physiopraxis 2021; 19(07/08): 1
DOI: 10.1055/a-1494-1626
Editorial

Im Ernstfall handeln

Martina Baumgärtner
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Martina Baumgärtner Physiotherapeutin und Themenscout

Im 21. Jahrhundert angekommen entwickeln sich Themen wie Gleichberechtigung und Diversität weiter. Eine Enttabuisierung findet statt. Es geht um die Aufdeckung von Missbrauchsfällen, härtere Strafen für Kinderpornografie und die bekannte Me-too-Bewegung. Ich frage mich, welche Rolle sexuelle Belästigung in der Physiotherapie spielt. Ist bzw. war es auch hier ein Tabuthema?

Für die Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte der Charité Sabine Jenner steht fest: „Das oberste Ziel ist es, zu enttabuisieren und anzuerkennen, dass es das Thema gibt.“ Wie das funktionieren kann und dass man Vorfälle jeglicher Art immer melden sollte, lesen Sie im Interview mit ihr ab Seite 56.

„Sexuelle Belästigungen geschehen häufiger als vermutet.“

Wenn die Belästigung oder ein Übergriff sexuell angetriebener Art ist und von Vorgesetzten, Kolleg*innen oder Patient*innen ausgeht, ist das „sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz“. Natürlich kann es auch vorkommen, dass Therapierende ihren Patient*innen gegenüber übergriffig werden. In Erinnerung ist noch der Schuldspruch gegen den Logopäden im März 2020, der sich wegen sexueller Nötigung, sexueller Übergriffe mit Gewalt und Vergewaltigung schuldig gemacht hatte. Das ist der Extremfall, doch egal, ob in der Einzelpraxis oder im Therapiezentrum, im Leistungssport oder im Kliniksetting: Belästigungen sind häufiger als vermutet.

Obwohl das Thema medial präsenter als jemals zuvor ist, scheint es in der Physiotherapie für viele vermeintlich nicht zu existieren. Gründe dafür gibt es viele, darunter der Gedanke, dass Therapierende ihren Patient*innen sowieso so nah sind, dass die Grenze unklar ist. Bei Betroffenen ist oft das Schamgefühl groß, sie haben Angst vor Zurückweisung und den Reaktionen anderer.

Wenn Sie betroffen sind oder etwas mitbekommen, dann handeln Sie. Nutzen Sie Hilfetelefone, Polizei und Beratungsstellen. Me too soll auch in den Therapieberufen eine Stimme finden.

Passen Sie auf sich und andere auf!

Martina Baumgärtner



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Article published online:
14 July 2021

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