PPH 2004; 10(5): 237
DOI: 10.1055/s-2004-813671
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Editorial

W. Schnepp
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Publication Date:
11 October 2004 (online)

Sehr verehrte Leserinnen und Leser,

in der vorliegenden Ausgabe finden Sie eine breite Palette von Themen, die auf den ersten Blick etwas wie ein „Kessel Buntes” anmutet. Wir lesen etwas über die Versorgungssituation psychisch Kranker, die Anforderungen des neuen Krankenpflegegesetzes, über personenzentriertes Handeln, Bezugspersonensysteme, ethische Fragestellungen, das Für und Wider von „Kein-Suizid-Verträgen”, Forschungsergebnisse zu berufsbedingten Belastungen und über historische Analysen, aus denen man immer etwas lernen kann. Mir gefällt diese Ausgabe besonders gut, nicht nur, weil sie abwechslungsreich ist, sondern auch deshalb, weil sie Einblicke in das breite Spektrum der psychiatrischen Pflege gibt. Als Angehörige einer Praxisdisziplin sind wir, fast hätte ich gesagt „naturgemäß”, an Fragestellungen, Erfahrungsberichten und Forschungsergebnissen zur direkten, im günstigsten Fall individuellen Pflege interessiert. Wir teilen die Auffassung, dass psychiatrische Pflege immer Beziehungspflege ist, dass unser Handeln auf die Person hin ausgerichtet, gleichsam zentriert ist. Viele Beiträge in Psych.Pflege Heute bearbeiten genau diese Themen, wobei konzeptionelle Arbeiten und Erfahrungsberichte dominieren. Aber sind wir in Beziehungen tatsächlich immer so gut, wie es eigentlich sein sollte? Was ist mit jenen Forschungsergebnissen, die uns auf das Gegenteil aufmerksam machen, uns zeigen, dass Patienten wie „Objekte” behandelt werden, als Person keinesfalls immer wahrgenommen werden, sondern durch beruflich Pflegende zuweilen in ihrer Persönlichkeit tief verletzt werden? Dies ist ohne Frage ein ethisches Problem und auf jeden Fall eins für die Pflegeforschung. Für die Zukunft würde ich mir wünschen, dass wir nicht ausschließlich aufzeigen, warum etwas gut läuft, sondern offen legen und aufzeigen, warum etwas schlecht läuft, wie Dinge zu vermeiden wären, die auf keinen Fall zu tolerieren sind. Dies wendet den Blick von Patienten notwendigerweise hin zu den beruflich Pflegenden, die, so lesen wir hier zu Recht, beruflichen Belastungen ausgesetzt sind. Aber genauso können sie für andere zur Belastung werden. Belastet sein, aber auch zur Belastung werden hat immer auch mit den Strukturen zu tun, unter denen wir arbeiten. Dies gilt sowohl für Versorgungsstrukturen, Ausbildungsgrundlagen, Personalsituationen und Zuständigkeitsbereiche. Sie alle dienen einem bestimmten Zweck und folgen einem Sinn, aber als strukturelle Rahmen entwickeln sie immer auch einen eigenen Sinn, der nicht immer dem ursprünglichen Zweck entsprechen muss. Strukturen sind von Menschen geschaffen, sie sind keine Naturgesetze und deshalb veränderbar. Sie zu verändern erfordert gute Argumente, möglichst empirisch basiert, berufspolitisches Engagement und ein Minimum an Zivilcourage. Aber nun genug der Rede. Ich wünsche Ihnen Vergnügen bei der Lektüre der vorliegenden Ausgabe.

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