Laryngorhinootologie 2013; 92(04): 283
DOI: 10.1055/s-0033-1334872
Leserbrief
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Antwort zum Leserbrief:

T. Brusis
1   Institut für Begutachtung, Köln
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Publication Date:
08 April 2013 (online)

Stellungnahme zum Leserbrief von Herrn Prof. Dr. med. E. Hallier, Göttingen, zum Artikel von Brusis, T.:

„Aus der Gutachtenpraxis: Larynxkarzinom durch intensive und mehrjährige Exposition gegenüber schwefelsäurehaltigen Aerosolen“, Laryngo-Rhino-Otol 2012; 91: 323–325

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit einer eventuell neuen Berufskrankheit eines Larynxkarzinoms durch schwefelsäurehaltige Aerosole kann nicht allein Aufgabe von Arbeitsmedizinern sein, denn nur HNO-Ärzte kennen sich mit dem klinischen Bild und der Differenzialdiagnose bösartiger Tumoren des Kehlkopfes aus. Es ist daher nicht nachvollziehbar, dass die Frage, ob es sich bei bestimmten Fällen von Larynxkarzinomen um eine Berufskrankheit handelt, ohne Beteiligung von HNO-Ärzten vorgenommen wird. Wer einmal selbst in einem Arbeitskreis beschäftigt war, der sich über Jahre mit einer Leitlinie, einem Merkblatt oder einer wissenschaftlichen Empfehlung auseinandergesetzt hat, kann ermessen, dass es nicht ausreichend ist, wenn ein zur Veröffentlichung vorgeschlagener Entwurf noch einmal vorgelegt wird. Nur eine intensive persönliche Auseinandersetzung im Kollegenkreis, insbesondere mit Vertretern anderer Fachgesellschaften, erlaubt es, ausreichende Einblicke in das Für und Wider einer Fragestellung zu gewinnen.

Es ist auch nicht nachvollziehbar, wenn eine „Wissenschaftliche Begründung“ in einem Ministerialblatt veröffentlicht wird. Denn die Erarbeitung einer „Wissenschaftlichen Begründung“ sowie die anschließende Veröffentlichung soll eine Auseinandersetzung – hier mit dem Vorschlag einer neuen Berufskrankheit – auf wissenschaftlichem Gebiet anregen. Dazu gehört eine Veröffentlichung, d. h. Bekanntmachung, in einer medizinischen Fachzeitschrift, um die Fachwelt auf ein neues medizinisches Projekt aufmerksam zu machen. Wenn eine „Wissenschaftliche Begründung“ dagegen in einem internen Amtsblatt „versteckt“ wird, wird eine wissenschaftliche medizinische Auseinandersetzung geradezu verhindert. Denn welcher Wissenschaftler, welcher Arbeitsmediziner, welcher HNO-Arzt liest schon das Gemeinsame Medizinalblatt? Ein geeignetes Forum für eine tatsächliche Öffentlichung-machung wäre sicherlich Ihre Zeitschrift „Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Umweltmedizin“ in Verbindung mit dem Organ der betreffenden Fachgesellschaft.

Warum wurde die Deutsche Gesellschaft für HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie nicht vorab gebeten, einen sachkundigen Vertreter für die Teilnahme an den diesbezüglichen Sitzungen des Sachverständigenbeirates zu benennen? Warum wurde die Deutsche Gesellschaft für HNO-Heilkunde, Kopf- und Hals­chirurgie nicht in die Ausarbeitung der neuen Berufskrankheit 4 104 „Lungenkrebs oder Kehlkopfkrebs durch Asbesteinwirkung“ eingebunden? Warum hat der Sachverständigenbeirat bei der Überarbeitung des Merkblatts des BMAS zu der Berufskrankheit Nr. 2 301 der Berufskrankheiten-Verordnung: „Lärmschwerhörigkeit“ keinen Vertreter aus der HNO-Heilkunde eingeladen? Zurzeit wird bekanntlich eine weitere Wissenschaftliche Begründung für eine neue Berufskrankheit aus dem HNO-Gebiet erarbeitet: „Das Larynxkarzinom durch Lederstäube“. Warum geschieht dies wieder ohne Beteiligung der HNO-Fachgesellschaft?

Schwefelsäureaerosole sind von der MAK-Kommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft lediglich in Kategorie 4 aufgeführt, wobei man wissen muss, dass es die Kategorien 1–5 gibt. In der Kategorie 4 sind Stoffe mit krebserzeugender Wirkung aufgeführt, bei denen ein nicht-genotoxischer Wirkungsmechanismus im Vordergrund steht und genotoxische Effekte bei Einhaltung des MAK- und BAT-Wertes keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielen. Unter diesen Bedingungen ist nach [Schönberger et al. 2010] kein nennenswerter Beitrag zum Krebsrisiko für den Menschen zu erwarten. Wer sich in die Literatur einliest, wird feststellen, dass es ernst zu nehmende Gegenstimmen bezüglich eines Zusammenhangs zwischen Schwefelsäureinhalation und einer Krebsentstehung der oberen Luftwege gibt.

[Prodalla 2006] hat die Ergebnisse von Studien folgendermaßen zusammengefasst:

  • Bis zur Konzentrationen von 2 mg H2SO4/m3 konnten keine Effekte auf Lungenfunktionsparametern verzeichnet werden.

  • Eine Einstufung in die Krebskategorie 4 kann (wenn überhaupt) nur für hohe Konzentrationen hergeleitet werden.

  • Tierexperimentelle Studien geben keine Anhaltspunkte für krebserzeugende und krebsfördernde Wirkungen.

  • Es gibt keine Hinweise auf gentoxische Wirkungen.

  • Es gibt keine Hinweise auf mutagene Wirkungen von Schwefelsäure in Keimzellen.

Es wird daher noch mal angeregt, die bis heute vorliegenden Forschungsergebnisse unter sachkundiger Beteiligung aller zuständigen Fachgesellschaften noch einmal zu gewichten, bevor ein „Larynxkarzinom durch intensive und mehrjährige Exposi­tion gegenüber schwefelsäurehaltigen Aerosolen“ in die BK-Liste aufgenommen wird.

 
  • Literatur

  • 1 Prodalla D Neue Aspekte zum Arbeitsplatzgrenzwert – Schwefelsäure.Galvanotechnik 6/ 2006: 1406-1411
  • 2 Schönberger A, Mehrtens G, Valentin H. Arbeitsunfall und Berufskrankheit Erich Schmidt Verlag. 8. Auflage 2010