Dtsch Med Wochenschr 1918; 44(39): 1086-1087
DOI: 10.1055/s-0028-1134705
Feuilleton

© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Der methodologische Unterschied zwischen theoretischer und praktischer Medizin1)

A. Dworetzky in Moskau 1) Der folgende Aufsatz ist für unsere Wochenschrift ein historisches Dokument des Weltkrieges. Die Korrektur des Artikels sollte in den letzten Tagen des Juli 1914 an den Verfasser abgesandt werden, als durch die allgemeine Mobilmachung und den Einfall der Russen in Ostpreußen der Postverkehr mit Rußland abgebrochen wurde. Wir haben den Bürstenabzug aufgehoben, in der Hoffnung, nach dem „baldigen” Friedensschluß den interessanten Aufsatz des uns — und unsern Lesern — aus seinen früheren Veröffentlichungen vorteilhaft bekannten Verfassers abdrucken zu können. Vier lange und schwere Jahre haben wir uns auch in dieser Hoffnung nicht entmutigen lassen, und nun sind wir in der Lage, unsere Absicht zu verwirklichen. Ende Mai bekamen wir von Herrn Dworetzky durch die neue russische Botschaft in Berlin einen Brief, in dem er um die Uebersendung der Korrektur seines Aufsatzes bat. Durch seine Beziehungen zum russischen Volkskommissariat für Unterricht war ihm die Verbindung mit uns gelungen, noch bevor der allgemeine Postverkehr zwischen Rußland und Deutschland eröffnet werden kann. Auf demselben Wege vermochten wir Unsere Antwort in seine Hände zu bringen und am 8. September die Korrektur zurückzuerhalten. Aus dem dieser beigefügten Begleitschreiben vom 23. Juli wollen wir nachstehende Sätze als ein erfreuliches Zeichen für die Gesinnung des Verfassers wiedergeben: „Während der vier langen, schier unerträglichen Kriegsjahre, von denen ich drei Jahre — vom August 1914 bis zum Juli 1917 — auf dem Kriegsschauplatz zuerst als Spitalsarzt, sodann als Oberstabsarzt der schweren Artillerie verbracht habe, war es trotz meiner Uniform mein sehnlichster Wunsch, die alten und gewohnten Beziehungen zu den lieben Vertretern deutscher Wissenschaft und Literatur so schnell als möglich wieder anknüpfen zu dürfen. Und wenn ich unter den grünen Wipfeln eines dichten Waldes, im Leinwandzelt oder auf dem Feldbett in einer stinkigen Bauernhütte nach anstrengendem und ungewohntem Ritt meine müden Beine zur Ruhe streckte, so nahm ich gewöhnlich aus dem Reisesack ein deutsches Buch vor, zum nicht geringen Aerger meiner Offizierskameraden, bei denen ich im Geruch eines „Germanophilen” stand.” Wir gehen gewiß nicht fehl in der Annahme, daß diese von den Franzosen, Engländern und jetzt (selbstverständlich!) auch Amerikanern durch den niedrigsten Haß verfehmte „Fraternitas medicorum” auch bei vielen anderen russischen Kollegen während des Krieges bestanden hat, und wir geben uns der Hoffnung hin, daß wir mit ihnen, die — unbekümmert um die niederträchtigen Verleumdungen unserer Feinde und um die gleißnerischen Werbeversuche der französischen Aerzte — ihre der deutschen Medizin gebührende Dankesschuld nicht vergessen haben, sehr bald die alten Beziehungen wieder aufnehmen werden. In diesem Sinne möge der Aufsatz des Herrn Kollegen Dworetzky ein günstiges Omen bilden. J. S.
Further Information

Publication History

Publication Date:
16 July 2009 (online)

>