Laryngorhinootologie 2024; 103(02): 91-92
DOI: 10.1055/a-2211-4095
Leserbrief

Leserbrief zu „Das kutane Plattenepithelkarzinom der Haut – ein Update“ [Burda B, Schultz ES. Laryngo-Rhino-Otologie 2023; 102(10): 735–741]

B. A. Stuck
1   Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie, Universitätsklinikum Marburg, Philipps-Universität Marburg
,
A. Neff
2   Klinik für Mund-, Kiefer- und plastische Gesichtschirurgie, Oralchirurgie und Implantologie, Universitätsklinikum Marburg, Philipps-Universität Marburg
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In ihrer Übersichtsarbeit „Das kutane Plattenepithelkarzinom – ein Update“, die in der Oktoberausgabe der Laryngo-Rhino-Otologie erschienen ist, fassen die Autoren den aktuellen Stand der Diagnostik und Therapie des kutanen Plattenepithelkarzinoms zusammen [1]. Die Autoren beziehen sich hierbei auf die S3-Leitlinie „Aktinische Keratosen und Plattenepithelkarzinom der Haut“ aus dem Jahr 2019, die zwischenzeitlich in einer aktualisierten Fassung veröffentlicht wurde [2]. In ihrer Übersichtsarbeit nehmen die Autoren explizit Stellung zur prophylaktischen Lymphadenektomie bei kutanen Plattenepithelkarzinomen und übernehmen hierbei die Empfehlung aus der zugrunde liegenden S3-Leitlinie, die auch in der überarbeiteten Fassung aus 2022 unverändert formuliert wurde. In der Übersichtsarbeit und in der Leitlinie heißt es hierzu: „Eine prophylaktische Lymphadenektomie soll nicht durchgeführt werden.“

Nach Ansicht der Autoren dieses Leserbriefes erfordert die Auseinandersetzung mit der Indikation zu einer prophylaktischen Lymphadenektomie eine differenziertere Betrachtungsweise, zumal die wenigen zugrunde liegenden Studien mit einem Evidenzlevel 3 einen Empfehlungsgrad A in der Leitlinie fraglich erscheinen lassen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass einzelne dieser zugrunde liegenden Studien durchaus zu einer differenzierteren Einschätzung der Wertigkeit einer prophylaktischen Lymphadenektomie kommen. Es erscheint bemerkenswert, dass für ein derartig heterogenes Krankheitsbild wie das kutane Plattenepithelkarzinom, dessen Prognose in entscheidender Weise vom Ort der Lokalisation des Primärtumors und dessen Tumorstadium abhängt, eine derart pauschale Aussage zum Wert einer prophylaktischen Lymphadenektomie getätigt wird. Wie auch aus der zugrunde liegenden Leitlinie hervorgeht, stellt eine Lokalisation im Bereich des Ohres und der Unterlippe eine Hochrisikokonstellation dar. Diese Einschätzung wird auch durch die Leitlinie des „National Comprehensive Cancer Networks“ (NCCN) unterstützt, die generell eine Lokalisation im Kopf-Hals-Bereich als Risikolokalisation ansieht [3]. Als prognostische Faktoren für eine Metastasierung bzw. für das krankheitsspezifische Überleben werden in der Leitlinie eine Reihe von weiteren Faktoren genannt: hierzu gehören eine vertikale Tumordicke größer 6 mm, ein horizontaler Tumordurchmesser größer 2 cm, eine histologische Differenzierung größer Grad 3, eine Desmoplasie, ein perineurales Wachstum, die Lokalisation an Unterlippe und Ohr sowie eine vorliegende Immunsuppression [2]. Die Leitlinie verweist darüber hinaus auf eine Publikation von Haisma et al. [4], die prognostische Parameter für eine Metastasierung in lokale Lymphknoten bei Patienten mit kutanen Plattenepithelkarzinomen des Kopf-Hals-Bereichs herausarbeitet, nämlich Tumordicke größer 2 mm, horizontaler Tumordurchmesser größer 5 cm, geringe Differenzierung und Lokalisation am Ohr. In der genannten Publikation wurden retrospektiv 336 Patienten mit 545 kutanen Plattenepithelkarzinomen im Kopf-Hals-Bereich eingeschlossen; die Metastasierungshäufigkeit lag hier z. B. für T1-Karzinome (nach der Klassifikation des American Joint Committee on Cancer) bei 2,6 %, bei T2-Karzinomen bei 19 % und bei T3- und T4-Karzinomen bei über 60 %, wobei die Aussagekraft aufgrund der geringen Fallzahl bei den T3- und T4-Tumoren eingeschränkt ist. Vor diesem Hintergrund haben Patienten mit fortgeschrittenen und entdifferenzierten Tumoren insbesondere im Bereich von Risikolokalisationen wie dem Ohr und der Unterlippe ein deutlich erhöhtes Risiko für eine lymphogene Metastasierung.

