Psychiatr Prax 2009; 36(1): 43-45
DOI: 10.1055/s-0028-1121941
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Privatisierung der Niedersächsischen Landeskrankenhäuser und ihre Folgen

Trägerwechsel der Niedersächsischen Krankenhäuser
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15 January 2009 (online)

 

Im Sommer 2005 schien die Welt der Niedersächsischen Landeskrankenhäuser noch in Ordnung zu sein: Die Häuser genossen bundesweit wohl einzigartige Freiheit, da ihre Krankenhausleitungen nach der letzten Verwaltungsreform von 1995 weitgehend eigenverantwortlich arbeiten konnten und die Trägerverwaltung im Niedersächsischen Sozialministerium sehr schlank und wenig dirigistisch war. Die Konstruktion hatte sich seit nunmehr 10 Jahren bewährt, überwiegend waren die Häuser fachlich und ökonomisch erfolgreich [1]. Das Betriebsführungsmodell entsprach weitgehend dem Kriterienkatalog, den die damalige Bundesdirektorenkonferenz psychiatrischer Krankenhäuser 2001 formuliert hatte [2].

Nachdem seitens der Politik noch wenige Monate vorher die Beibehaltung des bewährten Modells versprochen wurde, kam für alle Beteiligten überraschend im Sommer des Jahres 2005 die Entscheidung, die Aufgabe der Trägerschaft über psychiatrischen Einrichtungen seitens des Landes zu überprüfen. Hintergründe waren Befürchtungen über unübersehbare ökonomische Lasten für den Landeshaushalt durch künftigen Investitionsbedarf und durch einen weiteren Anstieg der Patienten im Maßregelvollzug. Mit der Entscheidung wurde eine kritische Anmerkung des Landesrechnungshofes aufgegriffen. Im Rückblick stellt sich die Frage nach der Relevanz der damals vorgebrachten Argumente: Angesichts der in vielen Häusern guten Bausubstanz und des geringen Stellenwertes technischer Innovationen in der Psychiatrie und Psychotherapie, konnte der mittelfristige Finanzbedarf überschaubar erscheinen. Die Neuzugangszahlen im Maßregelvollzug begannen bereits zu sinken, die finanzielle Zuständigkeit für diesen Bereich würde ohnehin auch nach einem Trägerwechsel beim Land verbleiben. Nach heftiger fachinterner und öffentlicher Debatte wurde der Prozess nach den Regeln des europäischen Vergaberechtes, das sich als schwer durchschaubar und tückenreich erwies, in Gang gesetzt. Eine aus Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Landeskrankenhäuser zusammengesetzte Fachkommission sollte den Vorgang inhaltlich begleiten und Kriterien für Anforderungen an den künftigen Träger aufstellen. Ein entsprechendes Papier konnte dem Ministerium Anfang 2006 übergeben werden. Die Fachkommission vertrat mehrheitlich die Meinung, dass der Wechsel der Trägerschaft zu kommunalen oder frei gemeinnützigen Betreibern aus dem Bereich der Wohlfahrtspflege unproblematisch sei und auch Vorteile aufweisen könne, während vor einer Übertragung an kommerzielle, renditeorientierte Unternehmen, auch wegen der besonderen Voraussetzungen psychiatrischer Versorgung, die zum großen Teil gerade nicht marktgeeignet sind, abgeraten wurde.

Wieweit derartige Überlegungen in dem anschließenden Vergabeprozess, der von einer Unternehmensberatungsfirma gesteuert wurde, noch Gewicht hatten, ist schwer abzuschätzen. Letztlich spielte in vielen Fällen offenbar der zu erzielende Kaufpreis die ausschlaggebende Rolle. Im Februar 2007 erfolgte der Zuschlag an die künftigen Betreiber. In zwei Fällen gab es noch Verzögerungen durch Einspruchs- und Prüfungsverfahren. Bis zum Ende des Jahres 2007 waren alle der allgemeinen Versorgung dienenden Landeskrankenhäuser von den neuen Trägern übernommen. Ausgenommen waren lediglich die ausschließlich dem Maßregelvollzug vorbehaltenen Einrichtungen in Moringen, Brauel und Bad Rehburg. Aufgrund verfassungsrechtlicher Bedenken verbleiben sie auch weiterhin in Landesträgerschaft, während die dezentralen forensischen Abteilungen an den übrigen Landeskrankenhäusern einer besonderen Konstruktion unterworfen wurden, in deren Mittelpunkt der Vorbehalt des Vollzugs hoheitlicher Aufgaben an eine umschriebene Gruppe von Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter steht, die im Landesdienst verbleiben. Die Übertragung hoheitlicher Aufgaben auf privatrechtliche Institutionen ist derzeit Gegenstand einer Verfassungsklage, die beim Niedersächsischen Staatsgerichtshof in Bückeburg anhängig ist, eine Entscheidung wird noch im Laufe des Jahres 2008 erwartet.

Die niedersächsischen Landeskrankenhäuser wurden auf unterschiedliche Träger aufgeteilt: In drei Fällen gibt es einen kommunalen Hintergrund, in einem Haus kam ein Wohlfahrtsverband zum Zuge. Die vier verbleibenden Häuser wurden an gewerbliche Krankenhausbetreiber übergeben.

Die Vorgänge in Niedersachsen fügen sich in eine Entwicklung auf nationaler und internationaler Ebene ein, die bereits vor einigen Jahren begann und noch nicht völlig abgeschlossen ist: In der Bundesrepublik Deutschland hat die überwiegende Zahl der Länder und Kommunalverbände die psychiatrischen Krankenhäuser inzwischen aufgegeben, eine Ausnahme stellt (noch) der Freistaat Sachsen dar. Aufgrund der besonderen kommunalen Struktur haben die Landschaftsverbände in Nordrhein-Westfalen und die Bezirke in Bayern, teilweise auch der Landeswohlfahrtsverband in Hessen, an der Trägerschaft festgehalten, gleichzeitig jedoch durch die Änderung von Rechtsformen, meist in Richtung der GmbH eine zumindest formale Privatisierung herbeigeführt. Bemerkenswert ist, dass in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz durch die Errichtung von Anstalten des öffentlichen Rechts ein möglicher Ausweg aus dem Dilemma - Verringerung von Bürokratie und Verbesserung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bei gleichzeitigem Erhalt öffentlich rechtlicher Strukturen und Verantwortung - gefunden wurde. Diese Lösungen scheinen sich bewährt zu haben.

Auch in Österreich, in Teilen der Schweiz und in den übrigen europäischen Ländern, z.B. in Italien und in den Niederlanden, wurden früher staatliche oder sonst in öffentlicher Trägerschaft befindliche psychiatrische Krankenhäuser privatisiert, wenn sie nicht, wie in Italien, gänzlich abgeschafft und durch kleine, nur der Akutversorgung dienende, psychiatrische Abteilungen in Allgemeinkrankenhäusern ersetzt wurden.

Literatur

  • 01 Weig W, Keil B. Der niedersächsische Weg: Perspektiven eines Landesbetriebes. In: Weig W, Dumke HO, Cording C, Hrsg. Rechtsformen psychiatrischer Krankenhäuser. Regensburg: S. Roderer, 2001. 
  • 02 Weig W, Dumke HO, Cording C, Hrsg. Rechtsformen psychiatrischer Krankenhäuser. Regensburg: S. Roderer, 2001. 
  • 03 Berger E. Die Würde des Menschen ist unantastbar - 200 Jahre Psychiatriegeschichte im ehemaligen Königreich Hannover am Beispiel des Niedersächsischen Landeskrankenhauses Osnabrück. Bramsche: Rasch 1999. 
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