Z Geburtshilfe Neonatol 2020; 224(06): 399-401
DOI: 10.1055/s-0040-1709332
Poster

Fallkasuistik einer Zweizeitigen Geburt bei Spätabort des ersten Mehrlings

J Kümpel
1   Perinatalzentrum Level I am SRH Zentralklinikum Suhl
,
Saputra DK
1   Perinatalzentrum Level I am SRH Zentralklinikum Suhl
,
K König
1   Perinatalzentrum Level I am SRH Zentralklinikum Suhl
,
C Wurst
2   Sozialpädiatrisches Zentrum am SRH Zentralklinikum Suhl
,
M Schmidt
1   Perinatalzentrum Level I am SRH Zentralklinikum Suhl
› Author Affiliations
 
 

Zielsetzung Die Frühgeburt stellt weltweit eine perinatale Herausforderung dar. Die Ursachen einer Frühgeburt sind vielfältig u.a. genetische Disposition, Umweltfaktoren, der sozioökonomische Status sowie Folge reproduktionsmedizinischer Maßnahmen (ART)1. Bei ART-Zwillingsgeburten sind die maternalen und neonatalen Komplikationen signifikant gegenüber spontanen Zwillingsgeburten erhöht2. Im Falle einer nicht aufzuhaltenden Fehl-/Frühgeburt des ersten Zwillings besteht für den Geburtsmediziner die Herausforderung zum Erhalt der Schwangerschaft des 2. Zwillings. Dies ist ein sehr seltenes Ereignis welches ein fundiertes perinatologisches Vorgehen erfordert.

Fallvorstellung Die 26- jährige Patientin, Gravida II Para 0 Abort I mit Z. n. zweimaliger in-vitro Fertilisation stellte sich aufgrund eines Abortus imminens erstmalig in der 12+3 SSW mit einer dichoriaten diamnioten Geminigravidität (DCDA) vor. Nach stationärer Überwachung und konservativer Therapie bei sistierenden Fehlgeburtsbestrebungen und intakter Zwillingsschwangerschaft mit einer Cervixlänge von 44 mm konnte ambulant weiterbetreut werden. In der 20+0 SSW stellt sich die Patientin mit drohendem Spätabort und vaginalen Blutungen im Kreisssaal vor. Sonographisch zeigte sich nun eine Muttermundseröffnung auf 1,5 cm mit einem deutlichen Prolaps der ersten Fruchtblase. Im weiteren Verlauf kam es zur zunehmenden Wehentätigkeit mit darauffolgendem Tiefertreten des 1. Fetus unterhalb des Portioniveaus und zur Fehlgeburt des I. Feten (Gewicht: 276 g, Länge: 24 cm). Danach sistierten die Wehen und die Cervix formierte sich wieder. Der intrauterin verbliebene Fet war weiterhin vital. Seine Fruchtblase war unauffällig insbesondere bestand kein Prolaps. Nach einer Stunde Wehenlosigkeit und unauffälliger intrauteriner Schwangerschaft wurde die Indikation zur Cerclage nach McDonald unter i. v. Tokolyse gestellt. Dabei wurde bei vollständig inserierter Plazenta die unterbundene I. Nabelschur hoch abgebunden, gekürzt und in das Cavum uteri verlagert. Mit einer intakten Schwangerschaft und einer stabilen Cervixlänge von 32 mm sowie geschlossenem Zervikalkanal konnte die Patientin nach 14 Tagen entlassen werden. In der 24. SSW erfolgte die geplante Wiedervorstellung zur Gabe von antenatalen Kortikosteoriden. In der 27+6 SSW kam es zur Wiederaufnahme bei erneut zunehmender Wehentätigkeit. Unter einer Bolustokolyse wurde die antenatale Kortikosteroidtherapie wiederholt. Bei therapieresistenter Wehentätigkeit mit Muttermundseröffnung auf 3 cm erfolgte die sekundäre Sectio caesarea nach Misgav Ladach.

Es wurde ein deprimiertes Mädchen aus 1. vollständiger Fußlage entwickelt: Gewicht 880g, Länge 32 cm, Apgar 2/6/8 Na-pH 7,28, BE -6 mmol/l, daraufhin folgte die Entwicklung beider Plazenten. Nach postnataler Betreuung auf unserer neonatologischen Intensivstation konnte ein klinisch unauffälliges Kind am 59 Lebenstag mit einem Entlassungsgewicht von 2140 kg in die häusliche Betreuung übergeben werden. Die neuropädiatrische Entwicklungskontrolle erfolgt zunächst über 5 Jahre in unserem SPZ. Das Mädchen ist aktuell 3 Jahre alt. Ihre Entwicklung ist nach der Bayley-III Skala als altersentsprechend einzuschätzen. Aufgrund der positiven Entwicklung wird die weitere Verlaufskontrolle im fünften Lebensjahr als ausreichend angesehen.

Diskussion Die zweizeitige Geburt einer Zwillingsschwangerschaft ist ein extrem seltenes Ereignis. In der Literatur wird lediglich über Einzelfälle berichtet. In unserem Fall kam es zunächst zum Spätabort mit 20+0 SSW. Mit 27+6 SSW erfolgte die Geburt des 2. Kindes per Schnittentbindung.

