Laryngorhinootologie 2013; 92(04): 282
DOI: 10.1055/s-0033-1334880
Leserbrief
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Leserbrief

E. Hallier
1   Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin
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Publication Date:
08 April 2013 (online)

Leserbrief von Herrn Prof. Dr. med. E. Hallier, Göttingen, zum Artikel von Brusis, T.:

„Aus der Gutachtenpraxis: Larynxkarzinom durch intensive und mehrjährige Exposition gegenüber schwefelsäurehaltigen Aerosolen“, Laryngo-Rhino-Otol 2012; 91: 323–325

Als Vorsitzender des Ärztlichen Sachverständigenbeirats Berufskrankheiten beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) möchte ich hiermit Stellung nehmen zu einem Beitrag des Herrn Prof. Brusis über die Empfehlung der Aufnahme einer neuen Berufskrankheit in die Anlage 1 der Berufskrankheitenverordnung. Der Beitrag von Herrn Brusis enthält kritische Äußerungen zum Vorgehen des Ärztlichen Sachverständigenbeirats, die sachlich nicht gerechtfertigt sind und denen ich auch im Namen der übrigen Mitglieder des Beirats hiermit entgegentreten möchte.

Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich auf die im Artikel angeführten Kritikpunkte:

  1. Die Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie e.V. erhielt im März den Entwurf dieser neuen Berufskrankheit zur wissenschaftlichen Stellungnahme. Dieser Entwurf wurde seitens der Fachgesellschaft vollumfänglich als sachlich richtig und für die gutachterliche Praxis als wesentlich beurteilt. Eine entsprechende Antwort ging dem Sachverständigenbeirat im Mai zu. Es trifft nicht zu, dass das Papier bereits definitiv fertiggestellt und verabschiedet war, sondern die Freigabe erfolgte erst nach Eingang der Stellungnahme der Gesellschaft. Das Postulat der Grundsätzlichkeit der Nichteinbeziehung von Fachgesellschaften bei der Erarbeitung von wissenschaftlichen Begründungen für neue Berufskrankheiten dürfte sich der Kenntnis des Autors entziehen und ist auch nicht geübte Praxis des Beirates.

  2. Kriterium für die Befassung mit einer neuen Berufskrankheit für chemische Stoffe ist nicht primär deren potentielle Häufigkeit, sondern vielmehr die Einstufung eines Agens als ­Humankanzerogen seitens der Arbeitsstoffkommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), welche ihrerseits auch Einstufungen durch die IARC berücksichtigt. Hier ist der Verordnungsgeber gehalten, die Notwendigkeit für eine Befassung im Beirat zu prüfen. Außerdem ist die vom Autor geäußerte fehlende Beobachtung entsprechender Fälle nicht die vollständige Reflexion der arbeitsmedizinischen Realität, wie auch den Studien des Begründungspapiers zu entnehmen ist.

  3. Die seltene Verwendung des Terminus „Tumor“ könnte als Unschärfe aufgefasst werden, gleichwohl wird die Bedeutung in Bezug auf Malignität zweifelsfrei durch den engen Bezug zum Kontext dargestellt.

  4. Das Carcinoma in situ wird seit längerem in der gutachterlichen Praxis teilweise kontrovers diskutiert. Nach Auffassung des Beirates handelt es sich jedoch zweifelsfrei um einen „regelwidrigen“ Zustand, unabhängig von der Möglichkeit einer definitiven kausalen Therapie.

  5. Es wurde Bezug auf Studien genommen, die über eine ausreichende Qualität und Power verfügten. Dass im Zuge des Literaturreviews Studien nicht berücksichtigt werden, die diesen Ansprüchen nicht genügen, spricht für die wissenschaftliche Arbeitsweise des Beirates.

Zusammenfassend ist Herrn Professor Brusis für seinen Beitrag zu danken, lenkt er doch damit die Aufmerksamkeit der Fachwelt auf eine Berufskrankheit, bei der in der Praxis bisher keine oder sehr selten eine Beziehung zwischen Exposition und Krankheitsbild hergestellt wurde.