Fortschr Neurol Psychiatr 2013; 81(S 01): S1-S2
DOI: 10.1055/s-0033-1335422
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Bipolare Störungen – Psychoedukation im Kontext neurobiologischer Erkenntnisse und optimierter Therapie

Bipolar disorders – Psychoeducation in the Context of Neurobiological Knowledge and Optimised Treatment
A. Schaub
1   Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der LMU München
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Publication Date:
16 May 2013 (online)

Bipolare Störungen beeinflussen nicht nur das eigene Leben, sondern auch das der Menschen im nahen Umfeld. Die bipolare Störung stellt eine schwerwiegende psychiatrische Erkrankung dar, die über die Bipolar-I-Störung hinaus eine Prävalenz zwischen 2 – 7 % aufweist. In den letzten Jahren haben markante Fortschritte der Psychopharmakotherapie, der Neurobiologie sowie der Psychotherapie diese Belastungen reduzieren können – jedoch besteht noch weiterhin dringender Bedarf, die Versorgungssituation zu optimieren. Dieses Sonderheft bietet einen aktuellen Überblick zur Diagnostik, Verlauf der Erkrankung, biologisch-psychosozialen Erklärungsansätzen wie dem Vulnerabilitäts-Stress-Bewältigungs-Modell sowie diversen psychotherapeutischen und pharmakologischen Therapieansätzen. Es gibt einen Einblick in die pharmakologischen und kognitiv-psychoedukativen Therapieansätze für Patienten und ihre Angehörigen an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Die Erweiterung der Klassifikation der manisch-depressiven Erkrankungen hin zum Spektrum bipolarer Erkrankungen bedingt eine differenzierte Psychopharmakotherapie im Hinblick auf Akutsymptomatik und Verlaufscharakteristika (z. B. Rapid Cycling) [1]. Das Behandlungsspektrum umfasst Stimmungsstabilisierer, Antidepressiva und Neurolepika, wobei derzeit insbesondere die Indikationsbereiche für stimmungsstabilisierende Antiepileptika, atypische Neuroleptika und neuere Antidepressiva diskutiert werden. Lange Zeit waren Behandlungsmöglichkeiten bei akuter Manie auf Lithium, Valproat und typische Neuroleptika beschränkt. Nach einer kurzen Einführung zum Thema Deeskalation, die niedrigere Dosierungen und ein besseres Arzt-Patienten-Verhältnis gewährleisten soll, werden atypische Neuroleptika wie Olanzapin, Risperidon, Quetiapin, Ziprasidon, Aripiprazol und Zotepin und deren Verträglichkeit in der Behandlung der Manie diskutiert [2]. Die Neuroplastizität des ZNS und ihre Relevanz für affektive Störungen und ihre psychotherapeutische Behandlung sind in den letzten Jahren in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Bei bipolaren Störungen zeigt sich die besondere Bedeutung paralimbischer, kortikaler und subkortikaler Strukturen in der Affektregulation, jedoch fallen die Ergebnisse heterogen aus und die Methodik der funktionellen Bildgebung sollte optimiert werden [3].

Im psychotherapeutischen Bereich haben psychoedukative Ansätze, die das Vulnerabilitäts-Stress-Bewältigungs-Modell als funktionales Krankheitsmodell fokussieren, an Bedeutung gewonnen [4]. In einem interaktiven Prozess wird Wissen über die Erkrankung und ihre Behandlungsmöglichkeiten vermittelt, aber auch das Erkennen von Frühwarnsignalen, um eine erneute Krankheitsphase rechtzeitig abzufangen, sowie das Medikamentenmanagement werden thematisiert. Pharmako- und Psychotherapie stehen hier somit keineswegs in einem Widerspruch, sondern ergänzen sich. Psychoedukation ist ein zentraler Bestandteil verschiedener kognitiver, interpersoneller und familienbezogener Interventionen, die gesundheitsfördernde sowie krankheitsvermeidende Aspekte betonen.

Der Überblick über aktuelle Therapieprogramme und ihre Inhalte verweist auf ihre Wirksamkeit in kontrolliert randomisierten Studien. An der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der LMU München wurde seit 2000 ein kognitiv-psychoedukatives Gruppenkonzept entwickelt und evaluiert. Dieses umfasst Psychoedukation, Erkennen und Bewältigung von depressiven und manischen Symptomen, Rückfallprävention sowie Etablieren eines regelmäßigen Lebensstils. Aufgrund der hohen Zufriedenheit der Patienten und der behandelnden Ärzte ist es mittlerweile ein Teil der Standardversorgung geworden. Eine Untersuchung mit 52 Patienten zeigte einen hohen Wissenszuwachs und eine Verbesserung des Schweregrads der Erkrankung [5]. Höhere Arbeitsqualifikation erwies sich als prädiktiv für einen günstigeren Verlauf während der Intervention. Die Anzahl der stationären Aufnahmen und das männliche Geschlecht waren Prädiktoren für einen Rückfall nach zwei Jahren. Der Verlauf bipolar affektiver Erkrankungen umfasst ein weites Spektrum von einer einzigen Episode in fünf Jahren bis hin zu markanten Stimmungsschwankungen innerhalb eines Tages. In der ambulanten Betreuung von Menschen mit bipolarer affektiver Störung gilt es, Fragen der Pharmakotherapie, krankheitsspezifische Schwierigkeiten, aber auch persistierende Krankheitssymptome und Einschränkungen, kognitive Defizite, Therapieabbrüche sowie eine hohe Rückfallgefährdung zu berücksichtigen [6].

Das Hauptanliegen dieses Sonderhefts ist, den Leser anhand der vorliegenden Beiträge zu ermutigen, sich bei Patienten mit bipolaren Störungen und ihren Angehörigen im stationären sowie insbesondere im ambulanten Bereich therapeutisch zu engagieren und diese Herausforderung aufzugreifen. Psychoedukation hilft, ein gemeinsames Verständnis der Erkrankung zu entwickeln, aber auch Probleme und individuelle Vorstellungen der Betroffenen zu besprechen und Kommunikationsknoten aufzulösen. Neue Entwicklungen im Bereich der Bildgebung, Fortschritte in der Pharmakotherapie, aber auch die Wirksamkeitsnachweise der Kombination aus Psychopharmakotherapie und Psychotherapie stimmen optimistisch, auch für diese Patienten und ihre Angehörigen die Behandlung verbessern zu können.

Abschließend möchten wir der Deutschen Gesellschaft für bipolare Störungen e. V. (und ihrem früheren Vorstand Herrn Borchers) für die interessanten Diskussionsforen der letzten Jahre danken. Unser Dank gilt auch den Patienten und ihren Angehörigen, den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der Station C2, insbesondere Dr. Stampfer, den ehemaligen Mitarbeitern der Spezialambulanz für bipolare Störungen, Stanley Foundation und den Ärzten und Psychologen der anderen Stationen.

Auch wenn die Autoren Frau Dr. Anna Grunze, Herr Dr. Heinz Grunze und Dr. Benedikt Amann mittlerweile die Klinik in München verlassen haben und nunmehr in Newcastle upon Tyne bzw. Barcelona arbeiten, ist die Verbesserung der Behandlung und Versorgung für Menschen mit bipolaren Störungen in Deutschland weiterhin ein wesentliches Anliegen von uns allen.

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Dr. A. Schaub