PiD - Psychotherapie im Dialog 2012; 13(4): 77-78
DOI: 10.1055/s-0032-1321417
Interview
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

„Das Gesellige tritt in den Hintergrund …“

Reiner  Weißgerber im Gespräch mit Michael  Broda
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Publication Date:
04 December 2012 (online)

PiD: Reiner – danke für die Möglichkeit, mit dir ein kurzes Gespräch zu führen! Seit wann bist du eigentlich in deinem Beruf tätig und was reizt dich daran?

Reiner Weißgerber: Seit 32 Jahren bin ich Brauer und Mälzer, Gastronom bin ich darüber hinaus schon in der dritten Generation. Tradition, Handwerk reizen mich beim Bierbrauen, ich produziere etwas, an dem ich selbst Spaß habe und das anderen Menschen auch gefällt.

Du stellt ein potenzielles Suchtmittel her – wie siehst du die Auswirkungen von Alkohol auf die Gesundheit?

Sucht ist ein Menschheitsthema. Früher ging man in den Wald und hat Pilze, Rinde, Alraunen, Stechapfel konsumiert wegen der psychotropen Wirkung – all das waren von jeher Suchtmittel. Auch im alten Ägypten wurde schon Bier gebraut. Dies hatte einen gesellschaftlichen Aspekt: Es diente zur Beruhigung der Bevölkerung – und daneben hat Bier ja auch eine sättigende Wirkung. Ich würde gerne zuerst über die positiven Eigenschaften von Bier sprechen. Naturtrübes Bier hat eine Menge positiver gesundheitlicher Auswirkungen: Senkung des Krebsrisikos, der Herzinfarktrate – mit den verschiedenen Inhaltsstoffen wird Bier bei moderatem Konsum (0,4 l bei Frauen und 0,7 l bei Männern am Tag) eine positive gesundheitliche Funktion attestiert. Einen Konsum, der deutlich über diese Menge hinausgeht, sehe ich grundsätzlich als problematisch und schädlich.

Werden die Trinkgewohnheiten über die Jahre anders? Stichworte wie Komasaufen waren vor Jahren ja noch nicht bekannt.

Ich sehe dies weniger in meiner Gaststätte, sondern mehr auf Festen – der Gruppenzwang nimmt zu. Das Gesellige tritt in den Hintergrund, wichtig scheint das Vorglühen mit Billig-Flaschenalkohol. Durch die verwendeten Alkopops ist das Trinkverhalten nicht mehr kontrollierbar. Alkopops suggerieren durch die Süße, dass kaum Alkohol im Getränk sei, deswegen wird weitergetrunken. Hierin sehe ich die größte Gefahr.

Was sind die aktuellen Trends in der Getränkeindustrie? Welche Entwicklungen siehst du mit Sorge?

Trends gehen eindeutig zu den Mischgetränken mit Süßungsmitteln. Früher hat man Obstler oder Korn mit 30–40 % konsumiert, heute sind in den Mischgetränken z. T. 15 % versteckt enthalten. Die neueren Statistiken zeigen, dass der Biermarkt stagniert, Biermixgetränke jedoch immer noch einen zweistelligen Zuwachs haben. Dies zielt auf die Gruppe der Jugendlichen und der Frauen. Mixgetränke schmecken süß, z. B. nach Gummibärchen, vom Alkohol schmeckt man nichts. Energiedrinks in Verbindung mit Mixgetränken sind seit Jahren eindeutig der Trend.

Gibt es darüber hinaus noch Trends, die du in deinem Betrieb siehst?

Ich denke, bei vielen meiner Kunden ist das Trinken ein bewussterer Vorgang geworden – das gute Glas Wein zum Essen, das Saisonbier, also ein stilvoller Umgang mit Alkohol treffen eher auf meine Kundschaft zu. Sommelierkurse, Weinproben, Bierproben, all das ist eine Entwicklung, die ich beim Thema Alkohol auf der anderen Seite unterstützenswert finde. Da werden Geschmacksnuancen vorgestellt, die Spaß machen. Weg vom Discounter, hin zu hochpreisigeren Getränken. Auch ich habe mit meiner kleinen Hausbrauerei immer noch Zuwachsraten im zweistelligen Prozentbereich.

