Gesundheitsökonomie & Qualitätsmanagement 2022; 27(06): 341-351
DOI: 10.1055/a-1963-9377
Originalarbeit

Handlungsoptionen zur Krisen-Resilienz

Lehren für das Management des Medizinbetriebs in KrisenzeitenCrisis Resilience and Options for ActionLessons Learned for the Post-corona Management
Maximilian C. von Eiff
1   Klinik für Urologie, Kinderurologie und Urogynäkologie, St. Josef Krankenhaus Hamm (Franziskus Stiftung Münster), Hamm/Bockum-Hövel
,
Wilfried von Eiff
2   HHL Leipzig Graduate School of Management, Leipzig
3   CKM Centrum für Krankenhausmanagement (Universität Münster), Münster
4   Kerckhoff-Klinik GmbH, Bad Nauheim
,
Mohamed Ghanem
5   Klinik und Poliklinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und Plastische Chirurgie, Universitätsklinikum Leipzig AöR, Leipzig
6   Zentrale Einrichtung für Physikalische Therapie und Rehabilitation, Universitätsklinikum Leipzig AöR, Leipzig
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Zusammenfassung

Ziel Über die Qualität des Pandemiemanagements in Deutschland existiert ein kontroverses Meinungsbild. Vor diesem Hintergrund ist es angezeigt, Fehler und Versäumnisse des Pandemiemanagements sachlich zu reflektieren und konstruktiv Maßnahmen zur Stärkung der Resilienz ausgewählter Bereiche des Gesundheitssystems (Lieferketten, Digitalisierung, Fachkräfteverfügbarkeit, Versorgungsstruktur, Refinanzierung) zu entwickeln.

Methode Durchgeführt wurde eine Meta-Analyse verschiedener Studien über die medizinische Versorgungssituation während der Pandemie, ergänzt durch eine Analyse von Lieferabrissen bei Medizinprodukten und Arzneimitteln sowie eine Recherche über die Arbeitssituation und Arbeitszufriedenheit von „am Bett tätigen Berufsgruppen“. Die Datenerhebung erfolgte durch Literaturanalyse, anonymisierte Fragebogen und strukturierte Interviews mit Entscheidern unterschiedlicher Funktionsbereiche (z. B. Einkauf/Logistik, Medizin/Pflege).

Ergebnisse Die Resilienz von Lieferketten steigt durch teilweise Rückverlagerung systemkritischer Produkte und verstärkte Orientierung am Kriterium „Liefersicherheit“ bei der Auswahl von Partnern und Standorten.

Telemedizinische Dienste zur Betreuung von Patienten im häuslichen Bereich und digitale Behandlungs-Plattformen für virtuelle Arztbesuche bewirken Kontaktreduktion im Pandemiefall, verhindern medizinische Spätfolgen und volkswirtschaftliche Kosten unterlassener Vorsorgeuntersuchungen, nutzen knappe Arzt-Ressourcen effizienter und erhöhen die Verfügbarkeit medizinischer Leistungen in der Fläche.

Die Vergütung medizinischer Leistungen sollte auf die Prinzipien des Value-Based Health Care-Ansatzes umgestellt und durch eine funktionsabhängige Finanzierung von Vorhaltekosten ergänzt werden.

Die Schaffung attraktiver Arbeitsbedingungen in Verbindung mit arbeitgeberseitigen Unterstützungsmaßnahmen wie z. B. kostenfreie 7/24-KiTa-Plätze und einer angemessenen Vergütung stellt ein wirksames Maßnahmenbündel zur Begegnung des Fachkräftemangels dar.

Schlussfolgerungen Es besteht dringender Handlungsbedarf, um die Krisenresilienz des Gesundheitssystems für die Zukunft zu stärken.

Krankenhaus-Manager haben die Aufgabe, die Arbeitsbedingungen familienfreundlicher zu gestalten und die Entgeltsituation für „am Bett tätige Berufsgruppen“ nachhaltig zu verbessern, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.

Politik und Verbände sind gefordert, die Finanzierung von Vorhaltekosten in das Vergütungssystem einzubauen, die Digitalisierung voranzutreiben und für den Aufbau von heimischen Reserve-Produktionskapazitäten bei systemkritischen Medizinprodukten sowie Arzneimitteln zu sorgen.

Der Beitrag der Medizinindustrie liegt in der Verkürzung globaler Lieferketten, um deren Steuerbarkeit zu erleichtern sowie deren Versorgungssicherheit zu erhöhen. Die Entwicklung von nachhaltigen Produkten verringert den Ressourcenbedarf, senkt die Kosten der Betriebsbereitschaft, unterstützt die Klimaziele und reduziert das Risiko von Lieferabrissen.

Abstract

Aim After three years of conflicting experiences with the Corona pandemic it is recommended to examine failures and consequences of the crisis management, but also to develop measures and concepts fostering the resilience of the health care system, especially in the areas of supply chain management, reimbursement, and digitalisation.

Method A meta analysis pertaining the health service situation during the pandemic was conducted, complemented by an analysis of bottlenecks in the provision of medical products and pharmaceuticals. A research on working conditions and employee satisfaction of occupational groups working at the bedside was added.

Results The resilience of supply chains can be strengthened by the reshoring of medical products critical to the the quality of medical services and by choosing suppliers and production facilities oriented to the „delivery reliability“ as a selection criteria.

Telemedicine services enable the at-home-care of patients and digital platforms offering virtual visits of familiy doctors as well as specialists contribute to reducing peer-to-peer contacts, and prevent from long-term effects of postponed diagnostic and therapeutic interventions.

Telemedicine supports an intensive use of tight physician resources and improves the availability of medical expertise also in rural areas.

Establishing attractive working conditions turned out to be a success factor in the fight against the lack of professionals.

Conclusion In order to strengthen the resilience of the health care system and to be better prepared for future pandemic waves, a close co-operation between hospital managers, suppliers as well as politicians and federation representatives is needed. And, an holistic approach for redesigning health care is requested, especially in the areas of reimbursement, human resource management inside the hospital, digitalisation of medical service processes and the security of supply referring to medical products and pharmaceuticals.



Publication History

Article published online:
16 December 2022

© 2022. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany

 
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