Nach einer nicht aufzuhaltenden Fehl-/Frühgeburt eines Mehrlings in einem sehr frühen Gestationsalter sollte der Geburtsmediziner die Möglichkeit eines Erhalts der Schwangerschaft für weitere Mehrlinge z. B. 2. Zwilling ins Auge fassen. Das angestrebte Ziel ist die Prolongation des Schwangerschaftsalters mit der Erhöhung der Überlebenschancen mit geringerer Morbidität3. Gerade bei Patientinnen mit ausgeprägtem Kinderwunsch bei Z. n. assistierter Reproduktionsmedizin (ART) sollte dieses Vorgehen bedacht werden. Dafür ist bei vitalem Feten mit intakter Fruchtblase, das Sistieren der Wehentätigkeit, Dichorionizität und eine geringe Co-Morbidität vorauszusetzen.

Im weiteren Schwangerschaftsverlauf ist zur Abschätzung des erhöhten Frühgeburtsrisikos die wiederholte Zervixsonographie durchzuführen4,5. Durch sie ist es möglich, die Zervixlänge, den inneren Muttermund, den Zervikalkanal und das Cerclageband6 zu beurteilen. Der Ausschluß von vaginalen Infektionen sollte durch regelmäßige mikrobiologische Abstrichkontrollen erfolgen. In enger interdisziplinärer Zusammenarbeit mit der Neonatologie muß die Patientin in einem Perinatalzentrum betreut werden.

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Abb. 1 Vaginosonografie in der 20. SSW unter Fehlgeburt: Kopf des des 1. Geminus passiert das Portioniveau.
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Abb. 2 Zervixsonografie in der 21. SSW nach Abort des 1. Geminus und erfolgreicher Cerclage der Zervix nach McDonald.
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Abb. 3 3D-Zervixsonografie in der 21. SSW mit Darstellung der durch die Cerclage stabilisierten Zervix.
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Abb. 4 Zervixsonografie in der 23. SSW. Abschließende Sonografie vor Entlassung der Patientin.

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  • Literatur

  • 1 Helmer H. (3. 7 2013). Geburtshilfe und Perinatalmedizin. Frauenheilkunde up2date, S.. 223-234.
  • 2 Wang AY. S. N. (8. August 2018). Neugeborenenergebnisse bei Zwillingen nach assistierter Reproduktionstechnologie: eine retrospektive Kohortenstudie auf Basis der australischen Bevölkerung. BMC Pregnancy and Childbirth, S. DOI: 10.1186/s12884-018-1949-0. PMID: 30089454; PMCID: PMC6083522.
  • 3 Binder, et al. 1997; . Zweizeitige Geburt bei extrener Frühgeburtlichkeit des ersten Mehrlings: Bericht von 3 Fällen. Geburtshilfe u. Frauenheilkunde 57: 234-237
  • 4 Moro L. et al. (11 2017). Zervixlänge als Frühgeburtsprädiktor bei Zwillingsschwangerschaften. Frauenheilkunde up2date, S. 293.
  • 5 Roman A, Rochelson B. F. N. (212:788 2015). Efficiacy of ultrasound-indicated cerclage in Twin pregnancies. Obstetrics and Gynecology, S. e 1-6.
  • 6 Michelle N, Han M. M. (Band 32, Ausgabe 13 2019). Der Einfluss von Cerclage bei Zwillingsschwangerschaften auf die Frühgeburtenrate vor 32 Wochen,. The Journal of Maternal-Fetal & Neonatal Medicine, S. 1-7.

Publication History

Article published online:
04 December 2020

© 2020. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany

  • Literatur

  • 1 Helmer H. (3. 7 2013). Geburtshilfe und Perinatalmedizin. Frauenheilkunde up2date, S.. 223-234.
  • 2 Wang AY. S. N. (8. August 2018). Neugeborenenergebnisse bei Zwillingen nach assistierter Reproduktionstechnologie: eine retrospektive Kohortenstudie auf Basis der australischen Bevölkerung. BMC Pregnancy and Childbirth, S. DOI: 10.1186/s12884-018-1949-0. PMID: 30089454; PMCID: PMC6083522.
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  • 4 Moro L. et al. (11 2017). Zervixlänge als Frühgeburtsprädiktor bei Zwillingsschwangerschaften. Frauenheilkunde up2date, S. 293.
  • 5 Roman A, Rochelson B. F. N. (212:788 2015). Efficiacy of ultrasound-indicated cerclage in Twin pregnancies. Obstetrics and Gynecology, S. e 1-6.
  • 6 Michelle N, Han M. M. (Band 32, Ausgabe 13 2019). Der Einfluss von Cerclage bei Zwillingsschwangerschaften auf die Frühgeburtenrate vor 32 Wochen,. The Journal of Maternal-Fetal & Neonatal Medicine, S. 1-7.

 
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Abb. 1 Vaginosonografie in der 20. SSW unter Fehlgeburt: Kopf des des 1. Geminus passiert das Portioniveau.
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Abb. 2 Zervixsonografie in der 21. SSW nach Abort des 1. Geminus und erfolgreicher Cerclage der Zervix nach McDonald.
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Abb. 3 3D-Zervixsonografie in der 21. SSW mit Darstellung der durch die Cerclage stabilisierten Zervix.
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Abb. 4 Zervixsonografie in der 23. SSW. Abschließende Sonografie vor Entlassung der Patientin.