Trinken Frauen jetzt mehr Alkohol als früher?

In der Gruppe der Jugendlichen stimmt das. Ich halte dies für eine Frage des Gruppenzwangs inkl. aller oben beschriebenen Aspekte der Mixgetränke. Früher haben sich Frauen bei stärkerem Alkohol geschüttelt, jetzt schmeckt’s süß und wird nicht mehr als Alkohol wahrgenommen.

Was machst du, wenn jemand bei dir zu viel trinkt?

Es gibt keine Garantenpflicht mehr – ich bin also nicht mehr dafür verantwortlich, dass meine Gäste wohlbehalten nach Hause kommen. In der Regel ist das aber kein Problem, meist bleibt eine Person in der Gruppe nüchtern, die dann Auto fährt. Es wird häufig auch ein Taxi gerufen oder ich fahre selbst jemanden nach Hause. Im Notfall habe ich auch schon mal jemandem den Autoschlüssel abgenommen. Ich kenne aber auch zurzeit in meinem Bekanntenkreis keinen einzigen Jugendlichen, dem der Führerschein wegen Alkohols abgenommen worden wäre. Dies war früher sehr viel häufiger. Die arbeitende Schicht trinkt weniger – je mehr Freizeit, desto mehr wird in meinen Augen konsumiert. Dies trifft auf Jugendliche wie auf Rentner zu.

Gibt es einen Trend hin zu Kleinstbrauereien und weg von der Masse?

Eindeutig ja – der Verbraucher ist bedient von den „Fernsehbieren“, es gibt keine Transparenz, woher das Produkt kommt. Anders bei uns – hier besteht eine Beziehung zum Brauer, man weiß, woher das Produkt kommt und wie es hergestellt wird. Es gibt einen Trend hin zu naturbelassenen Bieren. Ich braue zehn verschiedene Biere im Jahr, gleichzeitig habe ich immer drei unterschiedliche Biere im Ausschank. In der kalten Jahreszeit braue ich ein Spezialbier, so etwas muss man sich einfach auch mal als etwas Besonderes gönnen. Das ist natürlich auf einem Preisniveau wie dem einer Großbrauerei nicht zu machen. Meist ist die Nachfrage nach den Spezialbieren aber auch so groß, dass ich sie nicht befriedigen kann. Öko- oder Biobier macht bei uns einen Marktanteil von nur 0,3 % aus – wir brauen alle nach dem Reinheitsgebot, wir versuchen auf jeden Fall ein sauberes Produkt herzustellen. Nachhaltigkeit ist mir ein Anliegen: Ich arbeite wassersparend, habe eine Solar- und Fotovoltaikanlage, Wärmetauscher und Puffertanks.

Nur werden nicht die Menschen, die alkoholabhängig werden, umschwenken auf gehobene Bierqualität.

Es wird immer Anbieter geben, die den Kasten Bier für 4,90 Euro verkaufen – da kann ich nichts dagegen unternehmen. Damit haben wir immer auch das Suchtproblem, das sich durch alle Schichten zieht. Ich denke aber auch, dass nur über den Qualitätsaspekt und das bewusste Genießen ein vernünftiger Umgang mit Alkohol zu steuern ist.

Dennoch gibt es Verschiebungen in den Konsumgewohnheiten?

Bei klaren Schnäpsen und anderem Hochprozentigem ist der Trend eindeutig rückläufig.

Was unterscheidet dein Produkt von anderen auf dem Markt angebotenen Bieren?

Mein Produkt braucht vom Brauen zum Konsum ca. vier Wochen, je nach Biertyp. Großbrauereien machen das unter großem sowohl physikalischem als auch zeitlichem Druck und ziehen das Bier schon nach einer Woche auf die Flasche – Zeit ist Geld. Die haben auch Möglichkeiten, Biere zu verschneiden, um das Produkt immer gleich schmeckend zu präsentieren. Das kann ich als Kleinbrauer nicht machen. Mein Produkt „lebt“, es schmeckt immer etwas unterschiedlich – das ist auch das Interessante. Sonst könnten wir uns ein Instantpulver holen und das Bier anrühren. Dann haben wir eine gleichbleibende Soße.

Reiner – herzlichen Dank für das Gespräch!

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