivität zu zentralen, gesellschaftlichen Rahmenbedingungen werden. Da es bis heute weder eine Pille noch andere Ersatzmöglichkeiten für körperliche Aktivitäten gibt, sind Menschen, Entwicklung und Aufrechterhaltung von Fitness, Gesundheit und Wohlbefinden darauf angewiesen, eine Leben lang körperlich aktiv zu sein!

Wir müssen nicht auf viele Jahrzehnte zurückblicken, um zu verstehen, wie viel körperliche Aktivität als „normal” bezeichnet werden kann. Durch den Wegfall von körperlicher Aktivität in Alltag und Beruf, die Reduzierung der durchschnittlichen täglichen Gehstrecke von ca. 20 km am Anfang des 20. Jahrhunderts auf weniger als 1 km heute, dürfte es auch wissenschaftlich betrachtet nicht schwer fallen zu definieren, wo das Problem liegt. Statt Besitzstandswahrungen in den Vordergrund zu stellen, sollten wir z. B. die vorhandenen genetischen und evolutionstheoretischen Kenntnisse und die sich hieraus ableitbaren Notwendigkeiten zur Bewältigung unserer heutigen „Luxusprobleme” heranziehen. Auf dieser Weise wären wir sicher schneller am Ziel!

Trotz meines Respekts vor dem wissenschaftlichen Fortschritt und den medizinischen Glanzleistungen kann ich, was die Planung und die Realisierung von Interventionen zur Eindämmung der verheerenden Epidemie von Bewegungsmangel- und Zivilisationserkrankungen betrifft, nur noch dazu auffordern, sich auf die kausalen Beziehungen und realisierbaren Ziele zu konzentrierten. Vielleicht sollte man sich auch in diesem Bereich die Hippokratische Lehre in Erinnerung rufen! Denn bereits vor 2 500 Jahren hatte dieser Ausnahmemediziner im Arzt den Zuständigen für die Krankheit und im Sportlehrer den Zuständigen für Bewegung und Ernährung gesehen.

Vielleicht haben uns die heutige Vielfalt, die zunehmende Spezialisierung und die hiermit einhergehenden „Monokulturen” den Menschen so weit von seiner Universalität entfernt, dass auch seine Entscheidungsfähigkeit nicht mehr primär von naturgesetzlichen Regelmechanismen und Notwendigkeiten, sondern von anderen Überlegungen geleitet werden. Wie zu Urzeiten lassen sich Bewegung und Bewegungsreize in absehbarer Zeit auf keinen Fall umgehen! Insofern bleibt nur zu hoffen, dass unser Verband auch in den kommenden Jahren an den zur 10-jährigen Jubiläumsveranstaltung aufgestellten Leitsatz, „Wir bewegen die Gesundheitsbewegung”, mit aller Kraft festhält und sich auch in Zukunft in der Wahl der Ziele, Inhalte und Methoden vom eingeschlagenen Weg nicht abbringen lässt!

Korrespondenzadresse

Dr. D. LagerstrømIPNo 

Universitetet i Agder

Serviceboks 422

4604 Kristiansand

Norwegen

URL: http://www.uia.no

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