Die Leitlinie äußert sich zumindest im Haupttext der Langversion differenzierter zur prophylaktischen Lymphadenektomie und weist darauf hin, dass ein Nutzen einer prophylaktischen Lymphadenektomie von der Metastasierungshäufigkeit abhängt (hier wurde eine Häufigkeit von über 20 % als potenzielle Grenze genannt), und dass für den Kopf-Hals-Bereich zumindest einzelne Studien einen zu erwartenden Nutzen erarbeiten konnten. In einer Arbeit von Wong et al. wurde in diesem Zusammenhang ein Cut-off-Wert für die Wahrscheinlichkeit einer okkulten Metastasierung von 19 % errechnet, ab dem ein Nutzen einer prophylaktischen bzw. elektiven Therapie der Lymphknoten (Lymphadenektomie oder Strahlentherapie) bestehen könnte [5].

Basierend auf der klinischen Erfahrung der Autoren dieses Leserbriefes stellt die Metastasierung in die regionären, auch intraparotidealen Lymphknoten gerade bei Patienten mit kutanen Plattenepithelkarzinomen des Kopf-Hals-Bereichs nicht selten eine chirurgische Herausforderung dar, während sich auch fortgeschrittene Primärtumoren häufig noch gut beherrschen lassen. Kutane Plattenepithelkarzinome betreffen vorwiegend Patientinnen und Patienten im höheren Lebensalter. Diese entziehen sich nicht selten aufgrund einer eingeschränkten Mobilität oder bestehender Komorbiditäten einer konsequenten Nachsorge und präsentieren sich dadurch häufig erst mit einer fortgeschrittenen lymphogenen Metastasierung, die den weiteren Behandlungsverlauf und die mit der Erkrankung assoziierte Morbidität und Lebensqualität in stärkerem Maße beeinflusst als der Primärtumor. Darüber hinaus wird die Nachsorge in Bezug auf eine lymphogene Metastasierung auch aufgrund der zunehmenden Zahl an betroffenen Patienten nicht immer mit der notwendigen Konsequenz gelingen.

Vor diesem Hintergrund sprechen sich die Autoren des Leserbriefes mit Nachdruck für eine differenziertere Betrachtung der Rolle der prophylaktischen Lymphadenektomie aus. Insbesondere bei Patienten mit Tumoren in Hochrisikolokalisationen und mit fortgeschrittenen Tumoren im Bereich des Ohres und der Unterlippe sollte eine prophylaktische Lymphadenektomie, bei kutanen Plattenepithelkarzinomen der Ohrmuschel auch unter Berücksichtigung der intraparotidealen Lymphknoten, in jedem Einzelfall abgewogen und mit dem Patienten diskutiert werden. Die aus Sicht der Autoren des Leserbriefes zu kurz gefasste pauschale Feststellung, dass eine prophylaktische Lymphadenektomie nicht durchgeführt werden soll, erscheint den Autoren des Leserbriefes weder mit der verfügbaren externen Evidenz noch auf Basis der eigenen Erfahrungen begründbar und erschwert eine solche Diskussion und eine individualisierte Therapieentscheidung.

Publikationshinweis

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Publication History

Article published online:
06 February 2024

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